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Die Menschen im Globalen Süden haben kaum zur Krise beigetragen, doch sie spüren die Konsequenzen am stärksten. Einer von ihnen ist die Aktivistin Hamira Kobusingye aus Uganda.
Hamira wuchs mit einer alleinerziehenden Mutter in Kireka auf, einem Vorort der ugandischen Hauptstadt Kampala, die momentan wie große Teile Ostafrikas von einer Jahrhundertflut betroffen ist.
Momentan ist Hamira auf der COP28 unterwegs. Wir freuen uns riesig, dass wir kurz vorher mit ihr sprechen konnten – über feministische Lösungsansätze, Drohanrufe und hassenswerte Baumpflanzprojekte.
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#61 #Aktivismus #Ostafrika #Interview
Gegen die längste Pipeline der Welt
Die ugandische Aktivistin Hamira Kobusingye erlebte Überschwemmungen und Dürre von klein auf mit. Heute kämpft sie für Klimagerechtigkeit – mit feministischen Lösungsansätzen. Lesezeit: 8 Minuten
Hallo Hamira, Uganda ist berühmt für seine wunderschöne Natur. Wie fühlst du dich, wenn du an die Seen, Wälder, Tiere und Pflanzen in deiner Heimat denkst?
Das verursacht bei mir leider eher Kopfzerbrechen. Wir hatten so viel schöne Natur. Es gab eine Menge wilde Tiere im Zentrum von Uganda und sogar in der Hauptstadt Kampala. Als ich aufwuchs, sahen Wälder wie der Mabira Forest noch ganz anders aus.
Aber Bauarbeiten, Reisplantagen in Mooren und neue Zuckerrohrfabriken haben zum Verlust von so viel dieser Schönheit geführt – insbesondere auch die Arbeiten an der East African Crude Oil Pipeline, die teilweise mitten durch Naturreservate gebaut wird. Es ist wirklich herzzerreißend.
Klimaaktivistin Hamira Kobusingye aus Uganda 📸: LinkedIn (Opens in a new window)
Und wie wirkt sich die Klimakrise auf Ostafrika und auf Uganda aus?
Früher haben wir es geliebt, wenn es geregnet hat. Dann konnten wir Getreide und andere Pflanzen einsäen. Die Jahreszeiten waren wunderschön. Doch jetzt kommen sie in Extremen – es ist entweder viel zu trocken oder viel zu regnerisch. Alles ist davon betroffen, unser Alltag, unser Lebensstandard. Viele kommen nicht mehr zu ihrem Arbeitsplatz. Nicht zuletzt gehen dadurch Existenzen und auch Menschenleben verloren.
Das ist tragisch, auch angesichts dessen, wie wenig wir zur Klimakrise beigetragen haben und wie sehr die Leute hier trotzdem im ganzen Land unter ihr leiden. Im Norden von Uganda hungern die Menschen, da sie durch die Dürre keine Nahrungsmittel mehr anpflanzen können. Im Westen und Osten gibt es zur Zeit fast jeden Tag Überschwemmungen (Opens in a new window) und Erdrutsche, Straßen und Brücken werden zerstört, viele Kinder können nicht mehr zur Schule gehen, Tiere und Pflanzen sterben.
Wer leidet darunter am meisten?
Viele Familien verlieren ihr Einkommen, was wiederum dazu führt, dass sie sich gezwungen sehen, ihre Töchter viel zu jung zu verheiraten. Hinzu kommt, dass viele Mädchen aus der Schule genommen werden und stattdessen stundenlang Wasser holen gehen, da viele Flüsse und Brunnen ausgetrocknet sind.
Und wann wurde dir zum ersten Mal so richtig klar, dass all diese Folgen mit der Klimakrise zusammenhängen?
Ich habe mich schon lange für die Rechte von Frauen und Mädchen eingesetzt. Ich habe ihnen dabei geholfen, Beete anzupflanzen und als Kleinbäuerinnen für ihre Familie zu sorgen. Vor ein paar Jahren haben die Frauen, mit denen ich gearbeitet habe, wegen der Dürre ihre gesamte Ernte verloren. Da habe ich erkannt, dass ich vor allem die Symptome bekämpft habe.
Frauen und Mädchen zu beraten, ist gut und richtig, aber wir müssen auch die Ursache ihrer Probleme angehen und die Klimakrise stoppen.
Die Regierung in Uganda ist alles andere als liberal. Auf Homosexualität steht im schlimmsten Fall die Todesstrafe. Wie steht es um deine Sicherheit als Aktivistin?
Grundsätzlich nicht gut. Insbesondere, wenn man sich dafür entscheidet, über sensible Themen wie die Pipeline zu sprechen, oder wenn man große Unternehmen zur Verantwortung zieht. Das kann gefährlich werden, zumal sie viel zur Volkswirtschaft beitragen und somit auch Steuern zahlen. Am Ende sind es die gleichen Leute, die die Wirtschaft kontrollieren und unser Land regieren.
Es gab Zeiten, da bekam ich Drohanrufe und -Nachrichten. Mittlerweile ist das zum Glück nicht mehr der Fall und ich hoffe sehr, dass es so bleibt. Politischer Aktivismus in Uganda ist schwierig und riskant, egal wofür.
Die längste Pipeline der Welt: Die EACOP soll, wenn sie fertig ist, 1443 Kilometer lang werden. 🗺: Sputink, CC BY-SA 4.0 (Opens in a new window)
Jetzt hast du schon mehrmals die Pipeline EACOP erwähnt, gegen die du dich einsetzt. Wie ist der aktuelle Stand des Projekts?
Die Pipeline soll 2025 fertig werden – obwohl einige Banken im vergangenen Jahr ihre Finanzierung zurückgezogen haben. Beim Bau wurden Schulen zerstört. Krankenhäuser wurden abgerissen und nicht wieder aufgebaut, Menschen wurden enteignet und vertrieben. Eine Kompensation gab es entweder nicht oder sie fiel so gering aus, dass sich viele kein neues Stück Land leisten konnten. Fischer mussten ihre Arbeit im Lake Albert (Opens in a new window) stoppen.
Und wir haben Angst, dass es noch schlimmer kommt. Kein fossiles Investment in Afrika ist bisher gut geendet. Im Niger-Delta wurde die gesamte Biodiversität zerstört. In den Böden dort kann nichts mehr wachsen, da alles voller Öl ist. Wir leben in einem Zustand ständiger Sorge.
Was uns aber am meisten das Herz bricht: Von dem Projekt profitiert nicht Uganda oder ein anderes Land in Ostafrika, sondern der Globale Norden. Für ihn ist der Großteil des Erdöls gedacht, das hier gefördert und transportiert werden soll.
In den letzten 50 Jahren sind geschätzt zwei Millionen Tonnen Rohöl ins Niger-Delta geflossen. Dahinter stehen alte Bekannte: Shell, Chevron, ExxonMobil, TotalEnergies. Gute Nachrichten: 2021 hat ein britisches Gericht den Einwohner*innen des Niger-Deltas das Recht zugesprochen, Shell für seine Umweltverbrechen zu verklagen. 📸: Tribune, Justice Nwafor (Opens in a new window)
Du arbeitest in deiner Community vor allem mit Frauen zusammen. Wie wichtig sind feministische Perspektiven und Maßnahmen im Kampf gegen die Klimakrise?
Sie sind entscheidend. Das zeigen zum Beispiel die Ergebnisse der Non-Profit-Organisation Project Drawdown (Opens in a new window), die nach den effektivsten Klimalösungen sucht. Sie beschreibt zwei wichtige Lösungen, die sich auf Frauen konzentrieren: die Bildung von Mädchen sowie Familienplanung (Opens in a new window). Allein diese beiden Lösungen können bis 2050 über zwei Gigatonnen CO₂ pro Jahr einsparen.
Wie könnte ein Empowerment von Frauen im Globalen Süden konkret aussehen?
Werfen wir einen Blick auf Kleinbäuerinnen. Immer wieder gehen ihre Ernten ein, weil ihnen die notwendigen Ressourcen, Produkte und Maschinen fehlen, aber oft auch das Bewusstsein hinsichtlich der Klimakrise. Häufig müssen sie ihre Gärten aufgeben.
Würde man den Frauen die Mittel und das Wissen mitgeben, damit sie ihre Pflanzen richtig anbauen, pflegen und schließlich auch ernten können, könnten wir nicht nur die Nahrungsmittelproduktion steigern und die Hungerkrise überwinden, gleichzeitig hätten diese Frauen eine stabile Einkommensquelle.
Hast du noch ein Beispiel für die besondere Rolle von Frauen in der Klimakrise?
Auf dem afrikanischen Kontinent sind in den Familien immer die Frauen für die Ernährung zuständig. Frauen kümmern sich um die Kinder, sie ziehen sie groß und geben ihr Wissen an sie weiter. Mir wurde zum Beispiel beigebracht, kein Essen auf dem Teller liegen zu lassen, weil irgendwo jemand hungert. So etwas ist extrem wichtig.
Stellt euch nur vor, alle Eltern würden ihren Kindern solche kleinen Dinge beibringen, etwa: wie man sich um einen Baum kümmert, dass man keinen Müll herumliegen lässt, wie man Plastikmüll vermeidet, wie man den CO₂-Fußabdruck verringert. Ihre Kinder würden lernen, den Planeten zu lieben und zu schützen, anstatt ihn zu zerstören.
(Opens in a new window)💌 Ausgabe 42: Der Klimakrise (he/him) (Opens in a new window) – wie Patriarchat und Erderhitzung miteinander zusammenhängen
Du warst vor kurzem zu Besuch in Berlin und Bremen, nachdem du mit dem 18. Bremer Solidaritätspreis ausgezeichnet wurdest. Deutschland ist historisch gesehen der sechstgrößte CO₂-Emittent. Wie war es für dich, in diesem Land zu sein?
Ich freue mich, dass ich diesen Preis bekommen habe. Und ich freue mich auch, dass ich die Gelegenheit hatte, mit führenden Vertreter*innen der Zivilgesellschaft zu sprechen – ebenso wie mit politischen Entscheidungsträger*innen. Heute Morgen habe ich mich mit einem Mitglied der Grünen getroffen. Wir sprachen über die ostafrikanische Rohöl-Pipeline, aber auch über Deutschlands RWE-Deal zu Lützerath, über Investitionen in Kohle aus Kolumbien und Gas aus dem Senegal.
Ich habe hier die Gelegenheit, Deutschlands umweltschädliche Praktiken anzuprangern. Niemand in Bremen oder Berlin oder an irgendeinem anderen Ort in diesem Land sollte mit dem Finger auf Uganda und den Bau der EACOP-Pipeline zeigen. Länder wie Deutschland zerstören immer noch Dörfer, nur um noch mehr Kohle abzubauen. Sie stoppen ihre klimaschädlichen Aktivitäten nicht, obwohl sie schon am meisten zur Erderhitzung beigetragen haben.
Du sprichst immer wieder von „Klimakolonialismus“. Was meinst du damit genau?
Der Globale Norden gibt vor, sich von der Produktion fossiler Brennstoffe zu lösen. In Wirklichkeit lagert er den Prozess einfach in den Globalen Süden aus. Seht euch nur mal Deutschlands Gasverträge mit dem Senegal (Opens in a new window) an.
Der Globale Norden bekommt immer noch die fossilen Brennstoffe, die er haben will und von denen er nach wie vor abhängig ist. Aber eben auf Kosten der Menschen im Globalen Süden. Wir sind diejenigen, die den Bergbau betreiben. Wir sind diejenigen, die die Artenvielfalt verlieren. Wir sind diejenigen, deren Communitys vertrieben werden. Wir sind diejenigen, die die ganze Arbeit machen und alle Konsequenzen tragen.
Hamira Kobusingye auf einer Demo gegen das EACOP-Projekt. 📸: LinkedIn (Opens in a new window)
Wie kann Klimakolonialismus noch aussehen?
Ein anderes Beispiel sind Carbon Credits, also CO₂-Emissionsrechte … oh Gott, ich hasse Carbon Credits. Sie ermöglichen es den Industriestaaten, das Klima weiter zu erhitzen, während der Globale Süden ein bisschen Geld dafür bekommt, um Bäume zu pflanzen. Wegen der Aufforstungen werden Communitys zerstört. Menschen werden vertrieben, ihr Land wird ihnen weggenommen, sie verlieren ihre Häuser, ihre Kulturen.
Solche Kompensationen sind eine neue Ungerechtigkeit gegenüber dem Globalen Süden. Wir werden darauf reduziert, dass unsere Haupteinnahmequelle Carbon Credits sind. Wir tragen die Last, eine Krise zu bekämpfen, die wir nicht selbst verursacht haben.
Was sollte Deutschland deiner Meinung nach von Uganda lernen, wenn es um die Bekämpfung der Klimakrise geht?
Uganda beherbergt viele Geflüchtete aus allen möglichen Ländern. Menschen, die vor Krieg und Klimafolgen fliehen. Deutschland – eigentlich ganz Europa – hat enorm von der Industrialisierung profitiert und gleichzeitig so viel zu all den Krisen beigetragen, vor denen die Menschen fliehen. Und heute schließen sie die Grenzen für Geflüchtete.
Kürzlich erst sind viele Menschen vor den Überschwemmungen in Libyen geflohen (Opens in a new window). Deutschland hat im Vergleich zu Uganda viele Ressourcen. Diesen Menschen zu helfen, wäre nicht so schwierig. Deutschland und Europa sollten lernen, ihre Türen für sie zu öffnen. Nicht zuletzt, weil sie viel zu den Schäden und Verlusten beigetragen haben, denen diese Menschen in ihrer Heimat ausgesetzt sind.
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