Die Mikrobiologie des Weins - ein Prost auf die Mikroben!
Mikrobenzirkus-Kolumne im Dezember 2024
Ohne Mikroorganismen kein Wein – von Hefen, Milchsäurebakterien und tierischen Saufnasen. Was ist eigentlich der Unterschied zwischen alkoholischer und malolaktischer Gärung?
Liebe Freundinnen und Freunde des Mikrobenzirkus,
im letzten Artikel des Jahres nehmen wir die Herstellung von Wein etwas unter die Lupe – bevor es an die festlichen Weihnachtstafeln und die Silvesterbuffets geht.
Ich habe mich in diesem Jahr mit der „mikrobiologischen Alchemie“ des Weins befasst. Ein Grund dafür war die Vorbereitung auf eine „Wine & Crime“-Science-Thriller-Lesung mit Weinverkostung mit Kathrin Lange im Monkey Rose in Braunschweig.
Und zu Recherchezwecken habe ich mir im Oktober das Weingut ZENI in Bardolino am Gardasee angeschaut. Solche kulinarischen Recherchetermine sind natürlich besonders schön.
Und zu Recherchezwecken habe ich mir im Oktober das Weingut ZENI in Bardolino am Gardasee angeschaut. Solche kulinarischen Recherchetermine sind natürlich besonders schön.
Lasst uns einen Blick auf die Fermentation des edlen Traubensaftes und die daran beteiligten Mikroorganismen werfen. Denn ohne sie gäbe es gar keinen Wein.
Und damit kommen wir auch nicht an der alkoholischen Gärung und dem schon etwas älteren aber sehr charmanten Weihnachtsfilm der Mikrobiolog:innen “Die Feuerzangenbowle” vorbei und der legendären Warnung von Heinz Rühmann:
„Jeder nur einen wönzigen Schlock!“
Hier ein paar weinhaltige Nerd-Fakten für eure Festtagsgespräche ;-).
Fermentation: Verwandlungskünstler am Werk
Der Begriff „Fermentation“ taucht in den unterschiedlichsten kulinarischen Zusammenhängen auf, denn er beschreibt im Grunde immer denselben magischen Trick: die Veredlung oder Umwandlung eines Ausgangsstoffes durch Pilze, Bakterien oder Hefen. Das kennen wir von Sauerkraut, Käse, Schinken, saurem Hering, aber eben auch von Kaffee, Kakao und natürlich von Wein.
Hefen oder „Zuckerpilze“
Beginnen wir unsere mikrobiologische Weinreise bei den Hefen. Hefe wird den meisten von euch wahrscheinlich in Form eines Würfels aus dem Supermarkt bekannt sein. Doch Hefepilze kommen auch ganz natürlich auf unseren Händen, auf Früchten oder in gärendem Obst vor.
Unter dem Mikroskop erscheinen sie als kleine eiförmige Zellen mit einem Durchmesser von bis zu zehn Mikrometern und einem Zellkern. Um nur ein Gramm Hefe zu erhalten, braucht es immerhin rund 20.000.000.000 dieser Zellen. Diese Pilze werden auch als Sprosspilze bezeichnet, weil sie sich durch sogenannte Knospung vermehren und neue Tochterzellen bilden.
(Abbildung: Saccharomyces cerevisiae, wikipedia, CC BY-SA 3.0)
Die bekannteste unter ihnen ist Saccharomyces cerevisiae, auch „Zuckerpilz des Biers“ genannt – abgeleitet von den lateinischen Bezeichnungen.
Der Name ist Programm: Diese Hefen können Zucker in Alkohol umwandeln.
Übrigens stellen Hefen die wichtigsten Organismen dar, die von uns Menschen in der Lebensmittelherstellung seit langer Zeit eingesetzt werden.
Die Ursprünge des Alkohols sind dabei unbekannt: Der Anthropologe Patrick E. McGovern wies zwar schon Alkoholspuren aus einer Mischung aus Reis, Honig und Früchten auf 9000 Jahre alten Tonscherben in einer jungsteinzeitlichen Siedlung in China nach.
Wahrscheinlich hat der Mensch den Alkohol aber gar nicht „erfunden“. Interessanterweise sind nämlich alle Wirbeltierarten mit einem Leberenzymsystem ausgestattet, das Alkohol abbauen kann.
Tierische Saufnasen: Happy Hour im Urwald
Viele Tiere nehmen in ihrer natürlichen Umgebung Alkohol auf. Eine richtige kleine „Saufnase“ ist das Federschwanz-Spitzhörnchen (Ptilocercus lowii) im malaysischen Regenwald.
Quelle: Das Spitzhörnchen Ptilocercus lowii. Joseph Wolf (1820–1899), Proceedings of the Zoological Society of London, 1848, Mamm. pl. 2)
Als lebender Vorfahre der Primaten hat das Spitzhörnchen den zu Alkohol fermentierten Nektar in den Blütenknospen der Bertrampalme (Eugeissonia ztistis) als Delikatesse entdeckt, der dort von einer Gemeinschaft von Hefen produziert wird. Gleichzeitig erfüllt es dabei die lebenswichtige Aufgabe, die Palme zu bestäuben. Das bekommt es trotz der 3,8 Prozent Alkohol im vergorenen Blütennektar auch noch gut hin: Denn bemerkenswerterweise zeigen die Spitzhörnchen keine Anzeichen von Trunkenheit.
Auch Elefanten, Affen und Flughunde lieben Alkohol aus vergorenen Früchten. Der Suchtforscher Ronald Siegel beschreibt ganze Menagerien von Dschungeltieren, die sich über Kilometer in Bewegung setzen, sobald der verlockende Duft gärender Stinkfrüchte wahrzunehmen ist.
Daher ist auch anzunehmen, dass unsere menschlichen Vorfahren schon sehr lange genau wussten, wo sie solche Dschungelgelage feiern konnten oder wo sie spezielle Früchte, Wurzeln oder Knollen sammeln konnten – lange bevor sie Wein in Fässern ansetzten.
Die erste Gärung: Alkoholische Fermentation
Die wichtigste Phase der Weinherstellung ist die alkoholische Gärung. Im Weinkeller geht es bei diesem Prozess, zumindest mikroskopisch, durchaus lebhaft zu: Der im Traubensaft oder Most enthaltene Zucker wird von Hefen in Alkohol und Kohlendioxid umgewandelt, wobei sich zugleich Wärme entwickelt. Diese biochemische Zauberei heißt alkoholische Gärung und markiert immer den Auftakt bei der Weinwerdung.
Wie viel Zucker tatsächlich in Alkohol verwandelt wird, entscheidet darüber, ob der Wein trocken, halbtrocken, feinherb oder süß wird. Die Winzerinnen und Winzer können die Gärung durch Kühlung stoppen, um mehr Restsüße im Wein zu erhalten. Generell gilt aber: Je trockener der Wein, desto höher meist der Alkoholgehalt.
In Zeiten des Klimawandels ist das übrigens ein sehr konkretes Thema: Mehr Sonnenschein bedeutet mehr Zucker in den Trauben und somit mehr Alkohol im Endprodukt. Ein Balanceakt zwischen Klimawandel und Kellerkunst!
Die zweite Gärung: Schaum und Säure-Tuning
Bei Schaumweinen wie Sekt, Champagner oder Prosecco bleibt das bei der ersten Gärung entstehende CO₂ in der Flasche – und sorgt so für den perligen Effekt im Glas. Eine zweite Flaschengärung ist hier also für den „Blubber-Effekt“ entscheidend.
Noch eine Gärung mit Milchsäurebakterien
Stellt euch vor, jemand tauscht heimlich die kitzelige Apfelsäure des Weins gegen eine milchig-sanfte Version aus – genau das passiert bei der sogenannten malolaktischen Gärung, unter Weinfreund*innen kurz „Malo“ genannt. Dabei wird Apfelsäure in Milchsäure umgewandelt und gleichzeitig Kohlendioxid freigesetzt.
Dieser Prozess wird auch biologischer Säureabbau (BSA) genannt. Allerdings führt der Begriff „Säureabbau“ etwas in die Irre: Tatsächlich wird keine Säure abgebaut, sondern nur in eine am Gaumen milder wirkende Variante umgewandelt. Der Wein schmeckt danach nicht nur weicher, die Abnahme der Säuregehalte sowie die damit einhergehende Steigerung des pH-Wertes sorgen auch dafür, dass Gerbstoffe weniger hart und pelzig im Mund wirken.
Verantwortlich für diese Umwandlung sind Milchsäurebakterien (Oenococcus oeni), die entweder durch spontane natürliche Infektion oder aber durch bewusste Zugabe in den Wein gelangen. Oenococcus oeni ist ein grampositives Bakterium aus der Ordnung der Milchsäurebakterien (Lactobacillaceae).
(Abbildung: O. oeni – Oenococcus oeni – Wikipedia (Opens in a new window))
Vor allem bei Rotweinen ist malolaktische Gärung in aller Regel gewollt, da der Effekt wie ein weiches Samtmäntelchen über die kantigen Spitzen der Säure legt.
Bei Weißweinen ist dieser Prozess weniger häufig erwünscht, da man oft eher auf Frische und Spritzigkeit setzt. Statt fruchtiger Noten taucht plötzlich eine buttrige Note auf, die man auch aus tschechischem Budweiser-Bier kennt. „Übeltäter“ ist hier das Aroma Diacetyl.
Dennoch gibt es Ausnahmen, etwa bei bestimmten Chardonnays oder Weißburgundern, die so an Cremigkeit und Fülle gewinnen. In Deutschland, vor allem beim Riesling, gilt „Malo“ meist als ungebetener Gast. Um den Prozess zu verhindern, stabilisiert man den Wein frühzeitig durch Filtration oder Zusatz von Sulfiten.
Naturwein-Fans hingegen scheuen solche Eingriffe: Bei ihnen darf die Malo auch bei Weißweinen munter ablaufen. Wer es jedoch übertreibt, riskiert einen penetranten Milchsäurestich, bei dem der Wein eher nach Joghurt oder Sauerkraut schmeckt. (Brrrhhh!!)
Wenn ihr euch für die Alchemie der Weinherstellung interessiert, dann besucht doch eine Weinverkostung bei Winzer:innen in eurer Region oder in einem guten Weinfachgeschäft.
Ich empfehle euch zum Schluss noch den Wein-Podcast „Bei Anruf Wein – Der Weinpodcast“ (Opens in a new window)(z. B. bei Podcasts). Dort gibt es sogar Informationen zu Wein ganz ohne Alkohol.
Zum Schluss wünsche ich euch friedliche und ruhige Weihnachten angesichts der traurigen Nachrichten aus Magdeburg und Bernburg meiner alten Heimatstadt in Sachsen-Anhalt und habt einen guten Start ins neue Jahr!
Dann gibt es auch mehr zu neuen Plänen vom Autorinnen-Schreibtisch und erste Termine für 2025.
Schreibt mir sehr gern, ich freue mich über ein Like oder über Feedback
Viele Grüße
Eure Susanne Thiele
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