Weiermanns Juristische Wochenschrift (KW51)
Hallo,
weihnachtlicher als dieses bizarre Bild wird es hier nicht. Dafür berichte ich von nicht weniger bizarren Erfahrungen mit der Justiz.
Am Donnerstag habe ich meinen Vormittag im Wuppertaler Landgericht verbracht. Die Berufungsverhandlung gegen Carlotta Steinkamp stand auf dem Plan. Die Fotografin hatte im Januar 2022 die Räumung des Osterholz bei Wuppertal begleitet. Carlotta befand sich am zweiten Tag der Räumung auf einer Plattform in einem der Camps der Aktivist*innen. Auf Aufforderung der Polizei verließ sie die Plattform. Ihre Personalien wurden von der Polizei aufgenommen. Im Mai diesen Jahres fand vor dem Amtsgericht der erste Prozess (Opens in a new window)statt. Wegen Hausfriedensbruchs wurde sie zu einer Strafe von 60 Tagessätzen in Höhe von 30 Euro verurteilt. Steinkamps Rolle als Fotojournalistin, die aus beruflichen Gründen im Wald war, wurde dabei nicht berücksichtigt.
Nun also die Berufung. Am Donnerstag wurde immer klarer, dass die Staatsanwaltschaft nicht nachweisen kann, seit wann sich Carlotta im Wald befunden hat und wie sie in den Wald gekommen ist. Ob ihr überhaupt bekannt war, dass sie eventuell Hausfriedensbruch begangen hat. Ihre Rolle als Journalistin wurde dabei noch gar nicht richtig besprochen und trotzdem neigte das Gericht gestern zu einer Einstellung des Verfahrens. Carlotta und ihr Anwalt hätten dem zugestimmt, wenn ohne eine Geldstrafe eingestellt worden wäre. Das wollte die Staatsanwaltschaft allerdings nicht. Deswegen geht es im Januar weiter. Ich kann mir vorstellen, dass die Kollegin ganz gute Chancen hat, unbehelligt aus der ganzen Nummer rauszukommen.
Nun hänge ich ja nicht ständig in Gerichten rum, und bin auch ganz froh, das nicht schwerpunktmäßig zu tun. Wahrscheinlich überraschen mich deshalb Eindrücke wie am Donnerstag: Ein Video sollte abgespielt werden, auf dem die Durchsage an Carlotta und wie sie sich vom Baum abgeseilt hat, zu sehen waren. Das war aber gar nicht so einfach. Im ersten Prozess schauten sich die Beteiligten das Video auf dem Rechner von Carlottas Anwalt an. Der Richterin lag es nicht vor. Diesmal hatte der Richter eine CD mit dem Video. Nur die Technik, sie wollte nicht, der Richter klickte und klickte auf das Symbol für das DVD-Laufwerk, begleitet von Tipps des im Zeugenstand sitzenden Polizisten und dem Angebot von Carlottas Anwalt, dass man das Video wieder auf seinem Laptop anschauen könne. Der Richter wollte aber lieber die schicken Bildschirme im Saal nutzen. (Was deutlich Zuschauer*innen freundlich ist.) Und ließ einen technikkundigen Justizwachtmeister in den Saal rufen. Der öffnete das DVD-Laufwerk im Richter-Rechner, nahm den Datenträger raus und erklärte: “Das ist ne Blu-ray, wir können hier nur DVDs abspielen.” Die Lösung, die Blu-ray auf eine DVD zu brennen, scheiterte. Aber der Wachtmeister kam mit einem HDMI-Kabel zurück und so konnte das Video über den Rechner des Verteidigers auf die großen Bildschirme abgespielt werden. Im Ergebnis ungefähr 30 Minuten Aufwand, für ein sechsminütiges Video. Ich habe ja den ganz kleinen Verdacht, dass es möglich wäre, Akten für Gerichtsverhandlungen ein bisschen besser vor- und aufzubereiten.
Einer, mit dem sich die Justiz auch ein bisschen intensiver beschäftigen könnte, ist Steven Feldmann. Der ist Neonazi und ein kleiner Szenestar. Aber er ist auch ein Gewalttäter und sollte seit einem Monat im Gefängnis sitzen. Dass er in Chemnitz eigentlich auf der Anklagebank sitzen sollte, kommt als Bonus noch oben drauf. Nun könnte man annehmen, dass die Behörden ein erhöhtes Interesse haben, so jemanden zu schnappen. Das scheint mir aber nicht so wirklich gegeben: Wer sucht »Habibi Steven«? (Opens in a new window)
Und ehrlich gesagt haben mich die Telefonate, die ich geführt habe, um herauszufinden, wer eigentlich nach Feldmann sucht, ein bisschen verärgert. Klar, keine Pressestelle sagt mir: “Wir sind nah dran und planen übermorgen, den auf Helgoland zu verhaften.” Aber das Engagement, dass ich aus Telefonaten und Mails herausgehört habe, war, nun ja, nicht besonders intensiv.
Kostprobe? So beantwortet das Landgericht Chemnitz mehrere Fragen, die ich gestellt habe. Die Antwort kam übrigens zu spät für den Artikel.
“ Sehr geehrter Herr Weiermann,
wie ich dem Protokoll der Verhandlung vom 11.12.2023 entnehme, ist Herr Feldmann zum Termin nicht erschienen, da er seine Haftstrafe in anderer Sache nicht angetreten hat und deshalb ein Vollstreckungshaftbefehl erlassen wurde. Ich gehe daher davon aus, das die Staatsanwaltschaft Dortmund, die den Vollstreckungshaftbefehl erlassen hat, ihn schon zur Fahndung ausgeschrieben hat.
Wenn Herr Feldmann festgenommen werden sollte, wird das auch hier bekannt.”
Einsatz sieht für mich ein bisschen anders aus (Opens in a new window). Nun, immerhin konnte die Frankfurter Rundschau gestern melden (Opens in a new window), dass ein EU-weiter Haftbefehl gegen Feldmann erwirkt wurde.
Da, wo Steven Feldmann am aktivsten war, in Dortmund, hat diese Woche, 498 Tage nach der Tat auch der Prozess gegen die Polizist*innen begonnen (Opens in a new window), die am tödlichen Einsatz gegen Mouhamed Dramé beteiligt waren. Viel ist da am ersten Verhandlungstag noch nicht passiert. Interessant ist aber, was im Vorfeld so los war. Im November haben Angehörige von Mouhamed Dortmund besucht. Dieser Besuch scheint aber unter fast schon konspirativen Bedingungen (Opens in a new window) stattgefunden zu haben. Der Solidaritätskreis Justice4Mouhamed hat zu dem Besuch einen Offenen Brief (Opens in a new window) mit zahlreichen Fragen an die Stadt geschrieben, der sich zu lesen lohnt. Die ganze Geschichte stinkt nämlich ein wenig. In Dortmund ist die Stadtspitze traditionell ganz gut darin, Initiativen mit unangenehmen Positionen auszugrenzen. Es scheint auch hier so, als ob man beabsichtigt, den Solikreis aus der Solidaritätsarbeit rauszudrängen. Der stellt nämlich auch Fragen nach institutionellem Rassismus oder nach der rassistischen Stigmatisierung von Bewohner*innen der Nordstadt. Das ist natürlich nicht so schön, wenn man die tödlichen Schüsse auf Mouhamed doch auch als “tragischen Einzelfall” oder “aus dem Ruder gelaufenen Polizeieinsatz” labeln kann.
Zum Schluss noch eine Beobachtung. Anfang Dezember gab es die Meldung (Opens in a new window), dass in einer Dortmunder Psychatrie ein Patient einen anderen getötet hat. Diese Woche eine ähnliche Nachricht (Opens in a new window) aus Köln. In Wuppertal soll sich außerdem vor einer Woche ein Untersuchungshäftling selbst das Leben genommen (Opens in a new window) haben. Nun bin ich weder Knast- noch Psychatrieexperte. Aber so ganz richtig kann es nicht sein, wenn Menschen, die auf die eine oder andere Art unter Aufsicht stehen, sterben. Ich weiß nicht wie die Personalsituation in diesen Einrichtungen ist, ich vermute aber, sie ist wie fast überall schlecht. Das ist ziemlich ärgerlich, wenn deshalb Busse ausfallen oder Termine auf Ämtern schwer zu bekommen sind. Aber, da wo es im Zweifelsfall um Menschenleben geht, darf einfach nicht gespart werden.
Tja, das war jetzt hoffentlich kein Stimmungskiller. Ich wünsche euch schöne, hoffentlich arbeitsfreie Tage. Egal, ob und was ihr feiert.
P.S. Ein juristisches Kuriosum aus der Schweiz noch. Da streitet man seit 20 Jahren über Nazi-Symbole. (Opens in a new window) Die sind legal, eigentlich wollen viele sie aber verbieten. Jetzt denkt man darüber nach, was noch alles verbotswidrig sein könnte. Hakenkreuz und Co. bleiben so lange legal.