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Öl, Gas, Gewalt

Die Nachrichten sind gerade schwer auszuhalten; der übliche Good-News-Einstieg will nicht so leicht von der Hand gehen wie sonst, und wahrscheinlich ist das auch richtig und angemessen so.

Wir versuchen es trotzdem - nicht, um uns und euch Scheuklappen aufzuziehen und so zu tun, als gäbe es das Grauen nicht, sondern in der Hoffnung, dass es ein bisschen Halt gibt für die Momente, in denen das Grauen so viel, das Hinschauen so schmerzhaft und die Hilflosigkeit so groß wird, dass man zynisch werden, aufgeben, abstumpfen möchte.

Wir werden gebraucht. Unsere Aufmerksamkeit, unser Mitgefühl und unsere Stimmen werden gebraucht, um uns dem Hass und der Gewalt entgegenzustellen, die auch hier bei uns auf viel zu fruchtbaren Boden fallen. Wir hoffen, dass ein paar gute Nachrichten einen kleinen Beitrag dazu leisten, für die Auseinandersetzung mit den schlechten Nachrichten etwas mehr Kraft zu haben.

Und dann sprechen wir über Geld.

Good News

“Immense finanzielle Mittel”

Das heutige Thema verdanken wir einem anderen Newsletter, nämlich “Der siebte Tag” von Nils Minkmar, der dort zuletzt (Opens in a new window) folgenden Satz schrieb:

Die Feinde der offenen Gesellschaft, so unterschiedlich sie sich geben, haben eine Gemeinsamkeit: Ihr mörderischer Hass auf Juden, Frauen und Minderheiten bliebe mehr oder minder privat, wenn sie nicht über diese immensen finanziellen Mittel verfügten.

Eines zu Beginn: Wir wissen, wie leicht es ist, sich mit diesem Thema zu verheben - sich zu wenig zu positionieren, sich zu viel zu positionieren, Gefühle zu verletzen, der Komplexität der Lage nicht gerecht zu werden. Wir gehen dieses Risiko ein, weil wir es für wichtig halten, einen wenig thematisierten Aspekt der Gewalt im Nahen Osten aus unserer Perspektive zu beleuchten. Dabei muss aber immer das Folgende völlig klar bleiben:

Die Entscheidung für das Massaker in Israel traf einzig und allein die Terrororganisation Hamas.

Die Verantwortung für den Mord an über 1400 unschuldigen Männern, Frauen und Kindern trägt einzig und allein die Terrororganisation Hamas.

Mit einem Freiheitskampf für Palästina hat das nichts zu tun, die Hamas kämpft keinen Freiheitskampf, ihre Agenda ist die Vernichtung Israels.

Erst vor dem Hintergrund dieser Feststellung halten wir es für möglich - und wichtig – sich den weiteren Kontext des Konfliktes anzusehen. Das tun ausführlich zum Beispiel Friedemann Karig, Samira El Ouassil und Richard C. Schneider im Polit-Podcast Piratensender Powerplay (Opens in a new window) auf eine Weise, bei der wir uns sehr gut aufgehoben gefühlt haben; wir selbst wollen das in diesem Rundbrief aus unserer spezifischeren Perspektive tun und damit einen Aspekt der Ereignisse beleuchten, der sonst nur wenig diskutiert wird.

Denn dass die Hamas bei allem Vernichtungswillen überhaupt die Möglichkeit hat, eine solchen Zivilisationsbruch zu begehen, ist nicht selbstverständlich. Die Ressourcen, die dafür nötig sind, sind nicht trivial.

Woher kommt das Geld?

Als Hauptunterstützer der Hamas gilt der Iran: der Iran zahlt bewaffneten palästinensischen Gruppen im Gazastreifen laut U.S. Gutachten bis zu 100 Millionen (Opens in a new window) Dollar jährlich, davon um die 70 Millionen allein an die Hamas. Das sind natürlich alles Schätzungen, frei zugänglich sind diese Zahlen nicht, aber die Hausnummern sind definitiv groß. Dazu kommen Know-How im Raketenbau und Schulungen der Hamas-Kämpfer durch die iranischen Revolutionsgarden.

https://twitter.com/superredaktion/status/1719379130716741903 (Opens in a new window)

Auch Katar (wir erinnern uns: Gastgeber der letzten WM) unterstützt die Hamas maßgeblich. Bis zu 30 Millionen Dollar im Monat soll Doha (Opens in a new window) in der Vergangenheit nach Gaza geschickt haben, ein Großteil davon soll an die Hamas gegangen sein. Darüberhinaus operieren viele Führungskräfte der Hamas von Katar aus (Opens in a new window).

https://twitter.com/superredaktion/status/1719379227332501962 (Opens in a new window)

Eine weitere verbündete Terrororganisation – und nach Einschätzung vieler Experten die größte Bedrohung für Israel – ist die Hisbollah, die ebenfalls vom Iran mitfinanziert wird und als militärischer Arm Teherans im Nahen Osten gilt. 2018 lagen Schätzungen bei um die 700-800 Millionen Dollar jährlich (Opens in a new window), die vom Iran zur Hisbollah fließen. Die Hisbollah wird außerdem aus dem Iran, aus Russland und China (Opens in a new window) mit Panzern und anderen Waffen beliefert.

Im Resultat ist die Hamas mit einem operativen Jahresbudget im dreistelligen Millionenbereich (Opens in a new window) unterwegs; 2018 führte das US-amerikanische Forbes-Magazin sie in einer Liste (Opens in a new window) der reichsten Terrororganisationen der Welt auf Platz drei. Das US-Finanzministerium erklärte in einer Mitteilung aus dem Jahr 2022, das Vermögen der Organisation betrage knapp 472 Millionen Euro.

Und warum sind Katar und Iran dafür reich genug?

Im letzten Geschäftsjahr (Opens in a new window) hat der Iran 1,4 Millionen Barrel Öl pro Tag (bpd) zu 70$ pro Barrel exportiert – das ist der höchste Stand, seitdem die USA 2018 ihre Sanktionen wieder in Kraft setzten und entspricht etwa einem Drittel des Gesamtumsatzes des Landes.

Den größten Teil des Öls verkauft der Iran nach China, und dazu gibt nicht allzu viele Alternativen, weil der Westen als Absatzmarkt der Sanktionen wegen ausfällt. Man darf davon ausgehen, dass die iranische Regierung den wahnwitzig schnellen Ausbau von Erneuerbaren Energien (Opens in a new window) und Elektromobilität (Opens in a new window) in China unter großem Nägelkauen beobachtet: China hat in der Hinsicht zwar einen weiteren Weg vor sich als andere, aber es läuft derzeit – trotz massiver Investitionen in Kohlekraftwerke (Opens in a new window) – schneller und entschlossener Richtung fossilfreie Energie als viele andere Länder der Welt; zuletzt hat der chinesische Ölriese Sinopec seine Prognose für das endgültige Überschreiten des Höhepunkts der Ölnachfrage des dortigen Verkehrssektors noch einmal überraschend um zwei Jahre nach unten korrigiert (Opens in a new window) – auf nächstes Jahr.

Der Iran, sein Öl, sein Geld und was er sich dafür kauft - eine eindrucksvolle Geschichte, was den unguten Zusammenhang zwischen fossilem Reichtum und islamistischem Terror in Nahost angeht. So ganz anders als die Geschichte über die wirtschaftlichen Vorbedingungen des russischen Kriegs gegen die Ukraine ist sie nicht – aber zuletzt ist sie mit dem Überfall der Hamas auf Israel in schrecklicher, unübersehbarer Eindringlichkeit neu veranschaulicht worden.

Eindrucksvoll, aufwühlend – aber “nur” eine Geschichte über andere Leute. Denn Dank der von Deutschland und der EU mitgetragenen Sanktionen fließt kein iranisches Öl in den Adern der hiesigen Infrastruktur (fast (Opens in a new window)).

Katar hingegen… Katar ist inzwischen der größte Flüssiggas-Exporteur der Welt. Laut dem International Monetary Fund (Opens in a new window) machten 2021 die Einnahmen aus dem Gassektor im Land 81% der gesamten Staatseinnahmen aus. Die Energiekrise durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine hat diese Stellung des Landes in der Welt und gegenüber Europa noch verbessert – auch Deutschland hat im November 2022 (Opens in a new window) einen Liefervertrag unter anderem mit Katar geschlossen, um seine fatale, jahrelange Abhängigkeit von russischem Gas zu beenden.

Unsere Heizungen und Gaskraftwerke haben Putins Regime dabei geholfen, den Angriffskrieg gegen die Ukraine auf eine mehr als solide finanzielle Basis zu stellen, jetzt haben wir mit Katar einen Vertrag über 15 Jahre Flüssiggaslieferungen. Die Menge mag im Vergleich vernachlässigbar sein - die Lieferungen aus Katar decken lediglich 3% des deutschen Gasbedarfs (Opens in a new window), den Rest bekommen wir aus Norwegen, den USA und den Niederlanden.

Aber nicht nur müssen wir deswegen hier in neue fossile Gas-Infrastruktur investieren, die wir eigentlich gar nicht mehr wollen sollten, sondern füllen damit Kassen, mit denen ein autokratisches, Menschenrechte mit Füßen tretendes Regime Pläne zur Vernichtung Israels mitfinanziert.

Die Einnahmen durch Öl und Gas in der Region machen die Finanzierung von Terrorgruppen wie der Hamas und der Hisbollah in dieser Größenordnung überhaupt erst möglich.

Abhängigkeit von verbrecherischen Regimen

Nun machen fossile Rohstoffvorkommen ein Land sicher nicht zwangsläufig zum Schurkenstaat (Kanada und Norwegen zum Beispiel werden das gerne bestätigen), und es gibt umgekehrt, anders als oft erzählt wird, eigentlich keine empirische Grundlage für die Annahme, dass Frieden in der Welt einkehren wird, wenn nur die fossilen Energien aus ihr verschwinden (Opens in a new window); auch dezentrale erneuerbare Energiesysteme können in konfliktgeladenen Regionen als Einnahme- und Machtquelle genutzt werden.

Aber die aktuelle Korrelation zwischen fossilen Exporten und Schurkenstaatlichkeit ist nicht zu übersehen. Abhängigkeit von fossilen Importen bedeutet in dieser Welt fast zwangsläufig Abhängigkeit von verbrecherischen Regimen. Es bedeutet die Mitfinanzierung und damit die Ermöglichung von Terror, Unterdrückung, Gewalt und Tod.

Wer sagt, wir haben keine Wahl, sonst gehen bei uns die Lichter aus, und die Heizungen auch, hat leider nicht ganz unrecht. Noch. Wir können vermutlich gerade nicht anders, als das auszuhalten. Aber wir haben in der Hand, wie lang es noch so weitergehen soll. Denn dieser Zustand ist nicht in Stein gemeißelt, wir können ihn ändern.

Wind und Sonne gibt es überall

Im Umkehrschluss bedeutet nämlich eine nicht in einzelnen Regionen konzentrierte, sondern dezentrale Energieversorgung mit Erneuerbaren – neben den vielen anderen Vorteilen, zum Beispiel dem nicht ganz unwichtigen Erhalt unserer Lebensgrundlagen – eine freiere Hand in der Wahl unserer Energiepartnerschaften: Wind und Sonne gibt es überall, mal mehr, mal weniger, aber sicher nicht nur im Iran, in Russland und Katar. In einer weniger von fossilen Energien abhängigen Welt könnten wir und andere einer ganzen Reihe von Diktatoren, Autokraten, Antisemiten und Hasspredigern die Möglichkeit entziehen, ihre zerstörerischen Ideen in die Tat umzusetzen.

https://twitter.com/superredaktion/status/1719379398942478531 (Opens in a new window)

Ergo: Je schneller wir unabhängig von fossilen Energien werden, desto weniger finanzieren wir indirekt auch Kriege wie diesen mit.

Dieses Prinzip bliebe auch dann gültig, wenn wir in Deutschland unser Öl und Gas ausschließlich aus soliden Demokratien bekämen: Mit der zunehmenden Elektrifizierung von allem, was nicht bei drei auf den Bäumen ist, hier und anderswo, wird die Nachfrage nach fossilen Energieträgern rapide sinken, und damit auch die Gewinne, die damit eingefahren werden können. Man kann das schon jetzt ganz schön am Beispiel der aktuellen und (konservativ) prognostizierten Entwicklung des E-Auto-Marktes sehen (Opens in a new window): Der weltweite Öl-Absatz ist kurz davor, seinen Höhepunkt zu erreichen, bevor es abwärts geht, und der wachsenden Anteil von E-Mobilität im Straßenverkehr spielt dabei eine wesentliche Rolle.

Dazu, dass dieser Wandel möglichst schnell passiert, können wir alle beitragen. Um es - etwas verkürzt - auf den Punkt zu bringen:

Jede Wärmepumpe, jedes Elektroauto, jeder Ökostromvertrag und jeder Tritt in den Hintern einer allzu trägen Politik, jede Investition in echte Zukunftstechnologien statt in vermeintlich gewinnbringenderen Dinosauriersaft ist auch ein Schritt weg von der Finanzierung von Terrorismus, Hass und Gewalt im Nahen Osten.

Tipp des Monats

Das war viel Düsternis, an der dieser Tage kein Weg vorbeiführt. Verlassen möchten wir euch heute daher mit einer weiteren kleinen Aufhellung: Auf dieser (Opens in a new window) Seite der niederländischen Tourismusbehörde könnt ihr eine beliebige Straße mit Hilfe von künstlicher Intelligenz hollandisieren, also fahrrad-, fußgänger- und überhaupt lebensfreundlicher machen. Überall könnte Utrecht sein! Wäre doch schön.