Trinken (#8)
Neben mir: ein Glas Wasser, ein Becher Tee. In den letzten Tagen habe ich zu wenig getrunken, ich merke das durch leichte Kopfschmerzen, so ein Unwohlsein. Müdigkeit; aber die könnte auch woanders herrühren. Ich denke darüber nach, die Anfangssätze wieder zu streichen, weil sie hauptsächlich meine Schüchternheit diesem Text gegenüber ausdrücken. Ich setze neu an:
Im Sommer notiere ich eine Liste mit möglichen Themen für die Soft Practice, ich notiere u.a.: Alkohol & Literatur, und meine damit die Selbstverständlichkeit des Trinkens in der Branche, diese tiefe Verwurzelung. Ich meine die standardmäßig mit Alkohol gefüllten Backstage-Kühlschränke, die Buchmessen-Partys, die Weingläser auf Lesungstischen, die Weinflaschen zum Dank nach Veranstaltungen, die Verlagsessen mit Crémant, die niemals endenden Gelegenheiten, anzustoßen (Vertragsunterzeichnungen, Bucherscheinungen, Bestsellerlistenplätze, Verkaufszahlen, Rezensionen, Nominierungen, Longlists, Shortlists, Preise), die tausend Gründe, trotzdem anzustoßen (Bestsellerlistenplätze, Verkaufszahlen, Rezensionen, das Ausbleiben von Nominierungen und Preisen). Ich meine damit das falsche Hemingway-Zitat (Opens in a new window)"Write drunk, edit sober", dieses ewige Klischee trinkender Schriftsteller*innen, ich meine damit auch die Allgegenwärtigkeit von Alkohol in der Literatur selbst.
In meinen beiden Romanen wird ordentlich gebechert, geraucht, es werden auch andere Drogen konsumiert. Gehört halt dazu. In so vielen Romanen und Erzählungen wird Drama, werden Emotionen durch Alkoholexzesse gezeichnet, und/oder wird Sucht als Mittel genutzt, um gescheiterte Existenz darzustellen. Junge, traurige, edgy Protagonist*innen, die trinkend durch Großstädte taumeln und denen dann Sachen passieren. Edgy, dabei aber auch so normal, wie im echten Leben halt, oder? Psychisch angeschlagene Protagonist*innen, bei denen schnell klar wird, dass sie aus alkoholbelasteten Familien kommen. Und alkoholbelastete Familien stehen meistens für: Schnapsflaschen, morgens. Erbrochenes auf Wohnzimmerteppichen, Briefkästen voller Mahnungen, Gewalt. Nicht, dass das irgendwie realitätsfern wäre, das ist es leider überhaupt nicht. Aber es wird eben deutlich, sehr deutlich voneinander abgegrenzt, was problematisches, missbräuchliches und was sogenanntes normales Trinkverhalten ausmacht.
Dass Alkohol und Literatur zusammengehören — no surprise. Alkohol und Gesellschaft gehören zusammen, und weder die Branche noch die Literatur selbst existieren völlig losgelöst davon. Und auch in der Gesellschaft wird Alkohol verharmlost, wird außerdem ordentlich abgegrenzt: Trinker*innen sind immer nur die anderen, die, die auf Entzug müssen, die längst jede Kontrolle über ihr Leben verloren haben, die [insert beliebiges Alkoholiker*innen-Klischee]. Und ansonsten ist Trinken eben normal. Gehört dazu. Machen alle. Und doch wohl wenigstens zum Anstoßen, oder?
Im Sommer notiere ich also diese Liste, ich notiere Alkohol & Literatur, und meine damit eigentlich Alkohol & Schreiben, und meine damit eigentlich Alkohol & (m)ich.
Ich schreibe diesen Text gegen Ende Oktober, mehr zufällig als absichtlich, und ich veröffentliche ihn, mehr absichtlich als zufällig, an dem Tag, an dem ich seit vier Jahren nicht getrunken habe.
Zweimal, dreimal, viermal setze ich neu an. Ein alternativer Anfang: Letztes Jahr habe ich über die Zeit geschrieben, in der ich aufgehört habe, Alkohol zu trinken. Die work in progress-Version jenes Texts endet mit den Sätzen "Das ist nicht der Tag, an dem ich aufhöre zu trinken. Ich glaube, ich höre auf Thunfisch zu essen an diesem Tag." Ich schrieb über einen Katertag und mein guilty pleasure, zu so einem Anlass Thunfischpizza zu essen. Über einen Katertag nach einem Abend, an dem ich allein Rotwein getrunken habe, in der kleinen Stipendiat*innen-Wohnung, in der ich damals für ein paar Wochen wohnte.
Sofort will ich hinzufügen: Nicht viel. Ich habe allein nicht viel Rotwein getrunken, nur ein bisschen. Außerdem bin ich produktiv gewesen dabei, ich habe an einer Bewerbung gearbeitet, an einem Exposé. Ich will sofort hinzufügen: Sowieso habe ich nie viel Alkohol gebraucht. Und das stimmt, mein Körper hat mir immer schon sehr klare Grenzen kommuniziert. Ich hatte auch Kater nach einzwei Getränken, aber das bedeutet eben auch, dass es nach diesen einzwei Getränken ja sowieso schon zu spät war. Egal. Und deswegen blieb es dann oft genug/zu oft nicht bei einzweiGetränken, deswegen verlor ich oft genug/zu oft die Kontrolle.
Im Text vom letzten Jahr nähere ich mich einem Datum im Oktober 2019, aber ich komme dort nicht an. Ich schreibe nicht: Mein letztes alkoholisches Getränk war kein Rot-, sondern Weißwein. Schorle, um genau zu sein, Weißweinschorle und Pfeffi. Ich schreibe nicht: Diesen letzten Alkohol trank ich am 26. Oktober 2019 in Berlin und musste ihn, wie so viel Alkohol in meinem Leben, nicht bezahlen. Wie so viel Alkohol in meinem Leben kam auch dieser aus einem Backstage-Kühlschrank (und, richtig eklig, aus einem Brunnen auf der Aftershow-Party), und ich bediente mich großzügig selbst.
Ich schreibe jetzt: Am nächsten Tag (sparen wir uns die Ausführungen darüber, wie schlecht es mir ging) beschloss ich, aufzuhören. Und hörte auf. Ich schreibe jetzt: Es ist mir nicht schwergefallen, aufzuhören. Es war kein Kampf, es war im Gegenteil irgendwie sehr, sehr smooth. Nach meinem Berlin-Ausflug war ich zurück in der kleinen Wohnung in Stuttgart. Ich ging in die Sauna und las Bücher, ich kochte mir Gemüsecurry und ging spazieren, ich machte das, was sich später als die Recherche für mein letztes Buch entpuppte, und ich war schon nach kürzester Zeit — ich glaube ja fast, noch mit Restalkohol im Blut — mittendrin in der Pink Cloud (von der ich nicht wusste, dass sie existiert). Ich war erleichtert, euphorisch, high on Nüchternheit und kurzzeitig überzeugt davon, damit nun all meine Probleme gelöst zu haben, wie praktisch.
Nach dem ersten Jahr ohne Alkohol postete ich etwas dazu auf Instagram, ich verwendete das Wort "nüchtern", und prompt schickte mir jemand eine Nachricht: Ich hätte doch gar keine Ahnung, wovon ich rede, wenn ich nicht mal in einer Klinik gewesen sei, und ich müsse aufhören, es so darzustellen, als wäre es einfach.
Ein weiterer alternativer Anfang: Manchmal denke ich, es wäre so einfach, jetzt was zu trinken. Es wäre so viel einfacher, etwas wegzuschieben, zu verdrängen, zu vergessen, etwas nicht zu fühlen. So habe ich in den ersten anderthalb bis zwei Jahren ohne Alkohol kaum gedacht, und wenn, dann höchstens in Form von Lob an mich selbst, oh, früher hätte ich in dieser Situation definitiv getrunken, jetzt mache ich das nicht, wow. Die Pandemie spielte mir während dieser Anfangszeit in die Karten, denn zwischen meinem Aufhören im Stipendium und dem ersten Lockdown gab es kaum Gelegenheiten, meine neue Nüchternheit in soziale Interaktion einzubetten, in Kontexte, in denen ich vorher getrunken hatte. Auftritte, Lesungen, Partys, Abendessen in großer Runde. Ich schreibe jetzt: Es ist vielleicht immer einfacher zu trinken, als es nicht zu tun.
Ein weiterer alternativer Anfang: Ich habe nicht oft zumSchreiben getrunken, aber ich habe definitiv angetrunken geschrieben. Slam-Texte, Romanfragmente, vor Jahren, während des Studiums oder noch früher. Eine gewisse Notwendigkeit gespürt habe ich eher beim Rauchen. Ein paar Wochen vor Abgabe des zweiten Romans fing ich damit wieder an, vorsichtshalber, weil ich (ernsthaft?) befürchtete, es ansonsten nicht hinzukriegen. Getrunken habe ich aber vorrangig danach. Nach dem Schreiben. Um runterzukommen, um loszulassen, um nicht mehr dran zu denken. Um auszuhalten, nicht geschrieben zu haben. Um auszuhalten, geschrieben zu haben, oder, schlimmer noch, veröffentlicht. Getrunken habe ich bei Veranstaltungen, nach Interviews, nach einer Preisverleihung, bei der ich leer ausging. Getrunken habe ich, meistens, umgeben von anderen Menschen. Und erst in den letzten zwei Jahren fällt mir auf, wie schnell ich, umgeben von Menschen, das Gefühl für mich selbst verliere.
Präziser: Ich verliere das Gefühl für mich selbst, für meine Grenzen, sobald ich von mehreren, von vielen Menschen umgeben bin, von Menschen, die ich nicht gut oder gar nicht kenne. Ich verliere es je nach Situation auch umgeben von Freund*innen. Ich bemerke dann plötzlich, mein Teller ist leer, dabei kann ich mich gar nicht erinnern, gegessen zu haben. Ich weiß nicht, ob ich satt bin oder durstig, und als ich noch getrunken habe, habe ich das in etwa genauso gemacht: von mir abgetrennt, automatisiert. Als Reaktion auf das Trinken der anderen, als Reaktion auf meine Überforderung, auf zu viele Reize, als Prophylaxe gegen Unsicherheit, auch das. Sofort will ich hinzufügen: Das soll keine Rechtfertigung sein. Sofort will ich hinzufügen, ich habe natürlich auch vollkommen bewusst getrunken, mich komplett klar und eigenverantwortlich dafür entschieden. Aber wahr ist eben auch, dass ich lange überhaupt nicht registriert habe, wie weit ich in all dieser Klar- und Bewusstheit eigentlich von mir entfernt war.
Ein weiterer alternativer Anfang: Eine ganze Weile drücke ich mich davor, über dieses Thema zu schreiben, und zwischendurch vergesse ich es immer wieder. Ich vergesse genauso die alkoholfreien Biere im Kühlschrank, die stehen da ewig, ich öffne den Kühlschrank und nehme sie gar nicht mehr wahr. Nachdem ich aufgehört hatte zu trinken, war ich vor allen Dingen erleichtert, und größter Teil dieser Erleichterung war es, endlich nicht mehr so viel über Alkohol nachdenken, mir keine komplizierten Regeln mehr auferlegen zu müssen. Nicht trinken ist sehr, sehr unkompliziert. Es ist simpel. Kommt es mir so simpel vor, weil es mir offensichtlich leichtfällt? Weil mir leichtgefallen ist, aufzuhören? Und wenn es mir offensichtlich so leichtgefallen ist, was bedeutet das dann, wofür steht das?
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Ein weiterer alternativer Anfang
Ein weiterer alternativer Anfang
Ein weiterer alternativer Anfang
Möglicherweise fällt es mir leicht(er), Anfänge zu schreiben, weil ich auch jetzt, auch heute, auch nach vier Jahren ohne Alkohol noch am Anfang stehe, baby sober. Weil ich noch nicht weiß, wie alle Fäden zusammenlaufen und ob überhaupt, ich habe ja nicht einmal alle Fäden entwirrt. Möglicherweise ist das ok, und möglicherweise braucht es gar keinen Mittelteil, kein Ende, kein Fazit an dieser Stelle. Möglicherweise reicht work in progress (weil das doch (Achtung cheesy) sowieso alles am besten beschreibt), und möglicherweise reicht auch, diese eine Sache sehr sicher zu wissen: Dass es nicht darum geht, einen Punkt von der Liste zu streichen. Weil dieser Punkt, dieses Thema sich nicht einfach abhaken lässt, weil es um so viel mehr als ein Abhaken geht.
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✏️ Worüber kannst du nicht schreiben? Und warum?
🥤Ich habe SodaKlub (Podcast für Unabhängigkeit) schon hundertmal empfohlen und ich werde SodaKlub noch hundertmal empfehlen, zum Beispiel diese Folge (Opens in a new window) über Kontrolle
🎧 Letzten Sonntag war ich beim Konzert von Die Nerven (beste Band) im UT Connewitz (beste Venue). Mein liebster Song vom letzten Album ist Der Erde gleich (Opens in a new window) und enthält passenderweise die Zeile Das könnte jetzt ein neuer Anfang sein
📚 Ich habe gelesen, für die Literaturshow (Opens in a new window): Protest (Opens in a new window) von Yasmine M'Barek, ich lese gerade: Die Möglichkeit von Glück (Opens in a new window) von Anne Rabe, es liegt schon bereit: Gewässer im Ziplock (Opens in a new window) von Dana Vowinckel
👟 Ok, noch ein Podcast, den ich gerne gehört hab: diese Folge Trauer & Turnschuh (Opens in a new window) mit Mely Kiyak
🌀 Letztes Wochenende habe ich Instagram vom Telefon geschmissen (und re-installiere es nur punktuell, um hier und da was zu posten) und was soll ich sagen, wenig hat mir in der letzten Zeit so gut getan wie die Abwesenheit dieser App
Until soon,
Svenja
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〰️ Fotos: ©Eliana Kirkcaldy & ©Rainer Holl