Über ernsthafte Kunst™ und pinke Wolken
von Mika
Es ist 2008 und ich gehe mit Elena zur Berufsorientierung der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig. Freie Kunst kann man da studieren und Design und noch einen Haufen anderer Dinge, die man seinen Verwandten bei Familienfeiern erklären muss. Ich habe damals die Leistungskurse Kunst/Deutsch/Geschichte und überrasche damit vermutlich niemanden. Vor allem bin ich voller Ehrfurcht vor dieser Institution, in der die Menschen alles wissen und auf eine Weise über Kunst reden, die im Gegenüber sofort einen Minderwertigkeitskomplex auslöst. Irgendwie landen wir am Institut für Klangkunst und bleiben, weil es da schön leer ist. Wir kriegen Aufnahmegeräte und sollen die Umgebung erforschen. Elena und ich denken uns begeistert einen kleinen Plot aus und nehmen die Geräusche wie ein Mini-Hörbuch auf. Die einzige andere Besucherin klopft ziellos gegen Geländer (no front). Als wir uns die Aufnahmen anhören, betritt ein Professor den Raum; ein älterer Typ mit Sakko, der auf diese bestimmte Künstler-Art auf dem Stuhl sitzt: extrem lässig und zurückgelehnt, mit überschlagenen Beinen; eben jemand, der in seinem Leben noch nie einen Anlass für Kraftsport gesehen hat und dem es offenbar scheiß egal ist, dass er mit ein paar Zwölftklässlerinnen redet: Eine Geschichte erzählen wollen? Naiv und langweilig. Uninspiriert. Mangelnde künstlerische Eigenleistung. Schulisch. Man müsse erforschen wollen (ziellos gegen Geländer klopfen) und wer das nicht verstanden habe, sei hier falsch. Während er spricht, sackt alles in mir zusammen. Ich hasse die HBK. Ich hasse den Kunstbetrieb. Und vor allem hasse ich meine mangelnde künstlerische Eigenleistung.
Es ist 2024 und ich stehe in meinem kleinen Raum, den ich angemietet habe, weil in meinem Wohnzimmer nicht mehr genügend Platz zum Malen war. Vor kurzem habe ich es mir auferlegt, erst das Material zu verbrauchen, das ich habe, bevor ich neues kaufe, und jetzt starre ich auf die letzte Leinwand. Sie ist nicht leer. Ich hatte einen blauen Fleck drauf gemalt, das Bild »My Ego After Active Addiction« genannt, weil – kleiner Witz – mein Ego nach der Sucht etwas lädiert gewesen war. Ich starre und finde den Witz okay, aber das Bild irgendwie Mist. Ich denke darüber nach, was ich jetzt damit mache, und nachdenken ist für mich meistens schon ein ungünstiger erster Schritt.
Nachdenken ist für mich meistens schon ein ungünstiger erster Schritt.
Aber ich habe jetzt einen eigenen Instagram-Account für meine Bilder und eine Website (Opens in a new window) und Menschen haben mir Geld für meine Kunst gegeben und ich darf im September bei einer Sober-Party in Hamburg (Opens in a new window) ausstellen und das alles geht einfach sehr schnell, und ich muss nun eine neue Ernsthaftigkeit an den Tag legen. Es geht doch um mein Oevre. Und dann geht es natürlich auch noch um die Anerkennung der Kunstwelt, um die Liebe meines Vaters, den HBK-Professor und den Typen, der neulich als Kommentar zu meinen Bildern sagte, sie seien »bunt« und dieses »bunt«, das mir immer wieder durch den Kopf hallt, heißt ja »kindlich« oder »naiv« oder gar schulisch und wenn ich ernsthaft sein will, dann muss ich aufhören, so viel pink zu verwenden. Rohes Sienna (Ocker) ist eine ernsthafte Farbe und Umbra gebrannt (braun). Dann werde ich sauer. Und dann denke ich: »Scheiß drauf.«
Ich nehme den gröbsten Pinsel, den ich habe und mache ordentlich Magenta (Pink). Und weil ich Preussisch Blau (dunkelblau) eine der besten Farben der Welt finde, mach ich das auch mit drauf. Ich verschwinde im Bild und irgendwann trete ich einen Schritt zurück und denke: »Geil.« Ich lasse trocknen, mache weiter, denke wieder: »Geil.«
Preussisch Blau – love it
Über die Jahre habe ich immer wieder über diesen HBK-Prof nachgedacht und was ich ihm gerne entgegnet hätte. Irgendwas darüber, wie Begrenzungen kreative Prozesse evozieren und Narration ein Mittel ist für Blah Blah Blah – Und natürlich hätte ich heute die Worte, um mich zu verteidigen und könnte in der Sprache dieser Welt auf ihn antworten. Ich kann sogar erkennen, wo er in der Sache Recht hatte. Die Sache ist nur: Wozu? Der Typ war ein Arschloch. Leider ein Arschloch, das die geballte Macht einer Welt auf seiner Seite hatte, zu der ich unbedingt gehören wollte.
Während ich das Bild male, denke ich nicht viel. Aber ich denke an Tom, der in der Podcastfolge von neulich sagt, dass man springen muss. Ich glaube das stimmt, weil Springen immer heißt, für einen kurzen Moment nicht zu wissen, wie man landet. Und ich denke, dass diese ganze Ernsthaftigkeit ihren Platz hat, aber nicht besser ist als gute Laune. Dass unglückliche Gatekeeper irgendwann entschieden haben, dass Tiefe bedeutet, depressiv zu sein, und dass das eine Lüge ist. Dass es auch Mut braucht, um glücklich zu sein. Ich denke, wie schön es ist, dass wir den Strich zur Verfügung haben, sobald wir einen Stift in der Hand halten können. Dass wir damit Markierungen machen und ohne Worte sagen können: Ich bin hier. Und darum geht’s letztlich doch: Da sein. Der Rest ist Gedöns.
Das Bild schicke ich – noch nass – an eine Interessentin, der das erste aus der Reihe gefallen hatte. Sie sagt sofort »Ja«.
Schönen Sonntag
Geh springen – Was auch immer das für dich bedeutet.
Mika
PS: Beim Korrekturlesen musste ich jedes Mal lachen, wenn ich das Wort »Oevre« gelesen habe. Ich hoffe du auch. Es ist ein absurdes Wort.