"Müde" - Ist mein zweiter Vorname
„Ich bin so müde“, „Ich könnte jetzt schlafen“ oder „Du siehst ja wieder müde aus“, egal welcher, einer der dieser Sätze fällt beinahe täglich. Und nach mehr als 7 Jahren, frage ich mich wann oder ob sich dieser Zustand je ändern wird.
Seit dem mein wundervolles Kind auf unseren mehr oder minderen tollen Planeten existiert, bekomme ich ein paar Minuten weniger Schlaf als bis Dato üblich war.
Ich kann mich noch genau an die Zeiten erinnern, als ich 16 Uhr bis 17 Uhr Feierabend machte, erstmal gemütlich, so ganz ohne Zeitdruck, Richtung Zuhause flanierte, nebenbei noch Gespräche auf der Straße führte, weil man die eine oder andere Person traf und dann, irgendwann, mit tiefenentspannter Gemütlichkeit im Inneren seiner selbst, dort ankam und sich erstmal schön entspannte.
Es gab keine permanente Hektik, kein Herzrasen, weil man latent im Hinterkopf die bevorstehenden Aufgaben schon aufflammen spürte. Nein, einfach gemütlich und entspannt. No stress, no pain.
Quasi hatte ich ab 17 Uhr Freizeit und das für viele Stunden am Stück, denn in der Regel bin ich gegen 2 Uhr Nachts zu Bett gegangen und hatte somit genug Zeit um eigene Projekte zu realisieren oder einfach nichts zu tun. Seit meiner Kindheit war ich es gewohnt mich gegen 2 Uhr Nachts zwingen zu müssen, dass ich meine Augen schließe und schlafe, da ich in der Regel gegen 6 Uhr bis halb 7 Uhr aufstehen musste. Das war mein Rhythmus seit meiner Schulzeit und immer ausreichend. Zudem konnte man am Wochenende ja auch meistens ausschlafen.
Seit Mai 2015 ist alles anders. Ab da konnte man mich als «Daniel der Müde», «Müdikus Maximus» oder «Der Immermüde» betiteln.
Ich kann instant, um egal welche Uhrzeit und egal wo, einschlafen. Einfach so, im Stehen, im Sitzen, beim Reden oder Fahrradfahren. Wir können ein intensives Gespräch führen, ich bin hellwach und topfit, aber lass mich 2 Minuten alleine, ohne etwas zu tun und ich könnte schlafen. Selbst auf der Arbeit muss ich seit dem sehr aufpassen, dass ich nicht im Bürostuhl wegnicke. Nicht das ich da nicht genug zu tun habe, nein, die fehlende Bewegung sorgt einfach dafür, dass ich manchmal vor dem Bildschirm aufpassen muss und mein Kopf nicht auf die Tastatur fällt. Das ist natürlich noch nie passiert, aber ich war schon öfter kurz davor mir die Buchstaben des Keyboards in die Stirn zu pressen.
Ich glaube auch nicht das ich Lachfalten bekomme, sondern Gähn Falten. So weit wie ich mein Mund manchmal aufreiße, wundert es mich, dass mir noch nicht die Mundwinkel eingerissen sind. Ich komme früh morgens ins Büro und nach 20 Minuten sitze ich bis zum Feierabend, mit leicht feuchten Augen, durchs Gähnen, im Bürostuhl und träume von der Zeit als ich noch nicht darauf angewiesen war, meine Ellenbeuge als Augentrockner zu missbrauchen.
Natürlich schaffe ich es nicht mehr täglich bis 2 Uhr Nachts wach zu bleiben. Es wäre schön, aber wenn ich das 2 Tage hintereinander machen würde, könnte ich mich für die restliche Woche direkt mit meinem Sohn hinlegen. Auf der Arbeit würde ich gar keinen Stich mehr sehen. In meinem Job muss ich zum Großteil logische Strukturen programmieren und das geht nicht, wenn nur dein halbes Gehirn aktiv ist. Designs umsetzen wäre kein Problem, aber komplexer Code ginge dann nicht mehr.
Stattdessen konzentriere ich solche Tage auf die weltberühmten und sehr rar gesäten Kindfrei-Tage. Davon gibt es zwar nicht so viele im Jahr, aber besser als gar keine. Ich habe mich mittlerweile einfach damit arrangiert, vor Mitternacht schon die Lichter auszumachen.
Allerdings weigert sich wirklich jede Zelle in meinem Körper auch aktiv zeitig schlafen zu gehen. Ich kann mich nicht mit dem Gedanken anfreunden, mich nur eine oder zwei Stunden später als mein Kind hinzulegen. Ich will einfach nicht aufstehen, arbeiten, Kind versorgen und wieder schlafen gehen, als Tagesablauf haben. Dazwischen müssen unbedingt mehrere Stunden sein, die nur mir gehören. Mit mir meine ich alles, was ich machen kann, die ich mit Kind nicht tun kann. Freundin, Freunde, nichts und ich, alles halt.
Es gibt Zeiten, da bin ich auch mal gegen 9 Uhr fertig mit der Welt und muss schlafen, aber das sind Ausnahmen, bei denen es auch bleiben sollte.
Manchmal denke ich an die Zeit zurück, wo ich jeden Tag lang machen konnte, was ich wollte. Egal auf was ich Lust hatte, egal wie ich mir meinen Tag planen wollte oder eben auch mal nichts planen musste, es war Zeit für mich. Einfach Zeit von mir, für mich.
Und heute? Heute springe ich von Punkt A zu B, geh noch bei Punkt C vorbei, damit ich bei Punkt D nicht zu spät komme, um danach Task A bis Z vom Daily-Task-Carousell abzuarbeiten.
Gleichzeit verlangt jeder Aufmerksamkeit und ich tanze auf mehreren Hochzeiten, um allen alles recht zu machen. Ja, ich weiß, finde den Fehler. Meinem Sohn erkläre ich stets, dass man sich immer 100 % um eine Aufgabe kümmern sollte, damit nichts auf der Strecke bleibt oder nur halbherzig gehandelt wird. Aber selbst, erledige ich immer mehrere Dinge gleichzeitig, um überhaupt mit allem fertig zu werden. Wieder ein Zwiespalt mehr.
Alles in allem bin ich müde vom Leben, müde durch Energielosigkeit und Schlafdefizite. Wahrscheinlich wäre einiges anders, wenn ich nicht jede Nacht mindestens 3-mal wach werden würde. Seit Kindheitstagen habe ich das Problem, ganz oft bei recht leisen Geräuschen, aufzuwachen. Ich bin regelrecht permanent wie in einem Alarmzustand. Mit Sicherheit sind das alles Nachwirkungen oder Konditionierungen aus meiner Kindheit, da meine Mutter mich regelmäßig früh morgens um halb 5 Uhr, mit den Worten „Dani, komm mal bitte, ich brauche deine Hilfe“, aus dem Schlaf geholt hat. Diese Worte hat sie immer in unser Kinderzimmer geflüstert, in dem meine Schwestern und ich schliefen. Dieses ganz leise Flüstern hat ausgereicht und ich war sofort wach und habe geholfen. Ich hab dieses Flüstern auch immer noch im Ohr. Ich habe nicht mehr viele Sätze von meiner Mom im Kopf behalten, aber dies ist einer von den wenigen.
FYI: Wobei hab ich denn so dringend helfen müssen, was war so wichtig ein Kind regelmäßig um solche Unzeiten zu wecken?
Wegen meines Stiefvaters. Gleich vorweg, mein Stiefvater war ein guter Mann und immer sehr lieb zu uns. Eines Tages wurde er bei Siemens gekündigt (das ist gefährliches Halbwissen und nur aus uralten Erinnerungen rekonstruiert, aber ich glaube so war es). Diese Kündigung löste in ihm eine, seit Jahren stillgelegte, Krankheit wieder aus. Seine Epilepsie kam bei ihm wieder zurück und fast jeden morgen, bevor er seine letzten Wochen / Monate sich fertig machte, um zur Arbeit aufzubrechen, bekam er einen epileptischen Anfall und ich half meiner Mom dabei, ihm zu helfen.
Mein Stiefvater hatte nicht nur ein paar Nervenzuckungen, nein, natürlich war es das volle Programm. Bewusstseinsverlust, bei dem er meist auf den Boden fiel und Zuckungen und Verkrampfungen am gesamten Körper erlitt. Ich musste immer dafür sorgen, dass seine Zunge im Mund blieb (da er sie sich sonst abgebissen hätte) und gleichzeitig sorgte ich dafür, dass seine Hände offen bleiben, da diese sonst auch noch verkrampften. Nach ein paar Minuten war die Aktion dann auch wieder vorbei und wir mussten immer erstmal feststellen, wie sein kognitiver Zustand ist. Sehr oft wusste er rein gar nichts von dem, was passierte und ihm fehlten ein paar Minuten vor dem Vorfall, ansonsten ging es ihm danach meistens wieder gut.
Und im Nachhinein glaube ich stark, dass solche Situationen die Grundsteine für meinen leichten Schlaf sind. Dass das Ganze nicht besser wird, sobald man ein Kind hat, hätte ich auch gerne vorher gewusst. Klar, ich wusste, man bekommt weniger Schlaf und so, aber ich wusste nicht, wie sehr der Körper im Schlaf mit einem Ohr im Kinderzimmer beim Kleinen und man bei jedem Geräusch einfach sofort hellwach ist. So hellwach, dass ich von einer auf die anderen Sekunde einfach alles anreißen würde. Egal was, ich bin bereit dafür! Furchtbar!
Schlussendlich habe ich, egal wie ich es drehe und wende, wohl noch eine ganze Weile etwas Müdigkeit in jeder Zelle meines Körpers und muss wohl damit leben bis ich sterbe :) Nein, sicherlich nicht, aber es wird noch ein paar Jahre so weiter gehen.
Ich hab mir überlegt dieses Mal den Artikel mit einem Zitat aus einem meiner Lieblingssongs von Alligatoah zu beenden, aus dem Song „Nicht adoptiert“.
Umweltsau, du verbrauchst Basketballfelder an Nahrungsbehältern
Staatliche Gelder und den Schlaf deiner Eltern
In diesem Sinne, vielen Dank für deine Aufmerksamkeit.
Gute Nacht ;)
Daniel