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und durch die Städte fahren die Hochhäuser..

Das Licht ist außerordentlich hell, es ist März, und die Sache wird nicht besser, durch die Sonne, die in einem zu ehrlichen Winkel den weißen Haufen Metall bescheint. Davor drängt sich die Menschenmasse, zu der keiner gehören will und die nur aus den anderen gebildet wird. Rund viertausend Andere, jeder in der Lage über tausend Euro für eine Minikreuzfahrt zu zahlen, da ist er, der ehemals solide Mittelstand, die Basis der Gesellschaft, die heute eher das Füllmaterial bilden, auf dem die Globalisierungsgewinner springen.

Sie sind Ticketkontrolleure, Sachbearbeiter, Personalchefs bei der Post, und Sachbearbeiterinnen bei den Elektrizitätswerken. Sie sind aus Korea gekommen, Brasilien, China, viele Italiener stehen in Savona, jetzt erst recht, um ihrer Kreuzfahrtgesellschaft Costa, die Amerikanern gehört, die Stange zu halten.  Aufgeregt sind sie, nervös, der Mensch vor der Technik, vor der Titanic, wie groß sie ist. Extrem groß, absurd groß ist das Ding, es scheint die beschauliche Mafiastadt zu verdunkeln. Zwölf Geschosse hoch, zweihundertneunzig Meter lang. Knapp viertausend Passagiere, tausendeinhundert Angestellte. Das sind eindeutig mehr Menschen als einem Hochhaus, und mit dem fährt ja verdammt nochmal auch keiner auf dem Wasser herum. Alle Altersgruppen, ein paar Rollstuhlfahrer, eine Gruppe geistig Behinderter, viel Junge, sehr viele Junge und alle ähneln sich. Das ist das erschütternde, denkt man doch, dass sich die Welt um einen selber dreht, dass alle so gleich aussehen, weil der Hersteller mit so einem Gesicht nicht viel mehr machen kann, als Augen Mund und Nase anzubringen.

Falls man es noch nicht ahnte, was reichlich seltsam wäre, ahnte man nicht, dass man mit Betreten eines Kreuzfahrtschiffes, eines Schiffes also, dass ohne Sinn, Verstand und jegliche Beförderungsleistung auf dem Meer herumeiert, seine Individualität, die es vermutlich nie gegeben hat, aufgibt, der weiß es jetzt. Nach der Ablieferung des Personalausweises, jede Möglichkeit zur Flucht genommen, wird der Mensch fotografiert. Vor einer gemalten Meereskulisse, mit zwei grinsenden Stewards die seitlich in jedes Foto springen. Tausende Mal, salutieren sie, lachen, da weiß man, was man gemacht hat, am Ende eines Tages. Ich lasse mich mit Anderen über einen Steg an Bord schieben, verwirrend viel gehämmertes Messing macht meinen Blick nervös, an jeder Ecke ein menschliches Schild, das den Weg weist, teilnahmslos blickende Angestellte, mitunter arbeiten Menschen aus 70 verschiedenen Ländern auf dem Schiff oder ist es ein Boot, und alle scheinen von den Philippinen zu kommen. Sie weisen die Gäste zu Fahrstühlen, die mit nackten Göttern bemalt zu flüstern scheinen: Steig ein, ich fahre dich in die Hölle.

 

In Europa

unternehmen jährlich rund fünfeinhalb Millionen Menschen Kreuzfahrten. Das ist nur ein Prozent der Urlauber, da ist noch viel Luft nach oben. In den USA nennen Experten den Markt weitaus entwickelter. Dort sind es elf Millionen Kreuzfahrtpassagiere, die Reeder streben in Europa eine realistische Passagierzahl von jährlich 15 Millionen Reisenden an. Ich hingegen vermute, dass es sich eher um siebzig Millionen handeln, und dass sich bald unser gesamtes Leben auf dem Meer abspielen wird, aber dazu später. Falls ich dann noch lebe, aber auch dazu später.

Vermutlich erfand der deutsche Reeder Herr Ballin die Kreuzfahrt 1891. Die Augusta Victoria stach erstmals ohne ein Transportziel zur ausschließlichen Bildung und Vergnügung der Passagiere in See. Ein überwältigender Erfolg, dieses bewegt werden, ohne sich zu bewegen, das Betrachten von dem, was der Mensch unter Romantik versteht, was ein Sonnenuntergang im Wasser ist. In der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts verlagerte sich die Ausrichtung der Schifffahrtsgesellschaften vollständig von der Passage- zur Spaßfahrt. Die Konkurrenz der Flugzeuge machte die Schiffe als Transportmittel unwichtig. Das haben wir jetzt davon.

 

An Bord

Meine Unterkunft im Sechsten Stock, eine prächtige Kabine für Kabinen-Klaustrophobiker geht von einem Korridor ab, dessen Ende nicht zu erkennen ist. Neonlicht flackert nicht, es zwinkert nur kurz, die Röhren sammeln Kraft, in der Nacht werden sie sich um mein Bett versammeln. Die Passagiere sind ein wenig stiller geworden, überwältigt von der Größe dessen, was sie nur ahnen, ängstlich fast, ob ihrer Ohnmacht vor der Materie, betreten sie ihre Kabinen, die Glücklichen mit Tageslicht, die anderen können sehen, wo sie bleiben, sie wollten sparen, bitte, sollen sie sparen im Neonlicht, ohne Fenster auf dem offenen Meer.  Das Design der Kabinen gleicht den abspritzbaren Zimmern französischer Billighotelketten, die an Autobahnen wohnen. Farben aus der grün-braunen Palette, und ein Balkon. Der Untergang der Titanic hat seinen hundertsten Jahrestag genau jetzt. Überall sind die alten Berichte zu lesen, über die tausendfünfhundert Passagiere, die schweigend auf dem untergehenden Schiff standen, wie ein Sirenensignal ihr Todesseufzer in der Dunkelheit als das Schiff sie ins Meer riss, unsterblich sind sie nur für uns, als Denkmal der Fehlbarkeit des Menschen, das wir besichtigen, ohne dass es uns denken lässt.

In großer Verwirrung stehe ich in meinem Raum. Es erscheint mir seltsam, meine Kleidung in einen schwimmenden Schrank zu ordnen.

Mir war unklar gewesen, warum die Passagiere der Costa Concordia nicht einfach von Bord gesprungen waren, so nahe am Ufer. Beim Anblick der Meeresoberfläche von meinem Balkon verstehe ich. Dreißig Meter unter mir liegt das Wasser, viele haben nur versiegelte Bullaugen in ihrer Kabine manche nicht einmal das, aber der Fernseher funktioniert einwandfrei, oh, schon wieder ein Unglück. Vor Borneo dümpelt ein Kreuzfahrtschiff nach einer Brandhavarie manövrierunfähig im offenen Meer. Prost. Die Sirene ertönt. Siebenmal ein langer Ton, Sieben ist eine Glückszahl, ich finde die Nottreppe. Über die ich mich sehr langsam zwischen Hunderten der anderen zum vierten Deck schieben lasse. Wir tragen unsere Schwimmwesten, korrekt, als gäbe es Preise dafür. Auf Deck 4 befinden sich die Rettungsboote. Sie bieten genug Platz für alle an Bord. Heißt es in diversen Notfallmerkblättern. Was da immer so behauptet wird. Theoretischer Platz für angenommenes Überleben. Wie bekommt man viertausend Menschen auf diese kleinen Boote? Die Passagiere stehen unruhig, sie wollen Spaß, und nicht an Rettungsboote denken müssen, sie wollen das Meer als Postkarte. Die Jungen checken die Mädchen die Erwachsenen betrachten sich widerwillig. Stellen sich den Notfall vor. Wem würde man Platz machen, wem seinen Arm reichen. Wie werden sie aussehen, die reizenden älteren Italienerinnen, der Blinde dort links, die coolen gegelten Jungs in Panik, nass, ohne alles, was sie ausmacht im Kapitalismus. Wie werden die Menschen ohne iPhone aussehen, in Rettungsbooten. Nach der ersten Aufregung kommt die Langweile, die Passagiere unterhalten sich und glauben an ihre Unsterblichkeit. Nervös wirkendes Personal, scheppernde Lautsprecheranlagen in den wichtigsten Sprachen. Italienisch, Französisch, Spanisch, Russisch, Englisch, kein Wort zu verstehen. In Reihen zu fünf sollen sich die Menschen aufstellen, allein das überfordert die meisten. Nach vermutlich zwanzig Minuten stehen sie dann, in unsicheren Reihen, addiert man Dunkelheit und Hysterie dazu, ist das Gefühl nicht wirklich beruhigend. Doch wer glaubt schon, dass es ausgerechnet ihn erwischt?

 

Sicherheit

gibt es nicht.

Um fünfunddreißig Prozent brach das Vorausbuchungsgeschäft der Costa Linie nach dem Untergang und der Havarie auf hoher See, einige Wochen später, ein. Europäer ließen sich selbst von Sonderangeboten nicht überzeugen, doch die Kundschaft aus Asien und Südamerika zeigte sich unbeeindruckt. 2011 erwirtschaftete die Gesellschaft einen Umsatz von 3,1 Milliarden Euro und beförderte 2,3 Millionen Gäste. Die Schifffahrt ist eine relativ sichere Art seinen Urlaub zu verbringen. Obwohl heute die kommerzielle Schifffahrt mit 100.000 Schiffen dreimal so groß ist wie 1912, ist die Zahl der Unglücke im Verhältnis um die Hälfte gesunken, das höchste Risiko ist menschliches Versagen, war schuld an fünfundsiebzig Prozent aller Havarien. Im Konkurrenzkampf kalkulieren die Reedereien Besatzungen sehr eng, was heißt: das Personal ist überfordert und übermüdet. Die Angestellten kommen meist aus Schwellenländern, wie man die dritte Welt heute politisch korrekt nennt, oder noch korrekter, sie haben einen Migrationshintergrund und kommen aus Gebieten, mit unterschiedlichen Prüfungsanforderungen. Die Titanic war im Vergleich zu den heutigen Megaschiffen ein Bötchen. Eine schwimmende Kleinstadt zu evakuieren, ist vermutlich eine noch ungelöste Herausforderung.

 

Der erste Abend

Der Mensch ist eine Verdrängungsmaschine. Aufgeregt springt er durch das Schiff, um seine neue kleine Welt für ein paar Tage zu erobern. Von oben bis unten, verwirrend, nicht zu verstehen, fünf Restaurants, drei Pools, Rutschen, Blubberdinge, ein Spa, ein Kasino, eine Kapelle, eine Bibliothek, eine Disko, fünf Bars, Gym und eine Einkaufszeile. Etwas vergessen? Ja den Designer. Design- Architekt Joe Farcus hat sechzehn Schiffe der Carnival Corporation zu denen die Costa Linie gehört komplett designt. Vermutlich zeichnet er auch für die Gestaltung dieses Bootes, nachdem er einen fiebrigen Traum hatte. Mythologie, Götter, Flammen, waren ihm wohl erschienen, und dann gab es kein Halten mehr. Das Design des Schiffes sieht aus, wie ein Campingplatz, der Las Vegas spielt. Chrom spielt eine große und wichtige Rolle, gehämmertes Messing, rote Flammenskulpturen und Leuchten, Götter, Plastikpuppen, grün, rot, funkelnd, Spiegel, Glasaufzüge. Die Passagiere staunen. So schön hat es zu Hause keiner. Das Schiff legt ab. Doch kaum einer interessiert sich dafür, nur vier Tage Zeit, man muss alles mitnehmen, benutzen, ausnutzen. Man kann auf dem Schiff durchkommen, wenn man nur den Kabinenpreis zahlt. Täglich drei Mahlzeiten die ausschließlich den Zweck erfüllen, den Menschen satt und ruhig zu stellen, die Pools, die Sonnendecks und das Gym sind im Preis enthalten. Alles andere kostet extra, und zwar gewaltig. Massagen für 160 Euro, alkoholische Getränke, der gelangweilte Mensch kann sich hier schnell um Kopf und Kragen zahlen.

 

Der Kapitalismus

verlangt nach einer optimalen Person-Quadratmeteroptimierung. Darum geht der Trend zum Megaschiff. Und damit auch zur Megareederei, denn ein Schiffsneubau kostet mehrere hundert Millionen. Die können fast nur die drei großen Reedereien aufbringen, die den Markt unter sich aufteilen. Die Costa Flotte gehört zu der in Miami sitzenden Carnival Corporation, die gegen die Royal Caribbean auch mit Sitz in den USA und die Hongkong-ansässige Genting Linie antritt. Ihnen gehören mehr als fünfundsiebzig Prozent aller Betten auf See. Die Entwicklung zu Megaschiffen ab viertausend Passagieren wird durch eine künstlich geschaffene Nachfrage befeuert. Die großen Reedereien haben Geld für Werbung, und sie können jede Zielgruppe sehr nachdrücklich ansprechen. Angebote für Homosexuelle, für Pokerspieler, Jugendliche, Tischtennisspieler, zunehmende auch für Gesundheitsbewusste und für die Freunde kosmetischer Operationen. Es gibt unterdessen Schiffe mit angelegten Parks und Tenniscourts, da wächst eine schöne Welt des perfekten Urlaubs. Kreuzfahrten sind nichts mehr für langweilige alte Menschen, das wissen die Touristen spätestens seit der Erfindung des Aida Club Schiffes. Kreuzfahrten sind Saisonunabhängig. Die Nachfrage steigt rasant, weil Kreuzfahrten immer billiger werden. Durch die großen Volumen sinken die Kosten, der Kunde bekommt nirgends mehr für sein Geld, als auf einem Kreuzfahrtschiff. Transport, Unterkunft, Nahrung, Unterhaltung vor ständig wechselnden Kulissen. Gibt es irgendwo auf der Welt Unruhen, was täglich passiert, sind die Schiffe flexibel in der Änderung ihrer Route. Sie schwimmen in sicherer Entfernung vor den Küsten armer Länder, bis unter das Dach mit für die Bewohner, sagen wir, einiger afrikanischer Länder unerreichbaren Luxus vollgestopft. Was eigentlich nur im Fall einer Havarie zu einem Problem werden kann. Also für die Passagiere. Viele Häfen sind für die neuen Megaliner nicht eingerichtet. Pech für sie.

 

Das Diner

„Wenn Sie es lieben, Menschen aus dem ganzen Land und der ganzen Welt zu treffen bietet eine Kreuzfahrt eine tolle Möglichkeit. Treffen Sie andere Passagiere beim Dinner, in der Bar oder beim Pool – die Menschen, die Ihnen begegnen werden, kommen von überall! Auch Kinder finden schnell Anschluss während der Bordaktivitäten" hiess es im Prospekt, der kein Prospekt mehr ist, sondern eine Onlinewerbung. In einem der fünf Riesenspeisesäle in dem die Passagiere in zwei Schichten gefüttert werden, sitze ich an einem runden Tisch mit drei aufgestellten Schweizern. Die Passagiere werden nach Ländern zusammengesetzt, damit sich schnell Freundschaften bilden. Der Campingplatz-Effekt. Die Gäste haben sich hübsch gemacht. Smart Casual. Die Herren ohne Krawatte, die heben sie sich für das Gala Diner auf, die Menschen, die entzückt sind, über all den Luxus, das Drei-Gänge-Menü, die schnelle Bedienung durch Menschen aus Schwellenländern. Man plaudert, wie überall auf der Welt, wenn Menschen sich auf Reisen kennenlernen, über Reisen. An welchen Orten man wie glücklich war. Der Geschmack der Nahrung ist dem Durschnitt angepasst. Kaum gewürzt, gut gekocht. Wein, extra zu bezahlen, fördert erste Zwangsgemeinschaften. Nach Tisch ziehen sich die meisten um, wozu hat man all das Gepäck dabei, und gehen in die Nacht. Im Theater turnen Artisten aus Shanghai, in der Bar singt ein Italiener, ein einsamer Behinderter steppt und hat Spaß, in einer anderen Bar tanzen Paare, auch das ein mir unverständliches Vergnügen, aber nur weil ich etwas nicht verstehe, dessen Berechtigung anzuzweifeln, habe ich mir wirklich hart abtrainiert. Alles ist möglich, jeder hat Recht. Und ich ahne langsam, worum es den Kreuzfahrtreisenden geht. Für einen Moment bin ich überwältigt von meiner Liebe zu der Rasse, der ich angehöre. Sie haben gearbeitet, ihr Leben in nicht freiwillig gewählten Zuständen verbracht und jetzt wollen sie Spaß. Sie wollen Titanic, sich reich fühlen, sich schöne glitzernde Dinge anziehen und tanzen. Sie wollen in ein Theater und Chinesen beobachten, sich international fühlen und nicht zuletzt beschäftigt werden. Rund um die Uhr. Denn den straffen Tagesablauf sind sie sich gewöhnt, von daheim.

 

 

Das Zielsegment

der Kreuzfahrtunternehmen ist der mittelständische Massenmarkt. Da sitzt das Geld, da fährt die Aida, die Carnival Cruise, da schippern die Themenboote, die bunten, lauten, die Casinos und die Bingo-Shows. Für die fünf Tage Nordsee Cruise Hamburg, Schweden, Dänemark, Kiel mit Super-Bingo, zahlt der Kunde pro Person 249.- Euro. Für den oberen Mittelstand gibt es die Sea Cloud, auf der Traditionslinie ist der Kunde mit 3.000 Euro dabei. Auf Platz Vier der teuersten Kreuzfahrten steht die Charter-Jacht Lauren L. auf der man sich für 99.286 Euro pro Tag langweilen darf. Pools, Jacuzzis, 32 Crew-Mitglieder betreuen maximal 40 Gäste. Die zurzeit teuerste Kreuzfahrt kostet für zwei Personen auf der „Silver Whisper“, für einen 124 Tage rund um die Welt Trip 1,2 Millionen Euro. Privat Jet Anreise mit Beluga Kaviar inbegriffen. Dafür gibt es dann 28 Länder und viel Butler Gestürm. Und jede Menge Aktivitäten. Wie sehr ich dieses Wort und für was es steht doch hasse.

 

Die Diskobässe wummern

Die jungen Menschen suchen sexuelle Kontakte, in dem beheizten Pool küssen sich ein paar ältere Paare, sie wissen sich betreut, versorgt, sie können all ihren Bedürfnissen sofort nachgehen, anders als im richtigen Leben, in dem sie sich viel bedrohter fühlen als auf diesem Schiff, wo sie endlich mal etwas zu sagen haben, wo sie ordern können, konsumieren, ohne sich von ihrem Chef bedroht zu fühlen, ohne die Angst, vom Arbeitsmarkt nicht gebraucht zu werden. Auch die Anwesenheit der vielen Behinderten, der Blinden, der Rollstuhlfahrer leuchtet mir ein. Hier ist alles mit Liften zu erreichen, bewegt sich die Welt vor den Fenstern, hier sind sie Kontrollierende, nicht Kontrollierte. So eine Kreuzfahrt meint den totalen, absoluten Ausschluss von Langeweile.

Die erste Nacht an Bord eines Schiffes, in der Dunkelheit des Meeres gelingt es mir nur mit Hilfe der Neonröhren, die sich von den Korridoren entfernt haben und nun um meinem Bett stehen, Schlaf zu finden. Das Schiff brettert mit 30 Knoten durch die Nacht, keine Ahnung wie schnell das ist, aber ins Meer gefallene Körper hätten keine Chance wieder aufgefischt zu werden. Unten in den Fensterlosen Personalkabinen legen sich die zur Ruhe, die in Tagschichten gearbeitet haben, Jim, nennen wir ihn so, kommt von den Philippinen. Er ist nur drei Monate im Jahr zu Hause bei seiner Familie. Er ist froh über den Job, vorher arbeitete er auf einem Containerschiff. Das war ermüdend eintönig. Hier ist was los. Hier haben die Gäste fast immer gute Laune, und seine Kinder kann er auf eine Schule schicken. Nichts Neues also in der Welt. Keiner hat einen Vertrag auf Gerechtigkeit unterzeichnet mit seiner Geburt, Gerechtigkeit, die doch nur in den Köpfen guter links Demokratien existiert, und die sind nicht an Bord. Sie haben vermutlich eine Segelkreuzfahrt zu den Stätten der Antike gebucht, schmiegen sich in Rattan Möbel und lesen sich Trakl vor.

Irgendwann schlafe ich ein, im Vertrauen auf den schnittigen italienischen Kapitän, und auf die Technik und denke nicht mehr an Sprünge in kaltes, dunkles Wasser.

 

 

Das Wasser

Pro Person werden pro Tag auf einem Kreuzfahrtschiff 32 Liter Abwasser produziert, bis drei Kilo Abfall neben den sowie die Emissionen der Motoren, die denen von 350.000 Autos entsprechen. Nicht zu vergessen die Abgase der Müllverbrennungsanlagen. Ein großer Teil dieser Abfälle wird natürlich in der Luft, und im Ozean entsorgt.

Obgleich die neu gebauten Schiffe über moderne Systeme zur Abwasserreinigung verfügen, die älteren oft nachgerüstet wurden, bleibt doch das große Problem der Abfälle von Schadstoffen, die diese Systeme erzeugen. Ammoniak, Nickel, Kupfer, Zink. Nicht gut, auch nicht gut, dass viele der Treibstoffe, die auf Schiffen verwendet werden, weitaus umweltschädlicher als normale Autokraftstoffe sind, Schiffe haben einen größeren CO2 Ausstoß pro Person als Flugzeuge, die Entsorgung von Abfällen und Abwasser ins Meer wirkt sich verheerend auf Mikrosysteme und die Gesundheit der Ozeane aus. Im Moment gibt es etwas über 300 Riesenkreuzfahrtschiffe, doch es sind zur gerade ungefähr Dreißig neue in Bau. Den vorläufigen Höhepunkt dieser Entwicklung bildet die „Allure of the Seas“ mit Platz für 6.300 Passagieren. Schwellenländer, oder sagen wir einfach Länder der Dritten Welt, profitieren nur sehr begrenzt von dem neuen Tourismustrend. Oft pachten Reedereien Landgebiete in diesen Ländern, wie zum Beispiel Haiti, um den Kreuzfahrtouristen ein einwohnerfreies Strandvergnügen zu gewährleiten. Und natürlich auch ein bisschen, um alle anfallenden Einnahmen für sich verbuchen zu können.

Der Morgen

Selten war mein Gefühl am falschen Ort zu sein stärker. Zum Frühstück habe ich ein wenig Pappmaché eingenommen, die putzmunteren Passagiere beobachtet, die sich auf ihren ersten Landgang freuen, der am Mittag stattfinden soll. Ich hatte solche Landgänge vom Festland aus beobachtet, kleine Inseln vor denen schwimmende Hochhäuser zum Liegen kamen, aus dem Insekten flossen. Ich hatte sie bedauert, die armen Menschen die hektisch durch die Gassen stromerten, die Angst ihr Hochhaus zu verpassen im Gesicht, ich konnte mir damals keine größere Strafe vorstellen, als mit ihnen auf das Schiff zu gehen, auf dem ich Plastik und gelbe Farbe vermutete. Orte, die man nicht behände verlassen kann, Schiffe, Flugzeuge, Inseln und Trauerfeiern machten mir immer Angst. Und nun stehe ich in meiner wahnsinniggewordenen Kabine und warte auf den Landgang. Das Anlegemanöver ist der erste entspannte Moment meiner Reise. Ich bin begeistert, wenn Menschen ihre Berufe beherrschen, es kommt zu selten vor. Rückwärts einparken mit 120 tausend Bruttoregistertonnen, Hut ab. Die Bedürfniserfüllung an Bord passiert mit einer beeindruckenden Perfektion. Alles ist durchgetastet, funktioniert, ist blitzsauber und schon stromern die ersten Kreuzfahrer auf Land.  Vor dem Hafen in Palma lungern die üblichen Verdächtigen. Nepper, Schlepper, Bauernfänger. Der vernünftige Reisende wartet auf einen Bus, zahlt 1.50 und schon wird er an der Kathedrale freigelassen. Fünf Stunden Zeit, um Tourist zu sein. Langsam erkenne ich einige meiner Mitreisenden, sie begegnen mir beim Taumel durch die Gassen der Inselhauptstadt immer wieder. Freiheit fühlt sich überwältigend an. Ich bin geneigt sie mit Sprüngen zu feiern. Richtiger Kaffee, richtige Menschen, auch wenn sie vornehmlich aus Deutschland stammen, Palma hat sich seit ich vor zehn Jahren hier war tüchtig verändert, ist wie alle reichen Orte dieser Welt zu einer Großen Chill-Lounge geworden. Aber nun muss ich auch schon wieder in Haft, und ich schäme mich meiner inneren Stimme. Was ist so falsch daran, ein schwimmendes Hotel zu haben, das fast wie die Yachten der Reichen auf die Heimkehrer wartet, frisch geputzt mit sauber verklappten Abwässern. Reibungslos strömen wir wieder an Bord und diesmal beobachten alle das Ablegen des Kahnes. Eine Meisterleistung an Präzision. Ich überlege mir, was für bombastische Schäden ein durchgeknalltes Arschloch von Terrorist auf so einem Boot anrichten könnte, aber da gibt es zum Glück auch schon wieder Abendessen. An den Tischen plaudern die Menschen inzwischen auch ohne alkoholische Getränke. Es haben sich Gruppen gebildet, Zu -und Abneigungen haben sich erklärt und heute Abend singt ein echter Tenor im Theater. Die Sorgfalt, mit der die Reisenden sich schön gemacht hat, rührt mich, nach Nessun Dorma, wird geklatscht, da gibt es stehende Ovationen. Sie haben etwas wiedererkannt, sie haben Kunst gespürt, die Menschen und ich habe in jener Nacht fast das Gefühl, Teil der Gruppe zu sein.

 

Die Häfen

buhlen um die Kreuzfahrtschiffe, aber es rechnet sich für sie selten. In den Terminals werden Anlegestellen und Infrastruktur für Megateile gebaut, die oft nur einen geringen Teil der Investitionen wieder hereinholen. Von dem, was Passagiere auf Landausflügen ausgeben, behalten Kreuzfahrtschiffe fünfzig Prozent und mehr als Provision ein. Die Entwicklung geht dazu, dass Kreuzfahrtunternehmen Kreuzfahrthäfen kaufen oder bauen. Damit entfällt jeder finanzielle Gewinn für die angesteuerten Länder. Da entwickelt sich eine eigne, hervorragend kapitalistisch funktionierende Welt. Das Konzept von „The World“ ist schon ein paar Jahre alt. Auf dem Luxusliner können sich sehr Reiche, die keine Yacht wollen, oder sich keine angemessene leisten können, ein Stück Yacht kaufen. Es gibt an Bord 165 Eigentumswohnungen und einen Essensgutschein für 24.000 Euro. Die Preise können sie bei Content: Philip White +44 (0) 7939 247664 erfragen. Ob das die neue Welt sein wird? Auf dem Wasser wohnen, weil wir den Rest schon zerstört haben. Den Massentourismus, die Ferienclubs, die geballte all-inclusive Scheisse aufs Wasser verlegen, weil die schönen Gegenden verbaut sind? Man muss das alles nicht machen. Man kann auch ablehnend winken, wenn es auch noch so billig ist. Kann sagen, ach nein, ich verzichte darauf mit einem Flugzeug zu einem Schiff zu fliegen, die Welt mit mir vollzuscheissen, nein danke, ich will ihr Supersonderangebot nicht. Wenn man unbedingt in einem Gefängnis auf dem Meer herumschippern will, könnte man auch einfach ein Jahr sparen, und mit einem kleinen lokalen Unternehmen fahren, mit kleinen Schiffen, ordentlich bezahlten Angestellten, diese Megaschiffe sind Menschenmelkmaschinen, Umweltkillmaschinen, nur weil es billig ist, muss man nicht alles mitmachen. Man kann doch auch einfach mal ruhig sein, zu Hause bleiben, oder in ein kleines Hotel gehen, irgendwo in Italien, meine Güte, das kann doch nicht so schwer sein.

 

 

Und nun.

 

Checken die Massen aus. Nach einigen Tagen Vollbedröhnung, Rundumdieuhrspektakel, die Abfertigung erinnert an Schlachthäuser Gepäck vor die Tür, Menschen mit Zettelchen, die Rechnung finden sie in ihrem Kasten. Auf der Rechnung finden alle einen beträchtlichen Servicezuschlag. Wütende Reisende stehen in Schlangen und erfahren, dass sie da irgendwas unterschrieben haben, im Vertrag, unten links. Vermutlich bezahlen sie mit dem kleinen Extra, bei mir sind es doch sechzig Euro für drei Kaffee, die Gehälter der Menschen aus den Schwellenländern. Draußen vor der Tür ist Sonne, die hat man in den letzten Tagen fast vergessen, in diesem dunklen Monsterkasten voller fensterloser Bars, Casinos, Tanzvergnügen, in dem man sich auflösen kann, und am Ende glauben, dass hier die Welt sei, zusammen mit den Anderen, die auch glauben, alles richtig zu machen, Spaß haben einfach mal Spaß haben, Verantwortung abgeben, genießen, die Beine baumeln lassen, das Hirn, und die Sonnenuntergänge, nein so etwas Schönes. Ich rege mich auf, und das ist sinnlos. Vermutlich muss sich einfach wieder los. Auf Cruising. Ohne Ende die Welt bereisen, alle Weltmeere, aufgehen im Unterhaltungsprogramm, zerfließen im Whirlpool und am Abend mit meinen Neonröhren schlafen gehen.

Soweit zum Klima. Ich wünsche ein feines Wochenende --

grosses PS. Ab bals werde ich das Unterstützungsmodell Klassenübergreifend ändern. oder so. Ich schreib nächstes mal was das bedeutet.

bill b

Topic Sehr unterhaltsame Texte

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