Lieber Mensch!
War gut gestern?
Kopfschmerzen? Lappen auf Kopf- draussen riecht es nach Brennstäben. Das Beste an diesem: Nach den Feiertagen, ist, dass nirgends mehr bescheuerte jahresrückblicke auftauchen. All die Toten, all die Katastrophen, Journalisten am Anschlag. Kaum einem ist eingefallen, all das Grossartige zusammenzusuchen, das neben Erdbeben Hochwasser, Pleiten und Kriegen noch passiert ist. All das gute Zeug zu dem Menschen auch fähig sind- die Erfindungen, Forschungen, Überraschungen, Genesungen das grosse Wunder: das wir immer noch leben, Hurra. Das sagt doch keiner. Es ist vielleicht auch unwichtig, weil die Menschen, und es sind doch immer die anderen, es doch wieder zerstören.
Wie auch immer. Ich schreibe keinen Rückblick keinen Ausblick, sondern pure, sinnlose Unterhaltung für euren verkaterten Kopf-
Habt es bitte gut, liebe Leute, seid freundlich, seid zurückhalten mit euren Meinungen so wichtig sind die nicht, seid nett zu anderen, schenkt mir Sachen und bleibt mir erhalten
Eure Sibylle
Es war das Grauen der Jugend.
Die Neunziger Jahre.
Abgesehen von schlechter Musik war es ein Nichts. Das Drogenumnebelte Phlegma vor dem Ausbruch der Gier, ein seltsam gelbes Jahrzehnt. Es schien immer ein wenig zu ziehen, Kaffee war Plörre aus Glaskannen, Restaurants schlossen um zehn, und Menschen hatten blöde Frisuren im Westen Deutschlands, in den ich vor noch blöderen Frisuren aus dem Osten geflohen war. Sehr schnell merkte ich: Deutschland interessierte mich nicht, es gab in Osten und Westen nur Deutsche, aber von Wien hatte ich fantastische Bilder. Von gutgenährten Menschen die freundlich in Cafés sitzen, jeder ein Dichter oder Kommerzienrat. Der Österreicher, wurde mir gesagt, hatte keine Autoagressive Schuldstörung wegen seiner Rolle im Holocaust am Laufen. Man hatte sich des Problems elegant mit dem Export von Hitler entledigt. Prost!
Ich stellte mir Wien klein vor, grün und an dem eleganten Fluss gelegen, der durch die Stadt fließt, und an dem Heurigen stattfinden. Worunter ich mir etwas mit Wiesen vermutete.
Ich träumte von Menschen die Hrdlicka hießen und Kellner waren. Unklar, was mich an Wien so erregte, der runde Name vielleicht oder mein Hang zur Nekrophilie.
Irgendein Sonderangebot war es gewesen, für 100 Euro, die damals noch anders hießen, drei Tage Wien, und ich dachte mir, in drei Tagen würde ich die Kleinstadt begreifen. Ich kannte aus dem Ostblock vornehmlich Städte, in denen man Menschen traf, die einen bei sich übernachten ließen und mit an Hochzeiten schleppten. Ich glaubte daran, dass sich Sachen ergäben, so wie ich damals auch noch daran glaubte das sich das Leben zum Guten wenden würde, ohne persönliches Zutun.
Und dann stand ich in Wien. Der Ring, von dem ich gelesen hatte, war keine kleine gemütliche Straße, durch die Miniaturstrassenbahnen fuhren, sondern eine gefühlt 12-spurige Autobahn, über die nicht einmal Strohballen wehten. Es standen keine Wiener am Straßenrand, um mir zu zujubeln, denn es war leer, vielleicht war Sonntag. Oder irgendwas mit Mutter.
So enttäuscht wie als junger Mensch, wenn die bunten Fantasien, die man sich von Orten gemacht hatte, nicht mit der Realität übereinstimmen, kann man später nie mehr werden. Aber das half mir im Moment nicht, die Bäume waren kahl, obgleich es Frühling hätte sein sollen, ein scharfer Ostwind fegte über die Prärie, die aus grauen Palästen bestand, die eigentlich die Post waren. Oder Wasserwerke. Oder Museen. Wo wohnten die Menschen hier?
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