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Deine tausend engsten Freunde

Es ist Montagmorgen. Du liest die Blaupause, den Newsletter, mit dem du Communitys besser verstehst und erfolgreich Mitgliedschaften anbietest. Heute: Wie Mozart seinen Content vermarktete.

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Hallo!

Heute geht es hier um einen klassischen Komponisten, und dazu passt auch diese Nachricht. Denn morgen wird es in Mozarts Heimat spannend: Dann startet die Kampagne des Projekts Jetzt.at (Opens in a new window). Das soll ein österreichisches Community-getragenes Hintergrundmedium werden, ähnlich wie De Correspondent, Krautreporter, Republik, Zetland etc. Ich drücke die Daumen!

Grafik: ChatGPT

Mozarts Mitglieder

Am 20. März 1784 schickte Mozart dem Vater stolz eine Liste mit 176 wohlklingenden Wiener Namen. Der Komponist hatte eine Reihe von Concertos geschrieben, deren Aufführung nur stattfinden sollte, wenn genug Leute eine 6-Gulden-Eintrittskarte kauften. Das Crowdfunding des jungen Creators war erfolgreich, die „Abonnement-Konzerte“ konnten stattfinden.

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Quelle: Österreichische Nationalbibliothek

Hier haben sie die Liste von allen meinen Souscribenten; – Ich habe allein um 30 Abbonenten mehr als Richter und Fischer zusamen. – die Erste Academie am 17:tn dieses ist glücklich abgelauffen – der Saal war angesteckt voll. – und das Neue Concert so ich gespiellt hat ausserordentlich gefallen. und wo man hinkomt hört man diese academie loben. – Morgen hätte meine erste academie im theater seÿn sollen – fürst Louis Lichtenstein giebt aber beÿ sich opera – entführt mir nicht allein den kern der Noblesse, sondern debauchirt mir auch die Besten leute aus dem orchestre. – ich hab sie also durch ein gedrucktes Avertissement auf den 1:tn aprill verschieben lassen. – Nun muß ich schlüssen, weil ich zum graf Zitchi zur Academie muß. – bis die fasten vorbeÿ ist, müssen sie schon mit mir gedult haben. – wir küssen ihn beÿde die Hände, und umarmen unsre liebe schwester von Herzen und sind Ewig dero

Vienne ce 20 de mars 1784

gehorsamste kinder
W: A: Mozart mp

Mozart suchte damals „Souscribenten“ per „gedrucktem Avertissement“, um seine Kunst zu finanzieren. Heute wenden sich zunehmend Medienmacher:innen im Internet an ihre Community. Goldman Sachs Research schätzt (Opens in a new window) die Creator Economy auf aktuell rund 250 Milliarden US-Dollar und erwartet bis 2027 ein Wachstum auf 480 Milliarden. Weltweit gibt es demnach etwa 50 Millionen Creators, von denen rund vier Prozent so ihren Lebensunterhalt bestreiten.

Es sind die durch Technik verursachten Veränderungen unseres Alltags, die diese neue Medienwirtschaft ermöglichen. Heutzutage haben wir eben ununterbrochen ein Smartphone in der Hand, auf dem sie sich mit dem Daumen durch endlose Bahnen von Videos, Kurztexten, Fotos hangeln. Die beliebten Apps bieten eine eklektische Mischung aus Kultur und Unterhaltung, politischer Meinung und Klamauk. Bundeskanzler und Klassenkamerad, Oma und Nobelpreisträger, bester Freund und Komiker kommen und verschwinden gleich hintereinander. Hierarchisch sortiert wird nicht, wichtiger als der Rest ist nichts. Die Inhalte-Fetzen fliegen zwischendurch und nebenbei vorbei, nur selten stoppt der Daumen und gibt einem Stück „Content“ ein paar Sekunden länger eine Chance. Ausschlaggebend dafür, ob wir kurz hängen bleiben: ein Gesicht. 

Was wie eine Höllenmaschine daherkommt, befriedigt also letztendlich unsere uralten Bedürfnisse nach Begegnung und Austausch mit anderen Menschen. Wir sind weiterhin soziale Wesen, nur mit Smartphone-Daumen. Die neuen Medien machen es uns so leicht wie nie zuvor, anderen zu begegnen. Es handelt sich aber um eine besondere Art zwischenmenschliches Verhältnis, nämlich eine einseitige emotionale Verbindung zu einer Person, die von der Existenz ihres Gegenübers wenig bis gar nichts weiß. Die Wissenschaft spricht von einer parasozialen Beziehung.

Das ist weder problematisch noch neu. Nur verstärkt die digitale Vernetzung die Illusion einer wechselseitigen Interaktion. Wenn jemand direkt in die Kamera spricht und dabei vollen Blickkontakt hält, fällt es dem menschlichen Gehirn schwer, zwischen Emotionen, die es auf dem Bildschirm sieht, und denen im echten Leben zu unterscheiden. Wer stundenlang den vertrauten Stimmen eines Podcast-Gesprächs zuhört, kann sich dem Gefühl von Intimität oder Freundschaft kaum entziehen.

Community-basierte Medien und ihre digitalen Distributions-Kanäle sind natürlich nicht per se schlechter oder besser. Sie haben allerdings mehr Eskalationspotential als etwa das Medium der gedruckten Zeitung. „Make American Great Again“, der Putinismus oder die rechtsnationalistischen Bewegungen in Europa sind kaum denkbar ohne die viralen Mechaniken von Social-Media-Blasen, die sich um Lügen und Verschwörungserzählungen herum bilden. Extremisten erschaffen hier Zerrbilder der Welt, die wissenschaftliche Prinzipien ignorieren. 

Die Grundlagen des Journalismus wie Transparenz, Wahrheit, Recherche – aufbauend auf den Idealen der Aufklärung – vertragen sich schlecht mit solchen Mechaniken. Nichts aber hindert die offene Gesellschaft daran, Communitys zu finanzieren, die ihre eigenen Werte hochhalten und verteidigen. Genau das tun immer häufiger neue Community-getragene Medien und ihre Mitglieder. Fragen Creators ihre Mitglieder, warum sie eigentlich zahlen, ist die häufigste Antwort: „Ich will nicht, dass du aufhörst.“

Diese besondere Verbindung mit der Community, die parasoziale Beziehung zu einem Creator, gab es auch schon vor 240 Jahren. Bei einem der Wiener Abonnement-Konzerte 1785 applaudierte jemand besonders begeistert von seinem Logenplatz herab und rief: „Bravo, Mozart!“ So jedenfalls berichtet es der Komponisten-Vater Leopold. Der Name des begeisterten Mitglieds: Kaiser Joseph II.

Dieser Text in vor ein paar Wochen in der wunderbaren österreichischen Wochenzeitung Die Furche erschienen. Hier findest du ihn online (Opens in a new window), verbunden mit der Möglichkeit eines Probeabos.

Bis nächsten Montag!
👋 Sebastian

Und?

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Topic Storys

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