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Arbeit als Sinn des Lebens!?

„Die Deutschen müssen wieder mehr arbeiten!“ Dieser Satz aus den konservativen politischen Lagern und natürlich der Wirtschaft machen derzeit in unserer Gesellschaft die Runde, als ob mehr Arbeit im Sinne abhängiger Beschäftigung das Allheilmittel für die Folgen verfehlter und fehlender Reformen in allen gesellschaftlichen Bereichen sein könnte. Doch wer, aus welchen Gründen auch immer, die Augen vor den Realitäten verschließt, wird dem, ohne groß nachzudenken, zustimmen, weil es so einleuchtend klingt, so einfach, obwohl es so falsch wie nur irgendetwas ist.

Und wer den Beitrag lieber lesen möchte:

(mit Link zu den Studienergebnissen des Pilotprojektes Grundeinkommen)

„Die Deutschen müssen wieder mehr arbeiten!“ Dieser Satz aus den konservativen politischen Lagern und natürlich der Wirtschaft machen derzeit in unserer Gesellschaft die Runde, als ob Arbeit im Sinne abhängiger Beschäftigung das Allheilmittel für die Folgen verfehlter und fehlender Reformen in allen gesellschaftlichen Bereichen sein könnte. Andererseits werden im Rahmen des menschen- und lebensfeindlichen Rechtsrucks der ehemaligen Mitte Vorstellungen von Work-Life-Balance, also der persönlichen Sinnsuche und Befriedigung auch außerhalb der abhängigen Beschäftigung als gesellschaftsschädigend und arbeitsscheu diffamiert. So etwas, so heißt es aus Wirtschaftsperspektive können wir uns ebenso wenig leisten, wie höhere Mindestlöhne oder gar eine soziale Absicherung, die auch ohne Arbeit ein menschenwürdiges Leben und normale gesellschaftliche Teilhabe erlaubt. Damit würden wir den Spitzenplatz in der Weltwirtschaft und unseren Wohlstand aufs Spiel setzen, denn sozial gut abgesichert, würde ja niemand mehr arbeiten. Und dann ist da ja noch der Fachkräftemangel. Auch hier hilft nur mehr Arbeit in Form von freiwilligem hinausschieben des Rentenalters.

Und wer, aus welchen Gründen auch immer, die Augen vor den Realitäten verschließt, wird all dem, ohne groß nachzudenken, zustimmen, weil es so einleuchtend klingt, so einfach, obwohl es so falsch wie nur irgendetwas ist.

Eigentlich hätte es über die amerikanische und finnische hinaus keiner weiteren Studie bedurft, doch die kürzlich veröffentlichten Ergebnisse des wissenschaftlich begleiteten Pilotprojektes Grundeinkommen belegen nun auch für Deutschland schwarz auf weiß, dass die Geschichte mit der sozialen Hängematte nichts als ein Märchen ist. Die Menschen, die drei Jahre lang jeden Monat ein bedingungsloses Grundeinkommen in Höhe von 1200 € erhalten haben, arbeiteten in gleichem Umfang weiter, doch das Unabhängigkeitsempfinden vor allem bei Frauen stieg deutlich an und auch die mentale und körperliche Gesundheit, die Lebenszufriedenheit und das solidarische Verhalten der Probanden entwickelte sich positiv. Dabei geht es gar nicht um 1200 € mehr Einkommen, sondern um sicheres, bedingungsloses Einkommen, das die Menschen unabhängiger, freier in ihren Entscheidungen macht.

https://www.pilotprojekt-grundeinkommen.de/?utm_campaign=pilot-ergebnisse (Opens in a new window)

Und das ist möglicherweise ein zentraler Punkt, weshalb die Vorstellung eines bedingungslosen Grundeinkommens in der Wirtschaft und der wirtschaftshörigen Politik auf so starke Ablehnung stößt und weshalb auch das bisherige durchaus restriktive Bürgergeld nun durch Sozialleistungen abgelöst werden soll, die eher auf ein durch Leistungsentzug sanktioniertes bedingungsloses Arbeitsgebot, um nicht zu sagen Zwangsarbeit hinauslaufen. Die gesellschaftlichen Vorteile arbeitsunabhängiger sozialer Sicherheit zählen da nicht.

Man muss kein Philosoph sein, um zu erkennen, dass Arbeit ein sehr komplexer Begriff ist, der je nach Interessenlage ganz unterschiedlich definiert werden und viele Facetten haben kann. Fangen wir mal mit dem Sinn der Arbeit an. Für meinen Vater, aufgewachsen in den beiden Weltkriegen, bedeutete Arbeit alles. Arbeit war sein Leben und wie viele seiner Generation verstarb er nur wenige Jahre nach Renteneintritt, nicht etwa wegen körperlichen Verschleißes, sondern weil das Leben ohne Arbeit für ihn keinen Sinn mehr ergab. Mein Vater zog sein Selbstwertgefühl nicht etwa aus seinen vorhandenen Fähigkeiten, sondern aus seiner abhängigen Beschäftigung. Anerkennung durch die Vorgesetzten und Kollegen war sein Lebenselixier, Anerkennung im Freundes- und Bekanntenkreis als fleißiger Beschäftigter, der sich etwas leisten kann. Und nun, von einem Tag zum anderen alles weg, Leben sinnlos. Eigenständige Lebensgestaltung, Hobbies, nie entwickelt, wozu auch, man hatte ja Arbeit, eine Alternative undenkbar.

Undenkbar auch deshalb, weil angesichts der Arbeitszeiten, der Überstunden, der abendlichen Schwarzarbeit keine Kraft und keine Zeit mehr zum Nachdenken blieb. Konsum, auch Alkoholkonsum als Ersatz für Kultur, für gesellschaftliches Leben oder auch Gartenarbeit – nicht etwa Erholung - füllte die Freizeit, machte süchtig nach mehr, auch nach mehr Alkohol. Denn glücklich war mein Vater nicht, nur eben stolz auf seine Arbeit, über die er sich definierte. Mein Vater währe froh gewesen, hätte er noch länger arbeiten dürfen und er hätte mit Sicherheit auch noch viele Jahre länger gelebt, unglücklich zwar, aber mit sich zufrieden. Unglücklich war er natürlich auch mit der Tatsache, dass sein Sohn so ziemlich alles verkörperte, was seinen Werten und Überzeugungen widersprach. Statt einen ordentlichen Beruf zu erlernen, hatte ich mich entschieden, zu studieren, also mich zu jenen zu gesellen, die in ihrem Leben nichts leisten, aber alles besser wissen. Dass Hitler die Autobahn gebaut hat, wusste ich auch nicht anzuerkennen und die Auffassung, dass die Juden an allem schuld seien oder die Italiener den Deutschen die Frauen wegnehmen und ständig mit Messern um sich stechen, konnte ich auch nicht teilen. Und noch schlimmer: Ich war links, setzte mich ein für Menschenrechte, gegen Autoritätshörigkeit und natürlich auch gegen den Vietnamkrieg, kurzum für freie Meinungsäußerung und Demokratie. Und als sei das nicht genug, hatte ich mir vorgenommen, mein Leben nicht in den Dienst der Arbeit für den Reichtum anderer zu stellen, mich nicht von Konsumforderungen der Wirtschaft terrorisieren zu lassen, nicht den deutschen Tugenden, die mein Vater verkörperte, zu folgen, kurz gesagt, auf eine Weise zu arbeiten, die mir ein unabhängiges, möglichst selbstbestimmtes Leben ermöglicht.

Eine schreckliche Vorstellung für unsere libertären, rückwärtsgewandten Politikerriegen und Wirtschaftsvertreter, die die Uhr, vor allem, was die Einstellung der Arbeitnehmer betrifft, so gerne in jene von mir gerade beschriebene Zeit zurückdrehen möchten. Dem exorbitanten Reichtum weniger Fossilianten könnte das tatsächlich nutzen, der Gesellschaft, der Menschheit ganz sicher nicht. Tatsächlich ist eine Wirtschaftswende längst überfällig. Die Wirtschaft muss nämlich nicht unbedingt wachsen, die Menschen müssen nicht wirklich mehr und länger arbeiten. Stattdessen muss sich eine zukunftssichere Wirtschaft endlich wieder den gesellschaftlichen Bedürfnissen unterwerfen, muss sich erheblich modernisieren, sicher auch technologisch, vor allem aber hinsichtlich ihres moralischen Kompasses. Und das gilt auch für die Politik und ihre Lösungsansätze für die realen Probleme unserer Zeit.

Doch derzeit ist es tatsächlich so, dass die Wirtschaft sämtliche gesellschaftlichen Bereiche aufgrund ständig ausgebauter und verfeinerter Abhängigkeiten, auch gefördert durch die Sozialgesetzgebung prägt. Die Geister der Vergangenheit nehmen als Politzombies des Kapitals und des faschistischen Ungeistes gesellschaftliche Schlüsselstellungen ein. Längst vorbei das Grundprinzip der freien Berufswahl, längt ist aus einem Recht die Pflicht zur Arbeit geworden, ohne Bedenkzeit, ohne echte Chancen zur Neuorientierung, ohne freie Wahl des Arbeitgebers. Längst gilt auch wieder Bildung als anrüchig, Berufsausbildung als Nonplusultra. Berufliche Scheuklappen statt weiter geistiger Horizont, Wirtschaftshörigkeit statt soziale Kompetenzen, Fremdenfeindlichkeit statt kultureller Austausch, Abhängigkeit statt Selbstbestimmung.

Ja, da ist es wieder, das Prinzip Abhängigkeit, das nicht nur zu Arbeit und Konsum zwingt, sondern in Verbindung mit der Bildungsfeindlichkeit auch freies Denken und sachliche demokratische Auseinandersetzung behindert. Denn die Probleme der Wirtschaft müssen tatsächlich nicht automatisch die Probleme der Gesellschaft sein. Klar, alles, was sich die Gesellschaft an Sozialleistungen, Infrastrukturmaßnahmen oder Wohlstand leistet, muss auf die eine oder andere Art erwirtschaftet werden. Auf welche Art, in welchem Umfang und mit welchen Schwerpunkten muss aber die Gesellschaft bestimmen und nicht die Lobby libertärer Wirtschaftskonzepte, die jetzt als vermeintlich sachkompetente Kanzler und Minister direkt in die Regierung Einzug gehalten hat.  Nein, wir brauchen nicht mehr Wirtschafts- sondern mehr Gesellschafts- und Wissenschaftskompetenz für Entscheidungen mit gesellschaftlicher Tragweite! Denn wenn wir in unsere Zukunftsüberlegungen endlich wieder gesellschaftliche Fragen einbeziehen und ernsthaft und mit echten wissenschaftlich belegbaren Fakten statt Ideologien diskutieren würden, wäre sowohl der Gesellschaft als auch dem Klima und daraus resultierend der Wirtschaft gedient. Doch dazu braucht es unabhängige, gebildete Geister. Übrigens auch in den Medien, die sich in ihrer Schwerpunktartigen Berichterstattung über die Af*D, über Anschläge oder eben auch über Wirtschaft nicht gerade mit journalistischem Ruhm bekleckern und oft genug ungeprüft und vor allem undifferenziert Aussagen von Wirtschaftsvertretern als Fakten einfach weitergeben, statt einzuordnen und die mehr und mehr der rechtslibertären Propaganda folgen.

Ja, Bildung und Unabhängigkeit tut not, überall!

Topic Autorenkosmos

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