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Ja, zugegeben, der Text ist etwas stumpf, er strotzt vor sexistischen Begriffen, aber das Publikum im Saal, immerhin 1.500 Leute, ist begeistert, und ist es nicht das, was zählt? Bei so etwas muss der Staat nun wirklich nicht eingreifen. Hat er aber getan, und jetzt haben wir den Salat.

Es ist Februar 1981, und die Cancel Culture wütet mit besonderem Furor über der Bundesrepublik. Was ist passiert? Nach acht Jahren wird die überaus erfolgreiche WDR-Sendung „Radiothek“ eingestellt, ein Mix aus Musik und Wortbeiträgen, seiner Zeit durchaus voraus, immer politisch, meist so links verortet, dass Landespolitiker sie als „Maothek“ verspotten. Aber: Die Radiothek behauptet nie, ausgewogen zu sein, und sie erreicht eine junge Hörerschaft, die der WDR sonst nirgends bedient. Trotzdem wird sie abgesetzt, und die letzte Sendung am 30. Dezember soll es noch einmal knallen lassen: Viereinhalb Stunden wird live aus der Stadthalle in Köln-Mülheim gesendet, es treten Kabarettisten wie Hanns-Dieter Hüsch auf und eine damals komplett unbekannte Band namens BAP. Und das Berliner Witzetrio „Die 3 Tornados“, das eine, nun ja, Satire auf die Jungfrauengeburt Marias (nicht: Unbefleckte Empfängnis, das ist was anderes. Gez.: Der Ex-Katholik) aufführt, in der Josef erfährt, dass seine Frau schwanger ist, obwohl sie ihn nicht ranlässt:

Maria: „Ich hab' meine Tage nicht gekriegt.“

Josef: „Was? Wer war das! Wie heißt der Typ? Dem polier ich die Fresse!“

Maria: „Nein, Josef, das war alles ganz anders. Der Heilige Geist ist mir erschienen.“

Josef: „Der Heilige Geist! Das muss ja ein schöner Heiliger Geist sein, der meine Verlobte hinter meinem Rücken von hinten bumst.“

Ja, ich habe nicht behauptet, dass das besonders geistreich gewesen wäre! Aber es kommt gut an beim sicher auch ordentlich betrunkenen Publikum, das sich kritisch begreift und im tiefsten Revier des Rheinischen Katholizismus lebt. Alle wissen, dass man sich hier mit einem großen Gegner anlegt, die „Tornados“ ebenso wie der verantwortlich zeichnende Redakteur Joachim Ulrich Lux, der WDR-typisch eigentlich nur Uli genannt wird. Die ganze Sendung ist abgenommen, einige spontane Ausfälle werden schnell abgebügelt, wie die Aufforderung eines Künstlers an draußen wartende Interessierte, doch einfach die Scheiben einzuschlagen und reinzukommen. Aber größtenteils ist die Sendung unter Kontrolle und wird im ganzen WDR-Sendegebiet gehört.

Gehört wird sie auch von Elisabeth Dust, Hausfrau, Mutter von fünf Kindern, Katholikin und Mitglied im Rat der Domgemeinde St. Patrokli in Soest. Und sie ist außer sich, so sehr, dass sie sich noch bevor das neue Jahr angebrochen ist an einen Leserbrief setzt, den sie an die ebenso katholisch-konservative Westfalenpost schickt, die ihn sofort veröffentlicht. Und so erreichen „Die 3 Tornados“ aus dem linken Rundfunk ein weites kirchliches Publikum, das sofort Himmel und Hö… alle Hebel in Bewegung setzt. Das Erzbistum Paderborn setzt eine Petition an den Düsseldorfer Landtag auf, die Kirchgänger:innen zeichnen können - wer genau wissen will, was er da unterschreibt, kann im Pfarrsaal Ausschnitte der Sendung auf Kassette nachhören. Trotz des ganzen Aufwandes unterschreiben letztlich auch im tiefsten katholischen Westen nur etwa 2000 Menschen den Wunsch nach Konsequenzen für Uli.

Bischof Paul Nordhues geht aber zweigleisig vor: Er nutzt seine Kontakte und meldet sich direkt beim WDR-Intendanten Friedrich-Wilhelm Freiherr von Sell (ja, so hießen Intendanten sogar beim Rotfunk). Flankiert von den konservativeren der deutschen Presseerzeugnisse fordert er Aufklärung, wie es solche Gotteslästerung ins Programm schaffen konnte. Der WDR lässt daraufhin die gesamte Sendung auf 69 Schreibmaschinenseiten transkribieren, inhaltlich und juristisch prüfen und zieht die Reißleine: Zum ersten Mal in der Geschichte des Senders wird mit Uli Lux ein Redakteur wegen der inhaltlich-journalistischen Verantwortung für Sendeinhalte fristlos gekündigt, seine Vorgesetzten erhalten Abmahnungen. Das macht den Fall so groß, dass er weit über Nordrhein-Westfalen hinaus Aufmerksamkeit erhält: Der Spiegel berichtet groß und mit vielen Interna gefüttert, aber Lux bleibt zunächst entlassen auf Betreiben des Intendanten Sell (SPD-Mitglied) und des Verwaltungsratschefs Konrad Grundmann (CDU, ehemaliger Landesminister). Eine informelle große Koalition, der das anstrengende Sendeformat schon lange unbequem war, tritt ein letztes Mal nach.

Lux klagt vor dem Arbeitsgericht und gewinnt in zwei Instanzen: Das Landesarbeitsgericht urteilt rechtskräftig, dass er zwar für die Inhalte mitverantwortlich sei, die übergeordneten Kontrollorgane des WDR das aber nicht allein ihm zuschieben könnten. Lux bleibt beim WDR und überlebt dort seine beiden Widersacher: CDUler Konrad Grundmann stolpert ein Jahr später darüber, dass er sich von der gewerkschaftseigenen, gemeinnützigen Baufirma „Neue Heimat“ ein Wohnhaus bauen ließ, für das er 193.000 Mark weniger bezahlte, als es gekostet hatte. Als der WDR-Politikredakteur Heribert Faßbender (ja, der) das aufdecken wollte, wurde er daran von seinem Chefredakteur, Theo Maria Loch, gehindert, bis andere, unabhängigere Medien vorpreschten. Loch selbst musste nicht deshalb gehen, sondern weil wenig später öffentlich wurde, dass Obersturmführer bei der SS gewesen war. Und Intendant Sell wirft 1985 die Brocken hin, weil er im WDR sämtlichen Rückhalt verloren hat – auch, weil Grundmann ihm teure Erweiterungsbauten für sein Privathaus auf Senderkosten genehmigt hatte.

Mit Lux‘ Rückkehr in den Sender ist die Sache aber nicht erledigt: Die Justiz ermittelt noch. Im Mai 1982 wird den 3 Tornados und Uli Lux vor dem Amtsgericht Köln der Prozess gemacht. Im Saal spielen sie ihr Stück über Maria und Josef noch einmal vor. Uta Ranke-Heinemann gibt ein theologisches Fachgutachten ab, das den Sketch als Nachdenkimpuls über eine innerkirchliche Debatte der „Vorstellung einer biologischen Jungfräulichkeit Marias“ bezeichnet. Ein Gutachten von Udo Lindenberg bescheinigt den Tornados, „das bedeutendste Kabarett der jüngeren deutschen Geschichte“ zu sein. Es hilft alles nichts: Amtsrichter Hans Gerhard Neu befindet, der Marienkult sei ein zentrales Element des Volkskatholizismus, Sex „von hinten“ hingegen für die „breite Bevölkerung die Vorstellung eines besonderen Maßes an Lustgewinn.“ Dass Maria gerne Lust verspürt hätte, reicht offenbar für eine Verurteilung wegen der Beschimpfung religiöser oder weltanschaulicher Bekenntnisse oder der Kirche aus. Lux muss 2.400 Mark zahlen, jeder der „Tornados“ 600. Der Versuch der Kabarettisten, den Gotteslästerungsparagrafen vor dem Bundesverfassungsgericht zu kippen, scheitert auf dem Rechtsweg: In vierter Instanz werden sie nämlich rechtskräftig freigesprochen, der Weg nach Karlsruhe ist damit versperrt.

Noch schnell zurück ins Jahr 2022: Deutsche Medien haben mal mehr, mal weniger absichtlich, aber sehr erfolgreich geschafft, „Cancel Culture“ gleichzeitig als etwas Neues und etwas Linkes zu bezeichnen. Beides ist nicht zutreffend, und so wie die Behaupter einer „Cancel Culture“ immer wieder daran scheitern, echte Beispiele davon zu finden, dass jemand „gecancelt wurde“ (wahlweise werden dabei milliardenschwere Autorinnen, österreichische Kabarettistinnen mit Fernsehstammplatz oder im deutschen Feuilleton publizierende Schlagerproduzenten genannt), so ist auch die Tornado-Affäre letztlich weitgehend ohne Konsequenzen geblieben. Der Gotteslästerungsparagraf existiert bis heute, wird von Linken wie Liberalen immer mal wieder zur Aufhebung vorgeschlagen, während die CSU ihn immer mal wieder verschärfen möchte. Die 3 Tornados lösten sich später auf, wurden Theatermacher oder Lateinlehrer. Was aus Uli Lux wurde, war mir leider nicht recherchierbar. Die Radiothek blieb abgesetzt, es sollte danach 14 Jahre dauern, bis der WDR mit 1Live im Jahr 1995 wieder ein dezidiertes Jugendprogramm aufsetzte – deutlich braver. Vielleicht wäre es an der Zeit, den Radiothek-Abschied mal wieder in die Köpfe zu holen. Die ARD bewirbt ja gerade groß ihre Audiothek. Wie wär’s?

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