Episode #51
19.10.2024: Manchmal können sich selbst die Wolken nicht entscheiden.
Secrets of the Wild Sofas
Ich habe ein wildes Sofa gesehen.
Sieht man nicht oft, aber da wo ich wohne, gibt es ein paar. Sie stehen meistens an Straßenecken und bleiben - was ihre Seltenheit kaum vermuten lässt - sehr gelassen, wenn sich Menschen in ihre Nähe begeben. Wobei das nicht oft vorkommt. Denn auch wenn Menschen im Allgemeinen das Bedürfnis zu haben scheinen, wilde Kreaturen aller Art möglichst einzufangen oder wenn nicht, dann doch wenigstens zu berühren und damit für sich zu deklarieren, scheint man bei wilden Sofas akzeptiert zu haben, dass ein sicherer Abstand allen zugute kommt. Man weiß ja nie.
Das wilde Sofa stand im Park. Am Wegesrand, halb in diesem Graben, in dem sich das Regenwasser sammeln soll, damit sich auf dem Weg keine Pfützen bilden, durch die irgendwer fröhlich hüpfen könnte. Vielleicht lag es auch. Das ist nicht ganz klar, denn sein Zustand ließ doch eindeutig darauf schließen, dass es nicht freiwillig ausgezogen war. Die Prozedur hatte ihre Spuren hinterlassen und das Ergebnis verweilte nun schief, halb auf der Seite, aber wenigstens im Grünen.
Für Lebewesen gab es Telefonnummern, die man jetzt hätte anrufen können. Aber für Sofas?
Vielleicht war es auch wie mit verzüchteten Haustierrassen, die ohne Menschen, ohne Zuhause gar nicht zurecht kamen in der Welt. Warum sonst hätte das aufgeweichte Ding über Tage in dieser Lage ausharren sollen, wenn nicht aus Hoffnung auf Rückkehr, ein Zuhause, jemanden?
Es gab viele Geheimnisse um die wilden Sofas, aber nur zwei waren von Bedeutung: Niemand wusste, woher sie kamen. Niemand wusste, wohin sie gingen.
Nach einigen Tagen verschwand das wilde Sofa. Noch ein Mal tauchte es an einer anderen Straßenecke auf, ramponiert, verschmiert, kaum mehr als das zu erkennen, was es mal gewesen sein musste. Man hatte aus endgültig aufgegeben und zurückgelassen wie einen bissigen Hund an einer Raststätte.
Vielleicht hatte es zu viele Fernbedienungen verschlungen.
Vielleicht hatte es mit angesehen, wie ein neues, sauberes Sofa in sein Zuhause gezogen war. Eins das cooler aussah, vielleicht in einer Form, die es nicht mal als solches enthüllte. Eins, von dem man Kinder verscheuchte. Eins in einer ebenso brachialen wie geheimnisvollen Farbe: Weiß.
Am nächsten Tag war vom Sofa nichts mehr zu sehen. Verschwunden. Wahrscheinlich in der Müllpresse. Unwahrscheinlich gerettet.
Und die Stadt war um eine Appartement reicher, in dem es mehr nach Raumschiff als Leben aussah.
Vor einiger Zeit habe ich einen Artikel über die Fotoserie “10/1“ des rumänischen Fotographen Bogdan Gîrbovan gelesen, in der er zehn verschiedene Menschen fotografiert, die alle in identischen Wohnungen leben. Es zeigt sich: nicht nur wir werden durch unsere äußeren Umstände geprägt. Wir prägen auch unsere Umgebung.
Die Fotoserie findet ihr beispielsweise hier (Opens in a new window).
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