S
Schachmatt
Ihre Pension befand sich im Erdgeschoss eines Gründerzeitwohnhauses, ganz in der Nähe des Viertels, in dem sie aufgewachsen war. Ihr wurde ein Schlüssel ausgehändigt für Haus- und Zimmertür. Die Klingelanlage funktionierte nicht; wenn sie Besuch empfangen wollte, musste der sie anrufen und sie ihn von der Straße aufsammeln.
Um zehn Uhr abends wurde die Haustür abgeschlossen. Die war nicht nur von außen gesichert, damit sich kein Partygänger in Haus und Hof verlief, im Kopf verirrt durch nächtliche Hingabe an zu viel von Allem oder schlicht getrieben von dem, was man ein Bedürfnis nennt, ein seltsames Wort, wenn sich nur der Körper entleeren will und es gleichzeitig dem Kopf ein Bedürfnis ist, zu spielen und sei es um Schachmatt. Die Tür war verschlossen, weil man keinen unangekündigten Besuch und sei es den von Freunden heutzutage mehr wollte. Dass jemand plötzlich direkt vor der Wohnungstür vor einem stand, mit dem sich ins Benehmen zu setzen war, dem sich erwehrt oder der eingelassen werden musste, war gänzlich aus der Mode gekommen, dergestalt, dass es im Laufe der letzten Jahrzehnte geradezu zu einer übergriffigen Handlung geworden war.
Die Türen blieben zu, auch kein alter lauter Festnetzanschluss dröhnte mehr in den häuslichen Frieden, das Telefon in der Tasche konnte stummgeschaltet werden.
Man empfing nur noch angekündigt, angezogen und aufgeräumt. Innerlich gerüstet.
Ihren nächtlichen Besucher also musste sie hereinholen und vor allem wieder mit dem Schlüssel in der Hand hinausbegleiten, denn auch hinaus ließ einen die Tür nicht mehr. Kein Knopf wie in einem Pariser Hausflur, der einem von innen die Tür ins Freie öffnete, kein Weg hinaus ohne Schlüssel, keine verborgenen Abschiedsküsse und noch bettwarmen Umarmungen. Schuhe und wenigstens ein Mantel mussten über den warmen, satten Körper gezogen werden; eine Ernüchterung, die in den Morgen gehört, nicht in die Nacht.
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