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Ein Versprechen für 2025

Ich will, dass es uns gut geht.

Dieser Satz begleitet mich seit einem halben Jahr, wie ein Mantra. Ich will, dass es uns gut geht. Er ist weder sprachlich schön, noch intellektuell interessant – vielleicht habe ich deshalb lange gezögert, ihn so öffentlich nach vorne zu stellen. 

Über den Jahreswechsel habe ich mich nochmal intensiv gefragt, was ich 2025 machen, wer ich sein will.  

Bald ist mein 40. Geburtstag. Ich will Kinder haben, jetzt wäre es langsam Zeit. Auch eine tragfähige Partnerschaft aufzubauen, braucht Aufmerksamkeit. Doch immer wieder bin ich bei diesem Satz gelandet: 

Ich will, dass es uns gut geht. 

Mit “uns”, habe ich gemerkt, meine ich dabei das wirklich größtmögliche Uns: Alle Menschen, egal ob AfD oder Islamist oder Klimaaktivist. Alle Tiere, auch die Mücke und die Wespe, alle Pflanzen, auch die, die stechen, die Erde an sich, und, ja, irgendwie auch den Himmel. 

Ich will, dass es uns gut geht.  

Denn, es geht uns gerade nicht gut.

Ich muss immer an die Kinder und Jugendlichen denken, die sich selbst die Arme aufschneiden, weil sie sich so wertlos fühlen, nach zu viel Social Media-Konsum. 

Ich muss an meine Freund:innen in Jobs denken, die langsam ihre Seelen kaputt machen, die ewig Stress bedeuten, Burn-Out und Depression. 

Ich muss an die alten Menschen denken, die einsam ihre Rollatoren durch die Straßen Berlins schieben, krank, müde, einsam, teils ohne Geld, deshalb Pfandflaschen aus dem Müll ziehen. 

Ich muss an meine Freunde denken, die nach Deutschland geflohen sind, seit Jahren gezwungen in Asylunterkünften zu leben, immer in Angst abgeschoben zu werden. 

Ich muss an die Menschen denken, die ich in Ostdeutschland kennengelernt habe, gebeutelt durch die Wende, verängstigt von dieser Welt, allzu empfänglich für einen Hass, der sie innerlich auffrisst. 

Ich muss an die Felder in Brandenburg denken, die mal vor Leben strotzten, als noch dichte Buchen- und Eichenwälder dort wuchsen, die im Winter nur noch brach daliegen, im Sommer Monokulturen und Pestizide ertragen müssen.

Die Vogeleltern, die im Frühling keine Nahrung für ihre Küken finden, weil die Jahreszeiten sich in der Klimakrise verschieben, die Insekten nicht mehr zu den gewohnten Zeit schlüpfen.

Die Landschaft rund um das Dorf, in dem meine Mutter wohnt, aufgerissen für den Kohleabbau, durchzogen von Zufahrtsstraßen, Pumpstationen und lärmenden Förderbändern. 

In meinem letzten Newsletter habe ich geschrieben, dass es mir gut geht, und dass ich mich auf 2025 freue – und das stimmt. 

In den vergangenen Jahren habe ich aufgehört, mein Geld beim SPIEGEL und der ZEIT zu verdienen, oder auf Bühnen über die Klimakrise zu sprechen, habe Gagen von 3500 Euro pro Auftritt sausen lassen; habe alles aufgegeben, was ich an Kontakten und Karriere in zehn Jahren aufgebaut habe; habe alle Sicherheit fahren lassen – und fühle mich heute sicherer als je zuvor. 

Wir leben in stürmischen Zeiten. Die gesellschaftlichen Veränderungen, die wir gerade durchleben – die Disruptionen – sind größer und schneller als je zuvor in der Geschichte der Menschheit. Der technologische Wandel. Die globalisierte Gleichzeitigkeit. Die ökologischen Katastrophen. Trump ist noch nicht mal Präsident und droht bereits seinen Nachbarländern mit Krieg. 

“Alles Ständische und Stehende verdampft, alles Heilige wird entweiht, und die Menschen sind endlich gezwungen, ihre Lebensstellung, ihre gegenseitigen Beziehungen mit nüchternen Augen anzusehen.” Dieser Satz gilt heute wieder, und er macht mir keine Angst. Vielleicht, weil ich meine Segel mutig gesetzt habe, der Sturm der Krisen, ist der Wind, der mich antreibt. 

Wir alle wissen, dass unsere Erde mit ein paar Reformen nicht mehr zu retten sein wird, dafür kommen die Verwerfungen zu schnell und zu heftig. 

Stellt euch das nur mal kurz vor: Trump überfällt einen NATO-Verbündeten. Die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Brüche, die daraus resultieren, kann man sich nicht vorstellen. Aber man kann sie nutzen.

Wir müssen sie nutzen.

Die Gegenseite plant bereits, und ihre Pläne sehen in etwa so aus: Gated Communities für die Reichsten, geschützt von Militärs, dazu Elon Musks Raumfahrtprogramm, das seine Freunde von der Erde wegbringt, wenn es denn sein muss. Survival of the Richest.

Der Rest lebt in ewiger Hungersnot, in Kriegen und Seuchen. 

Dieser Rest, das sind wir. 

Und ich will, dass es uns gut geht. 

Ich will, dass Kinder in Liebe und Sicherheit die Welt und ihre eigenen Stärken entdecken und lernen können, was es heißt, lebendig zu sein. 

Ich will, dass arbeiten gehen etwas Schönes ist, dass es bedeutet, die eigenen Träume und Visionen in die Welt zu bringen, dass Arbeit nicht nur bedeutet, Nahrung im Supermarkt kaufen zu können, sondern dass sie wirklich nährend ist. 

Ich will, dass die Alten für andere da sein können mit ihrer Lebenserfahrung und ihrem Wissen, und dass andere für sie da sind, mit Unterstützung, einem offenen Ohr und dann, in den letzten Stunden, in liebevoller Begleitung. 

Ich will, dass niemand andere hassen muss, denn wie hat Gandhi mal gesagt: Nur wenn ich jeden Menschen liebe, kann ich auch wirklich mich selbst lieben, denn jeder Mensch repräsentiert einen Anteil, der auch in mir lebt. 

Ich will, dass wir unsere Landschaften, die Tier- und Pflanzenwelt pflegen, damit für uns alle genug da ist, und damit meine ich das größtmögliche “uns alle”. 

Ich will, dass es uns gut geht – und ich will 2025 noch mal alles dafür geben, dass wir sie schaffen: die demokratische Revolution. 

Demokratie ist die vollständige Herrschaft der Menschen über sich selbst, und ich habe eine Vision, wie wir 2025 diesem Traum einen Schritt näherkommen können. 

Was ist die Grundlage von alledem? Als allererstes einigen wir uns darauf, dass uns eine Sache wichtig ist: dass es uns allen gut geht – wirklich allen. 

Dann versammeln wir uns, kommen zusammen, hören uns zu, sprechen aus, was wir brauchen, damit es uns gut geht, damit es uns allen gut geht. 

Im Projekt Menschlichkeit, in den gemeinsamen Abendessen von Jetzt reden wir! habe ich erfahren, wie kraftvoll das ist: Menschen, die sich in die Augen gucken, und sich gegenseitig das wertvollste der Welt schenken: ihre ungeteilte Aufmerksamkeit. Man kann niemanden hassen, den man versteht, und Verstehen wächst mit Zuhören, und aus Verständnis wächst Liebe, und das ist unsere stärkste Kraft. 

All die Politiker:innen von CDU, SPD, Grünen sind mal mit Idealen gestartet, doch in diesem System repräsentativer Demokratie, wo es nach oben hin immer weniger Raum gibt, steht jede:r irgendwann vor der Wahl: das tun, woran man glaubt, oder das tun, was die eigene Macht erhält. 

Die AfD hingegen ist ehrlich in dem, was sie tut: Sie glaubt an die Macht des Stärkeren, lebt den Kampf aller gegen alle, deshalb schürt sie die Angst und den Hass, der sie stark macht. 

Unsere Liebe ist es, was dem trotzt, was uns wachsen lässt, was uns schön macht. Nicht die sentimentale Form, nicht die Schwärmerei, sondern, so, wie bell hooks die Liebe versteht: als Tätigkeit. 

Ich liebe dich und deswegen sorge ich mich um dein Wohlergehen. Dich und mich und alle verbindet ein Band, wir alle sind auf einander angewiesen, und je besser es euch geht, desto besser geht es mir, und deshalb ist eure Freude meine Freude. 

Wenn ich mich darauf konzentriere, das Licht in dir zu sehen, leuchtet mein Licht auch heller. Wenn ich deine Stärken feiere, werde ich auch stärker. Wenn ich deine Ängste und deine Trauer teile, werden meine Ängste und meine Trauer kleiner. Wir wachsen zusammen. Wir sorgen dafür, dass es uns allen gut geht.

Wirklich allen. 

Dieser Idee – das habe ich mir selbst und allen vor einigen Tagen versprochen – will ich 2025 dienen.

Gemeinsam können wir etwas aufbauen, das das System herausfordert. Etwas, dass die neue Welt schon lebt. Im Augenblick der nächsten Krise müssen wir stark genug sein für die demokratische Revolution - die Revolution die wir brauchen

Für diese Vision will ich eintreten. Alleine geht das nicht. Aber gemeinsam haben wir da eine Chance.

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