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Echoes Of Life - Wie Klänge die Welt verändern

Rund 14.000 Zuschauer strömten in die Saitama Super Arena in der Präfektur Saitama, um das Eröffnungsevent von Yuzuru Hanyus „Echoes Of Life“-Tour, dem dritten Kapitel seiner Ice Story, mitzuerleben. Schon Stunden vor Beginn verwandelten Fans aus aller Welt den Platz vor der Arena mit ihren Bannern in ein Meer aus Farben und Emotionen. Besonders ins Auge stachen die zahllosen „Happy Birthday“-Plakate, die eine liebevolle Hommage an den Superstar darstellten. Dieser feierte an diesem besonderen Abend nicht nur den Beginn seiner Tournée, sondern auch seinen 30. Geburtstag.

Der Auftakt des dritten Kapitels der Hanyu-Saga wirkte wie eine Szene aus einem Science-Fiction-Film: Futuristische Lichtspiele verwandelten das Eis in eine spektakuläre Bühne und lenkten den Blick auf mehrere zeitkapselartige Behälter, in denen die Darsteller (Hanyu und vier Tänzer der Gruppe ELEVENPLAY) wie in einem tiefen Schlaf verharrten. Inmitten dieser mysteriösen Atmosphäre erwachte schließlich Yuzuru Hanyu in der Rolle seines selbst entworfenen Charakters Nova VGH-257 zum Leben, begleitet von den eindringlichen Klängen von „First Pulse“, die den Startschuss für ein visuell und emotional beeindruckendes Abenteuer gaben. Mit jeder Bewegung, die sowohl Anmut als auch Kraft ausstrahlte, zog er das Publikum in seinen Bann und erhielt besonders für seinen eleganten Ina-Bauer und die perfekt ausgeführte Standpirouette, die das Programm abschloss, begeisterten Applaus.

Während Hanyu die Bühne kurzzeitig verließ, um sich für den nächsten Auftritt vorzubereiten, setzte sich Novas Geschichte nahtlos auf der riesigen Leinwand fort, die das Publikum tief in die dystopische Welt des Protagonisten eintauchen ließ. Die Geschichte zeigte, wie Nova das Labor durch ein gigantisches Metalltor verließ und sich in einer trostlosen Wüstenlandschaft wiederfand, die mit aufwendigen CGI-Animationen greifbar wurde. In dieser kargen Umgebung, in der die Überreste einer untergegangenen Zivilisation nur noch als stumme Zeugen vergangener Zeiten existierten, entwickelte Nova erste tiefgründige Gedanken: „Ich bin erwacht, ohne irgendetwas zu wissen. Warum bin ich am Leben? Warum bin ich als einziger erwacht?“

Ein Szenenwechsel führte den Protagonisten in einen surrealen, weißen Raum, der mit zahlreichen Türen ausgestattet war und die Suche nach Antworten auf seine existenziellen Fragen symbolisierte. Hier begegnete Nova einem Reiseführer, der ihm versprach, die Geheimnisse des Lebens zu entschlüsseln. Nova wurde mitgeteilt, dass er über die außergewöhnliche Fähigkeit verfüge, die Kräfte des „Klangs“ und der „Wiedergabe“ zu nutzen, um die Wahrheit über sich selbst durch den Klang seiner Worte zu enthüllen.

Daraufhin trat Hanyu in einem strahlend weißen Kostüm zu „Ubugoe〜Meguri“ (Erster Schrei – Pilgerreise) auf und nutzte die Bühne, um mit langsamen, beinahe zarten Bewegungen die Geburt neuen Lebens darzustellen. Zu den ruhigen, hohen Gesangsklängen entfaltete er sich wie eine Knospe, die nach einem langen Winter endlich die ersten Strahlen des Lichts empfängt – möglicherweise eine Metapher für das Erwachen Novas und die Hoffnung auf einen Neubeginn, die dieser in die zerstörte Welt bringt.

Die Reise Novas führte ihn weiter zu einem verlassenen Kriegsschauplatz, der zu den kraftvollen Klängen von „Utai IV〜Reawakening“ aus dem Science-Fiction-Anime Ghost in the Shell lebendig wurde. Hanyu untermalte diese beklemmende Welt mit seiner dynamischen Choreografie, während schwarze, tintenartige Muster, die durch LED-Lichter auf die Eisfläche projiziert wurden, die Kulisse in ein Kriegsfeld zu verwandeln schienen.


Der nächste Abschnitt der Geschichte zeigte Nova in einem verlassenen Park, wo er auf einer alten Bank ein Tagebuch entdeckte, das, sobald er es berührte, magisch zum Leben erwachte. Die Seiten stiegen wie Vögel in die Luft, umkreisten ihn und formten eine bewegende Szenerie – vielleicht die Fragmente vergangener Erinnerungen und glücklicher Momente, bevor die Menschheit ausgelöscht wurde. Dieser emotionale Fund bestärkte Nova in seinem Wunsch, Antworten auf seine Fragen zu finden, den Sinn seiner Existenz zu ergründen und für seine Ziele zu kämpfen.

Es folgte eine kämpferische Inszenierung zu „Mass Destruction - Reload-“ aus dem Videospiel Persona 3, bei der Hanyu die kraftvollen, energetischen Klänge mit präziser und zugleich dynamischer Choreografie unterstrich. Jede Bewegung war wie eine Explosion der Gefühle und spiegelte den inneren Konflikt des Protagonisten überzeugend wider. Doch kaum war diese intensive Darbietung beendet, wechselte die Stimmung abrupt, als Hanyu auf eine Auswahl klassischer Klavierstücke überging, die den thematischen Kern der Reise Novas weiter beleuchteten und dessen innere Transformation auf subtile, aber kraftvolle Weise illustrierten.

Mit „Awake“, vertont durch 6 Pieces for Piano, Op. 118: No. 3, Ballade in G Minor, eröffnete Hanyu eine Phase der Selbstreflexion, in der jede Note von ihm mit Anmut und Gefühl getragen wurde. Die Eleganz seiner Bewegungen, gepaart mit der präzisen Ausführung eines verzögerten Axel, erntete tosenden Beifall und spiegelte das Erwachen Novas wider.

Anschließend brachte „Impulse“ als nächste Station der Reise eine neue Dynamik, symbolisiert durch den neu erweckten Kampfgeist des Protagonisten. Gelaufen zu The Well-Tempered Clavier, Book 1: No. 2, Prelude and Fugue in C Minor, beeindruckte Hanyu mit fließenden Eislauffertigkeiten, die an die Leichtigkeit eines Windhauchs erinnerten und die kriegerische Natur dieses Abschnitts meisterhaft einfingen.

Mit „Philosophy“ wandte sich die Geschichte einem introspektiven Stadium zu, in dem Nova begann, sein Leben und seine Handlungen zu hinterfragen. In einer mutigen inszenatorischen Entscheidung startete das Programm zunächst in völliger Stille, die erst durch Hanyus kraftvollen Vierfachsprung und dem gleichzeitigen Einsetzen der Keyboard Sonata in D Minor durchbrochen wurde. Die darauffolgenden schnellen Klavierläufe untermalte Hanyu mit intensiver Choreografie, die die innere Zerrissenheit und den existenziellen Zweifel des Protagonisten widerspiegelte.

Mit „Truth“ gewährte Hanyu dem Publikum einen Einblick in den weiteren Verlauf von Novas Geschichte, die zunehmend von seiner Suche nach Wahrheit und der Bedeutung des Themas „Zeit“ geprägt wurde. In einer beeindruckenden Darstellung hielt Hanyu eine lange Kombinationspirouette bis zum Schlussakkord von Études, Op. 25: No. 12 in C Minor, wodurch die fließende Bewegung der Vergänglichkeit sinnbildlich eingefangen wurde.

Dies leitete nahtlos zu „Zero“ über, das durch Études, Op. 10: No. 4 in C-Sharp Minor vertont wurde und das Thema von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft aufgriff. Mit perfekten Twizzles und einer faszinierenden visuellen Untermalung auf der Leinwand, die Fragen wie „Was sind Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft?“ diskutierten, tauchte Hanyu erneut in die philosophischen Gefilde seiner Saga ein.

In einem inneren Monolog erkannte Nova schließlich, dass alle Zeitstränge untrennbar im „Hier und Jetzt“ zusammenlaufen, da sowohl Vergangenheit als auch Zukunft nur durch die Gegenwart definiert werden können. Diese Erkenntnis führte ihn dazu, sich mit dem Konzept des Schicksals auseinanderzusetzen und dessen Bedeutung für seine Existenz zu hinterfragen.

Zum Thema „Schicksal“ präsentierte Hanyu eine meisterhafte Darbietung seines beliebten Kurzprogramms Ballade No. 1 in G Minor, das er in seiner Wettkampfzeit perfektioniert hatte. Mit scheinbarer Leichtigkeit stand er einen Vierfachsprung und beeindruckte mit einer eleganten Pirouette, bevor er einen dreifachen Axel ausführte, der die Perfektion und Anmut seiner Technik hervorhob.

Nachdem die philosophischen Hauptthemen der Geschichte durch diese symbolträchtigen Klavierstücke verarbeitet waren, setzte Hanyu seine Reise als Nova fort und trat in einen neuen Abschnitt voller Herausforderungen ein. In einem dramatischen Höhepunkt fand sich Nova einem Heer aus bedrohlich wirkenden Holzfiguren gegenüber, gegen die er sich in einem kraftvollen und energiegeladenen Programm zu „Goliath“ behaupten musste. Mit ausdrucksstarker Choreografie und nahezu übermenschlicher Präsenz auf dem Eis ließ Hanyu die Konfrontation lebendig werden und stellte eindrucksvoll die innere Stärke und den unbeugsamen Willen seines Charakters dar.

Nach dem intensiven Höhepunkt der ersten Hälfte nahm die zweite Hälfte mit „Akua no Tabiji“ (Der Weg des Wassers) einen ruhigeren Ton an. Wie ein Tropfen, der sanft auf eine spiegelglatte Oberfläche fällt und Wellen auslöst, durchbrach Hanyu die gespannte Stille des Publikums mit einer anmutigen Leichtigkeit und ließ sich über das Eis tragen, wobei jede Bewegung eine Mischung aus Sanftheit und Kraft ausstrahlte.

Sobald Hanyu sich von der Eisfläche zurückgezogen hatte, setzte Novas Abenteuer auf der Leinwand fort. Der Protagonist stieg einen scheinbar endlosen Treppenlauf empor, dessen Ziel die Spitze eines imposanten Turms war. Jede Stufe schien symbolisch für eine prägende Lebenserfahrung zu stehen, doch je höher er stieg, desto schwerer lasteten die Zweifel auf ihm. „Macht es überhaupt Sinn, all diese Erfahrungen zu sammeln, wenn man am Ende ohnehin stirbt?“ Diese quälenden Gedanken führten Nova an den Rand der Verzweiflung, bis sein mysteriöser Reiseführer eingriff und ihn rettete. Mit beruhigenden Worten erinnerte dieser ihn daran, dass Nova einst ein Mensch war, der Liebe und Geborgenheit gekannt hatte. Diese Worte gaben dem Protagonisten neue Kraft, und er fasste den Entschluss: „Wenn ich das Schicksal nicht ändern kann, werde ich mich selbst und die Welt ändern.“

Hanyu brachte diese gedankliche Wende mit seinem Programm zu „Eclipse/Blue“ zum Ausdruck, in dem die anmutigen Pirouetten erneut den unerbittlichen Fortlauf der Zeit symbolisierten. Dieses Motiv setzte sich in seinem nächsten Auftritt zu „Gate of Steiner – Aesthetics on Ice“ aus dem Videospiel Steins;Gate fort, das er mit einer nicht minder spannungsgeladenen Choreographie zum Besten gab.


Als Nova schließlich erkannte, dass er sein Schicksal selbst in die Hand nehmen konnte, begann jeder seiner Schritte, neues Leben in die karge Wüstenlandschaft zu bringen. Unter seinen Füßen erblühten Blumen, und bald bevölkerten Vögel und andere Tiere die einst leere Welt. Diese wundersame Verwandlung leitete Novas letzte Station ein – eine zerfallene Kathedrale, deren erhabene Erscheinung die perfekte Bühne für Hanyus Programm zu „Danny Boy“ bot. In einer Darbietung, die wie ein Gebet wirkte, ließ sich Hanyu von den sanften Klängen tragen und zelebrierte den musikalischen Höhepunkt durch eine formschöne Ina-Bauer-Figur. Den emotionalen Abschluss dieses Stücks markierte ein präzise auf die Musik abgestimmter verzögerter Axel, der vom Publikum mit tosendem Applaus gewürdigt wurde. Besonders die perfekten Twizzles, die Hanyu mit einer ergreifenden Pose im warmen Scheinwerferlicht beendete, schienen eine Metapher für Novas Erleuchtung zu sein – den lang ersehnten Abschluss seiner Suche nach dem Sinn des Lebens.

Die Reise des Protagonisten fand schließlich in dem strahlend weißen Raum voller Türen ihr Ende. In einer letzten, symbolträchtigen Szene umschwirrten zahllose Buchseiten Nova, bevor sie sich sanft in seinem Herzen niederließen – ein berührendes Sinnbild für die Integration all seiner Erfahrungen und Gefühle. Perfekt dazu abgestimmt, schloss Hanyu sein Repertoire mit „Subete no Hito no Tamashii no Shi“ (Aria of the Soul) aus Persona 3 ab. Als visuelles Finale wurden zahlreiche Türrahmen von der Decke herabgelassen, die bildlich darstellten, dass sowohl Nova als auch Hanyu nun alle Wege offenstanden.

 

Zum Abschluss animierte Hanyu das Publikum dazu, gemeinsam „Happy Birthday“ zu singen – 14.000 Besucher und zahlreiche Menschen vor den Fernsehbildschirmen, die Japans Lieblingsathlet für die Zukunft das Beste wünschten. Schließlich fand der Abend mit einer energiegeladenen Darbietung zu „Let Me Entertain You“ seinen Ausklang, gefolgt von „Ashura-chan“ und Hanyus ikonischem Olympiaprogramm „SEIMEI“.

Im abschließenden Interview ging Hanyu detaillierter auf das Konzept seiner Geschichte ein und gewährte Einblicke in die tiefere Bedeutung hinter dem Event. „Seit meiner Kindheit beschäftige ich mich mit der Theorie des Lebens“, erklärte er, „und auch während meiner Studienzeit an der Universität habe ich dazu intensiv recherchiert. Es war ein philosophisches Themenfeld, das mich von Anfang an fasziniert hat. Diese Begeisterung hat mich nie losgelassen. Ich habe immer wieder darüber nachgedacht, nachgeforscht und gelernt. Durch dieses Event wollte ich eine eigene Philosophie erschaffen – eine, die uns alle miteinander verbindet, da wir schließlich gemeinsam auf dieser Welt leben, und jedem auf die Frage nach dem Sinn des Lebens eine Antwort geben kann.“

Der zweifache Olympiasieger erklärte außerdem die einzigartige Fähigkeit seines Protagonisten, die Kraft der Klänge für sich zu nutzen, um die Welt zu verändern. „In meiner Vorstellung werden Farben oder auch Gefühle zu Klängen. Um es einfach auszudrücken: Manche Menschen verbinden die Farbe Rot mit Leidenschaft, andere hingegen mit Angst. Jeder Mensch hat eine individuelle Wahrnehmung. Schon seit meiner Kindheit habe ich stets auf die feinsten Klänge geachtet. Damit meine ich nicht, dass ich ein absolutes Gehör habe, sondern vielmehr, dass ich Klänge mit persönlichen Erlebnissen verknüpfe. Als ich die Geschichte entwarf und mir überlegte, welche besondere Fähigkeit ich meinem Charakter verleihen könnte, ließ ich mich von dem Klang meiner eigenen Worte und deren Bedeutung inspirieren. Diese Elemente habe ich dann in die Erzählung eingebaut. In dieser Philosophie werden alle Klänge direkt in den Körper aufgenommen. Sie transformieren sich zu Musik, und die Musik wiederum wird zu einem Programm.“

Hanyu sprach auch darüber, wie er sich zu seinem dreißigjährigen Geburtstag fühlt:  „Wenn ich höre, dass ich jetzt dreißig bin, denke ich mir oft: ‚Was? Schon dreißig?‘ Rückblickend stelle ich fest, dass ich mich sowohl physisch als auch psychisch vollkommen anders entwickelt habe, als mein jüngeres Ich es damals erwartet hätte. Ich habe das Gefühl, dass mir noch so viele Möglichkeiten offenstehen. Auch in Echoes wird die Frage aufgeworfen: Was ist Vergangenheit? Was ist Zukunft? Und dabei wird deutlich, dass die Zukunft oft viel besser ist, als man es sich früher vorgestellt hat.
Früher hielt ich dreißig Jahre für ein hohes Alter, besonders in der Eiskunstlaufbranche. Doch wenn man sich Fußballer oder Baseballspieler anschaut, sieht man, wie sie weiterhin Erfahrungen sammeln und sich sowohl technisch als auch emotional weiterentwickeln. Das gibt mir Zuversicht. Mit diesem Gefühl, dass sich immer wieder neue Chancen und Perspektiven eröffnen, blicke ich in die Zukunft. Genau mit dieser Einstellung bin ich ins Training gegangen und habe mich auch dem Event gewidmet.“

 Text: Maria Laura Brandmann Mitsuoka
Photos: Jumpei Tainaka

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