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Männer, die mit Scheiße schmeißen

Tachchen, hier schreibt Laura. Und ihr lest die dritte Ausgabe unseres Lila Newsletters. (Echt jetzt, lest ihn. Er ist sehr gut.) Es gibt einiges zu besprechen, also ab geht die Luzie.

Stellt euch vor, eine Frau kritisiert einen Mann, weil das ihr Beruf ist. Und dieser Mann attackiert sie dann mit einer Tüte Hundekot. So geschehen am Wochenende im Opernhaus Hannover. (Opens in a new window) Zu sehen ist an jenem Abend eine Premiere von Ballettdirektor Marco Goecke. In der Pause geht er im Foyer auf die Kritikerin Wiebke Hüster zu. Es kommt zu einem Wortwechsel – und Goecke drückt Hüster einen Beutel mit Hundekot ins Gesicht.

Das wirft natürlich Fragen auf. Zum Beispiel: Warum um alles in der Welt hat jemand bei einem Premierenabend einen Beutel Hundekacke dabei? Easy: Goecke trägt häufig seinen Dackel in einer Tasche mit sich herum. Und das nicht mehr ganz junge Tier hat in selbige reingemacht. Die nächste Frage, die sich aufdrängt, ist: WARUM UM ALLES IN DER WELT SCHMIERT JEMAND EINEM ANDEREN MENSCHEN KACKE INS GESICHT?

It's patriarchy, stupid

Und hier wird's komplizierter. Ich könnte jetzt schreiben: weil Hüster Goecke kritisiert hat. Aber das ist als Erklärung in etwa so befriedigend, wie wenn es nach einem Femizid heißt: „Sie musste sterben, weil …“ und dann wird halt irgendein komischer Grund eingesetzt. Sowas wie „weil sie ein freies Leben wollte“, „weil sie ihn verlassen wollte“, oder sonstiger Humbug, der nicht wirklich eine Kausalverknüpfung zu einem brutalen Mord herzustellen vermag.

Jedenfalls hatte Wiebke Hüster kurz vor diesem denkwürdigen Abend eine Kritik (Opens in a new window) über eine andere Inszenierung Goeckes in Den Haag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung veröffentlicht. Darin heißt es unter anderem:

„Man wird beim Zuschauen abwechselnd irre und von Langeweile umgebracht. Dazwischen kommen ab und an zwei genialische, stimmige Minuten. Das Stück ist wie ein Radio, das den Sender nicht richtig eingestellt kriegt.“

Das ist scharfe Kritik, ja. Man kann sich auch fragen, ob es Verrisse in der Zeitung braucht. Oder ob man den Platz nicht lieber für Stücke frei lässt, die sehenswert sind. Und über das Verhältnis von Kritik und Kunst könnte man sowieso abendfüllend debattieren.

Unterm Strich macht hier eine Frau einfach nur ihren Job: seit vielen Jahren, mit großer Expertise. Und, nebenbei bemerkt, bei Männern wie dem Literaturkritiker Denis Scheck oder dem berüchtigten Theaterkritiker Gerhard Stadelmaier gehört die spitze Zunge quasi zur Marke. Gut, letzterer hatte 2006 seinen ganz eigenen kleinen Vorfall (Opens in a new window), als ihm ein wutschnaubender Schauspieler im Zuschauerrang den Block aus der Hand riss – aber das ist eine andere Geschichte.

Sorry, not sorry

Hüster hat noch am selben Abend Anzeige erstattet. Wegen Körperverletzung und Beleidigung. Goecke ist inzwischen suspendiert. Er hat sich dann natürlich nichtschuldigt. Er sagte dem NDR gegenüber unter anderem: „Ich denke, dass die Wahl der Mittel sicherlich nicht super war.“ (Nicht super?!) Gefolgt von einem ABER und ziemlich vielen weiteren Wörtern. tl;dr: Ja, was soll ich denn machen, sie hat’s verdient, schließlich hat die mich auch jahrelang mit Scheiße beworfen. (Die drei Tage nach dem Vorfall veröffentlichte Stellungnahme (Opens in a new window) war auch nicht so viel besser.)

Im Feuilleton ist nun von einem Angriff auf die Pressefreiheit die Rede. Und von einem Angriff auf die Demokratie. Beides richtig. Aber könnten wir bitte auch noch einmal darüber reden, dass das ein Angriff von einem Mann auf eine Frau war? Dass ein gekränkter Mann körperliche Gewalt gegen eine Frau angewandt hat, weil … ja, weil … eben. It’s called Muster, Leute, und ist kein bisschen bunt.

Es wundert mich gar nicht, dass Wiebke Hüster gegenüber dem NDR nach dem Vorfall sagte:

„Du bist davongekommen. Er hat nur DAS gemacht. Und das kannst du abwaschen.“

Männer, die mit Strafen schmeißen

Wo wir gerade bei Gewalt gegen Frauen sind: Das Oberlandesgericht Celle hat kürzlich 30 Tage Ordnungshaft gegen eine Mutter angeordnet, weil … sie ihre Tochter schützt. Anette W. trennte sich 2018, nachdem sie Gewalt durch ihren Partner erlebt hatte. 2020 entzog ihr das Amtsgericht Hannover das Sorgerecht für die beiden Töchter. Sie sei bindungsintolerant und manipuliere die Kinder. Die Töchter wurden zum Vater umplatziert, liefen von dort jedoch weg. Nur um mit Polizeigewalt zurückgebracht zu werden. Die ältere der beiden lebt nun wieder bei der Mutter – entgegen einem anders lautenden Gerichtsbeschluss. Deswegen soll Anette W. jetzt ins Gefängnis. Und die Tochter in die Psychiatrie.

Vielleicht fragt ihr euch jetzt, wie so etwas sein kann. Dann hört euch doch gern mein Interview mit der Mütterinitiative für Alleinerziehende (Opens in a new window) von letztem Jahr an. In der Sendung sprechen wir über Antifeminismus und institutionelle Gewalt gegenüber Müttern. Auch die Studie von Wolfgang Hammer "Familienrecht in Deutschland - Eine Bestandsaufnahme" (Opens in a new window) sei euch ans Herz gelegt. Und dieses Feature (Opens in a new window)auch (TW!).

Was tun?

Tatsächlich aber müssen wir uns fragen, wie so etwas sein kann. Schließlich ist seit fünf Jahren auch in Deutschland die sogenannte Istanbul Konvention geltendes Recht. Dieser völkerrechtliche Vertrag soll Frauen und Kinder vor Gewalt schützen - und eben auch in Familienrechtsverfahren berücksichtigt werden. Daumenregel: Gewaltschutz vor Umgangsrecht.

Als "gravierend mangelhaft" bewertet das Expert*innengremium des Europarates GREVIO die Umsetzung der Istanbul Konvention in Deutschland. Zwei der vier Gewaltformen, die die IK definiert, nämlich psychische und finanzielle Gewalt, sind im deutschen Rechtssystem noch nicht einmal bekannt.

Ein Rechtsbeistand ist teuer. Wer Anette W. finanziell unterstützen möchte, kann das hier (Opens in a new window) tun. Und am 2. März findet in Berlin eine Demonstration (Opens in a new window) statt, organisiert von der Mütterinitiative für Alleinerziehende. Die Forderung: Instanbul Konvention umsetzen - jetzt.

Bereits im Oktober hatte Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) angekündigt (Opens in a new window): Die Bundesregierung ziehe ihre Vorbehalte gegenüber der Istanbul Konvention zurück. Ab Februar soll sie damit uneingeschränkt in Deutschland gelten. Nun, das wäre dann ja "jetzt". Schauen wir mal, was nach diesem Lippenbekenntnis an Aktionen folgt.

Oppa pflegen ist auch Arbeit

Wir bleiben noch kurz bei Lisa Paus. Die Ministerin hat Anfang des Jahres die Eckpunkte zur geplanten Kindergrundsicherung vorgestellt. Und die ist dringend nötig, denn Deutschland hat ein strukturelles Problem mit Armut. Laut einer aktuellen Studie (Opens in a new window) ist jedes fünfte Kind in Deutschland armutsgefährdet. Künftig soll jedes Kind pro Monat 250 Euro Grundsicherung bekommen. Und dazu einen Beitrag, der sich am Einkommen der Eltern misst. Kritik an den Plänen kommt vom FDP-geführten Finanzministerium: Nicht, dass dann reihenweise die Eltern nicht mehr arbeiten, nech?

Doof nur, dass Kinder zu erziehen und Oppa zu pflegen halt auch Arbeit ist. Harte, unbezahlte Arbeit, die nichts weniger als das Rückgrat der Wirtschaft ist. Ich hätte da mal eine ganz verrückte Idee: Wie wäre es denn, wenn wir Care-Arbeit endlich mal bezahlen würden? Finanziert durch eine Sorgearbeitsumlage der ... was weiß ich ... führenden DAX-Unternehmen? Kohle ist doch glaub ich genug da.

Kennste eine, kennste alle

Im aktuellen Lila Podcast (Opens in a new window) spreche ich mit der Autorin Natasha A. Kelly über Schwarze Deutsche Geschichte. In der Kunsthalle Bremen ist noch bis zum Sommer eine künstlerische Intervention (Opens in a new window) von Natasha zu sehen. Sie hat sich intensiv mit dem Werk "Schlafende Milli" von Ernst Ludwig Kirchner auseinandergesetzt und versucht, herauszufinden, wer Milli war.

Milli ist aus zahlreichen Werken der Brücke-Künstler bekannt und steht sinnbildlich für den white gaze, der Schwarze Körper exotisiert, erotisiert, objektifiziert und sie ihrer Individualität beraubt, nach dem Motto: Kennste eine, kennste alle. Ein Problem, das bis heute fortbesteht. "Milli" ist Natashas Recherchen zufolge eher eine Art Synonym oder Kosename für Schwarze Frauen - ein Sammelbegriff also.

Ich würde ja jetzt theoretisch gerne schreiben: "Männer, L💩L" - aber das darf ich nicht, weil das mittlerweile ein eingetragener Markenname ist und die dahinterstehende Modefirma reihenweise Leute verklagt. Eine Künstlerin soll nun über 80.000 Euro "Schadensersatz" zahlen. Kapitalismus, LOL. Hier (Opens in a new window) könnt ihr sie unterstützen.

Antifeminismus melden

Vielen Dank, dass ihr bis hierhin durchgehalten habt. Zum Schluss gibt's noch eine gute Nachricht. Die Amadeu-Antonio-Stiftung hat eine Meldestelle für Antifeminismus (Opens in a new window) eingerichtet. "Mit Ihrer Hilfe machen wir antifeministische Zustände sichtbar und setzen uns gemeinsam für Geschlechtergerechtigkeit und Selbstbestimmung ein." Nice!

Save the Date: Lila Salon mit Teresa Bücker am 2. März

Unser digitaler Lila Salon geht in die zweite Runde. Diesmal mit keiner geringeren als Teresa Bücker. Kürzlich erschien ihr Buch "Alle_Zeit - Eine Frage von Macht und Freiheit" (Opens in a new window). Wir wollen mit ihr und euch darüber sprechen, wie eine gerechtere Zeitkultur für alle Menschen aussehen könnte. 19:00 Uhr geht es los. Meldet euch am besten direkt an (Opens in a new window).

Feminismus für alle – mit dir

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Und einen Lila-Podcast-Shop (Opens in a new window) haben wir auch!

Wenn euch der Lila Newsletter gefällt, dann schickt ihn doch gern an eure Freund*innen weiter. Bis in zwei Wochen oder bald im Podcast.

Laura

Bilder:

Unsplash, James Watson
Unsplash, Clark Van Der Beken
Unsplash, Bruce Mars
Ernst Ludwig Kirchner, Schlafende Milli, 1911 Öl auf Leinwand, 64 x 92 cm
Kunsthalle Bremen – Der Kunstverein in Bremen

Quellen

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