Skip to main content

Einmal verrückt sein

Und nach dem Abendessen sagte er
Lass mich noch eben Zigaretten holen gehen

Das sind die beiden ersten Verse von Udo Jürgens „Ich war noch niemals in New York“ und die ich seit letztem Juni wegen Clint laut mitsinge, wenn ich sie höre. Clint rief mich nämlich aus heiterem Himmel an, als ich gerade von der Kita zurück nach Hause lief. Zu dieser Zeit grünt es rund um den Kanal aus allen Ecken. Leute verbringen ihre Mittagspausen auf Bänken, Hunde pinkeln gegen Bäume und mindestens einer schnauzt aus seinem Auto den Radfahrer an, der in der Mitte der Straße bummelt. Am Ende der Lohmühlenbrücke stehen Kirschbäume, deren letzte Blüten durch die Luft schwirren.

„Ich arbeite im Bierbrunnen“, erklärte mir Clint. Gerade liefe Udo Jürgens „Ich war noch niemals in New York“ und seitdem ließe ihn das Lied nicht mehr in Ruhe. Die Geschichte von dem Familienvater, der schnell Zigaretten holen geht. Er stellt sich vor, wie es wäre nach New York, Hawaii und San Francisco zu reisen. Einmal verrückt sein! Am Ende geht er aber schließlich doch wieder nach Hause zu seiner Frau. Man muss sagen, das kleinbürgerliche Leben kommt nie gut weg in der Kunst. Aber wenn ich mich mit jemandem in diesem Lied identifizieren müsste, dann nicht mit dem Mann, der die Zigaretten holt, sondern der Frau.  Ich bin öfter vernünftig als verrückt und das gefällt mir ganz gut so.

Clint: „Warum hat er sie nicht einfach gefragt, ob sie mitkommt?“ Vielleicht ist es der bemerkenswerteste Satz, der je über dieses Lied gesagt wurde. „Würdest du mit mir zusammen diese Reise machen?", fragte er mich schließlich ganz schön und ganz sanft, mein Herz schlug mir bis zum Hals. Auch wenn wir nicht wissen, welche Sehnsucht in der Frau schlummert, wohin sie sich manchmal wegträumt, habe ich jedenfalls keine Sekunde gezögert und sagte zu.  Ich sprach langsam, fing sofort mit der Planung an, sagte, auf Hawaii müsse man doch mindesten eine Woche sein – und das nur um unser Gespräch hinauszuzögern. Wann bekommt man schon mal so einen Anruf?

Vorletzte Wochen haben wir unsere Flüge gebucht. In zehn Monaten geht unsere Reise los. Zweieinhalb Wochen, drei Stationen. San Francisco, Hawaii und New York.

Für Udo. Für die Liebe. Für die Stimmen, denen man manchmal folgen muss.

Anruf des Chefredakteurs:

Wie stehts um den Newsletta?

Gut. Aber Sie waren viel zu lange weg.

Wo war ick denn?

Irgendwo in Trauer.

Wat? Wer ist denn jestorben?

Ihr Lebensgefährte.

DU HAST FERDINAND UMJEBRACHT?

War nur so ne Idee, die ich hatte.

Er ruft mit aufgebrachter Stimme: Jooott! Dann wieder: Joooott! Und wieder: Um Jooottes Willen!

Film

Basic Instinct

San Francisco und Jahrhundertsex

Ich habe den nie gesehen. Zumindest bis vor einer Woche nicht. Trotzdem war Basic Instinct ein Film, den ich glaubte zu kennen, weil ich schon an die hundert Mal diesen einen Ausschnitt gesehen hatte, in dem Sharon Stone in einem Verhörraum vor einem Haufen lechzender Polizisten ihre Beine übereinanderschlägt. Jetzt weiß ich, dass Catherine Tramelle einen Krimi geschrieben hat, in dem ein Mord vorkommt, der den Mord an ihrer langjährigen Affäre ähnlich ist. Und ich weiß jetzt auch: Catherine Tramelle trägt generell keine Unterwäsche.

Nachdem wir unsere Flüge gebucht hatten, suchte ich nach Filmen, die zu unserem Reiseplan passen. Basic Instinct spielt in San Francisco. Michael Douglas ist ohnehin Lieblingsschauspieler und Sharon Stone eine wirklich umwerfend raffinierte, eiskalte Krimiautorin. Der Anfang ist großartig, es gibt viele Wendungen, Jahundertsex kommt vor, zumindest wird er im Film so genannt und man guckt ja schon sehr genau hin und sagt dann "Ui!" und "Wow!" und solche Sachen. Anschließend drängt sich die Frage auf, ob die Anschaffung eines Eispickels notwendig ist, weil es so wahnsinnig cool aussieht, wenn Sharon Stone und Michael Douglas für ihre Drinks einen Eisblock mit so einem Ding zerhacken.

Später fragte ich Clint: „Weißt du, wie alt Sharon Stone bei Basic Instinct war?“ Da stand ich gerade im Bad und putzte mir die Zähne. „Fünfundfreißig!“

Anmerkung der Redaktion: Wahrscheinlich wissen Sie es nicht. Ab einem gewissen Alter, sagen wir 35, will man ja keinen Tag mehr im Leben bereuen. Man ist auch an allem selbst schuld. Deswegen sagen Sie folgenden Satz: Dieser Herbst ist besonders schön, viel schöner als der letzte. Schauen Sie einen Film, den alle kennen, nur Sie nicht und den Sie ohnehin schon immer mal sehen wollten. Vielleicht ist es endlich an der Zeit den Kühlschrank abzutauen, damit sich nicht immer diese Pfütze unten im Gemüsefach sammelt. Viel Liebe ist gewünscht.

Lassen Sie uns doch wissen, für welchen Film Sie sich entschieden haben. Und werden Sie endlich zu dieser Kunstfigur, die Sie schon immer sein wollten.

Briefzitat

Sind wir nicht ein schönes Paar? Ein Paar wie aus dem Kino von dem man wissen will, wie es für die beiden weitergeht.

Ich an Clint, Mai 2022

Clint Eastwood liest

(Foto: Terry O'Neill) Anmerkung des Chefredakteurs: Wieso'n der?

Liebe Leser und Leserinnen,

nächste Woche werde ich die Lesung von Paul Bokowski besuchen. Auf sein neues Buch "Schlesenburg" freue ich mich sehr, sehr! Moderiert wird die Veranstaltung von Marion Brasch!! Außerdem werde ich zum ersten Mal in den Friedrich Stadtpalast gehen. Und darauf den Monat ganze zweimal in die Oper! 

Bleibt gesund! Eure Judith 

0 comments

Would you like to be the first to write a comment?
Become a member of Kulturspalte Judith Poznan and start the conversation.
Become a member