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Aus dem Logbuch 

4. Juli 2022

Gestern Abend trug ich ein langes, schwarzes Kleid. Selten habe ich mich auf einem Weg so verrückt gemacht, wie auf dem Weg in die Staatsoper. Ich überprüfte mein Aussehen in fünf Schaufenstern. Im ersten Schaufenster das Kleid. Im zweiten Schaufenster die Haare. Im dritten Schaufenster versuchte ich rauszufinden, ob die hochgesteckten Haare zum langen Kleid passen. Im vierten kontrollierte ich nochmal die Haare. Und im fünften dann wieder das Kleid. Ich war vorher noch nie in der Oper gewesen. Ich dachte, man versteht nicht, was gesungen wird, es dauert 50 Jahre bis die Oper zu Ende ist und anschließend verlässt man die Oper mit einem grässlichen Klingeln im Ohr. Und nun saß ich gestern zusammen mit Clint auf einem dieser Balkone, schaute, wie die Menschen, der Reihe nach durch die Türen strömten, die Klingel ein letztes Mal läutete, die Türen geschlossen wurden und der dicke Samtvorhang schließlich nach oben rollte. Ich war nicht mehr dieselbe Frau, als ich die Oper zwei Stunden später wieder verließ.

Queen Elizabeths letzte Playlist

Der Klang einer Beerdigung

Plötzlich ist man eine Frau, die in die Oper geht. Plötzlich sitzt man vorm Fernseher mit dicken Tränen in den Augen, weil ein Kirchenchor so wunderschön singt und der Anblick eines Sarges dazu, einem schier den Boden wegzieht. Am Montag war also die Beerdigung von Elizabeth II. Was man im Internet erfährt: Die Beerdigung hat sie in Teilen selbst geplant. Die Chormusik beispielsweise. Eine Hymne „The Lord’s My Sheperd“ wurde bereits bei ihrer Hochzeit mit Prinz Philip 1947 gesungen. Anmerkung des Chefredakteurs: Es ist zudem dieselbe Kirche, Westminster Abbey. AK „O Taste and See“ wurde von Ralph Vaughan Williams für ihre Krönung gespielt. Anmerkung des Chefredakteurs: Und 1953 sogar eigens dafür geschrieben. AK Gesungen wurde auch die Hymne „Love Divine, All Loves Exceeding“, die bei der Hochzeit von Prinz William mit Prinzessin Kate 2011 gesungen worden war. Anmerkung des Chefredakteurs: Ebefalls Westminster Abbey. AK Das Abschiedslied auf Schloss Windsor ist „The Russian Contakion oft he Departed“, welches auch bei der Beisetzung von Prinz Philip gesungen wurde. Auf beiden Beerdigungen gab es einen Dudelsackspieler, der in etwa bei mir auslöste, was ich von anderen schluchzenden Frauen über ein Harry-Styles-Konzert hab sagen hören: „Er ist Magie.“

Im Augenblick des ersten Hörens, habe ich mich aber nicht gefragt, wie dieses oder jenes Lied wohl heißt. Worum es geht und so weiter. Ich war wieder auf dem Balkon in der Oper, als mir bei Puccinis "Nessun Dorma" die dicken Tränen kullerten. Ich verstand kein einziges Wort. Wusste überhaupt nicht, wo in der Handlung wir uns gerade befanden.Die Prinzessin, die jeden Freier köpfen lässt, der ihr Rätsel nicht lösen kann. Turandot. Was ist des Rätsels Lösung? Ich schaute schon längst nicht mehr auf den Monitor, der die italienischen Verse ins Deutsche übersetzte. Ich war gebannt von der Kulisse, dem Chor, dem Orchester. Ist es nicht fantastisch, was Musik erzeugt, wenn sich vor unserem Auge etwas Besonderes abspielt? Man hört nicht mit den Ohren, sondern mit dem Herzen. 

Screenshotperle

(Chat zwischen Peters Mutter und seiner Tante. (c) Ex-Schwiegermutter "Liebe Grüße aus A. Judith. Und drücke Jonas herzlich von uns.")

Anmerkung der Redaktion:

Im Gesteck auf dem Sarg waren Myrthenzweige eingearbeitet. Die Zweige stammten von der Pflanze, die aus dem Myrtenzweig aus dem Brautstrauß der Queen zu ihrer Hochzeit am 20. November 1947 gezogen worden waren. 

Serie

(Foto: Rob Verhorst/Redferns)

«Running Up That Hill»

Kate Bush

Ein weiterer starker Musikmoment in dieser Woche: "Running Up That Hill" von Kate Bush in einer Szene bei Stranger Things. Hier gerate ich natürlich ziemlich in die Bredouille, denn keineswegs möchte ich jemanden diese Szene versauen, der noch vorhat die vierte Staffel zu schauen. 

Das Drumherum wie folgt:

Wedding. Es ist dunkel. Wir liegen im Bett. Auf Clints Schoß ruht der Laptop. Wir halten uns an den Händen. Die Szene beginnt. Man ahnt, wie episch es gleich werden könnte. Die Hände halten sich fester. Das Lied kommt, die Luft bleibt weg. Die Szene nimmt noch mehr fahrt auf. Das Lied wird lauter und erklingt in selber Spur mit dem Ton der Szene. Die Hände halten sich noch, noch fester. Die Szene ist zu Ende. Clint fragt: "Wollen wir die nochmal schauen?"Anmerkung des Chefredakteurs: Die schauspielerische Leistung von Sadie Sink sollte hier keineswegs untern Tisch fallen. 

Und dann sage ich noch zu Clint: Boah! Sadie Sink ist brillant!

Erkenntnis:

1. Man kann emotional auf die Knie gehen zu Kirchenchor bei der Beerdigung einer fast Hundertjährigen und zu 80er-Musik in einer Si-Fi-Serie auf Netflix. 

2. Der Gefühlshaushalt, wenn schon Haushalt, dann der Keller, mit dem abenteurlichsten Gerümpel vergangener Tage darin.

3. Der Freund ist genauso ein Zurückspuler wie man selbst. 

«It doesn't hurt me. Do you want to feel how it feels? Do you want to know that it doesn't hurt me? Do you want to hear about the deal that I'm making? You, it's you and me.»

Liedtext von Kate Bush

Lieber Leser und Leserinnen,

dieser Monat September!

Liebste Grüße J.

Anmerkung des Chefredakteurs: Wer isn Harry Styles?

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