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Langsam und produktiv?

In sozialen Netzwerken wie im echten Leben haben bildende Künstler:innen gegenüber Autor:innen einen Vorteil: Schon ihre Materialien und Entwürfe sind ästhetisch ansprechend und sie können sich als Künstler:innen zeigen, lange bevor etwas fertig ist. Autor:innen hoffen hingegen, dass niemand die Rohfassung findet, ehe sie diese nicht wenigstens einmal überarbeitet haben.

Was also zeigen auf Instagram und Co.?

Auf der Suche nach Ideen, wie Autor:innen den eigenen Arbeitsprozess inszenieren können, fand ich die Künstlerin Louise Stigell. Die Themen in ihren Videos und Mailings haben mich sofort angesprochen und als sie in ihrem Podcast The Calm Creative das Buch Slow Productivity von Cal Newport vorstellte, kaufte ich es.

Im Buch geht es um Menschen, die bei ihrer Arbeit keine Güter produzieren, sondern vermitteln, organisieren oder kreativ sind. Diese Menschen fühlen sich ausgelaugt und stumpf, weil sie nicht wirklich produktiv, sondern beschäftigt sind. Sie sprechen in Meetings über das, was zu tun ist, und verwalten ihre Aufgaben mit Zeitmanagement-Tools, die nicht darüber hinwegtäuschen können, dass es zu viele Projekte, Meetings und E-Mails sind. Newport schlägt vor, an wenigen Projekten gleichzeitig zu arbeiten, sich Zeit zu nehmen und Qualität vor Quantität zu stellen. Das klingt für die meisten Angestellten in der Theorie schön, in der Praxis undenkbar, aber der Autor stellt brauchbare Ideen vor und zeigt, dass viele Angestellte mehr Autonomie haben als sie glauben und für sich beanspruchen.

Nebenbei räumt er mit Mythen um die Entstehung großer Werke auf. Viele dieser Meisterleistungen seien nicht das Ergebnis rasender Inspiration und Geschäftigkeit, sondern langsamer Produktivität. So habe die Schriftstellerin Jane Austen nicht von Haushaltspflichten zerrieben, in wenigen freien Minuten ihre Bücher zusammenkratzt, wie es die Legende will, sondern erst produktiv geschrieben, nachdem sie der meisten Pflichten entbunden war, inklusive der Pflicht, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Ebenso hatte Isaac Newton seine Ideen zu Schwerkraft keinem plötzlichen Einfall zu verdanken, als ihm ein Apfel auf den Kopf (oder daneben, man weiß es nicht) gefallen war, vielmehr habe er diese in einem Zeitraum von dreißig Jahren beständiger Arbeit entwickelt.

Newports Kernaussage: Gute Ergebnisse brauchen Zeit – und diese Zeit darf nicht mit kleinen bedeutungslosen Beschäftigungen vollgestopft sein.

Zeit in Verbindung mit Produktivität und Engagement beschäftigt mich offensichtlich (Opens in a new window). Als ich meine Arbeitszeit auf 80 Prozent und auf immer noch 32 Wochenstunden reduziert hatte, lobte ein Freund mich mit den Worten: „Das ist gut, vielleicht sollten wir alle unsere Arbeit nicht so ernst nehmen.“ Natürlich war der Grund für die Reduzierung nicht, dass mir der Job weniger wichtig war, sondern dass es weitere Dinge in meinem Leben gab, die ich ernst nahm oder ernster nehmen wollte. Einfach so weniger zu arbeiten, wäre auch mir damals nicht eingefallen.

Es gibt das Phänomen, dass wir etwas verstärkt wahrnehmen, nachdem es uns erstmals aufgefallen ist, und so habe ich diese Woche in der Bibliothek auf der Suche nach einem anderen Buch Anti-Girlboss von Nadia Shahadeh gefunden. Untertitel: Den Kapitalismus vom Sofa aus bekämpfen. Im Klappentext heißt es:

„Vor allem Frauen wird eingetrichtert, dass sie sich mit individuellem Ehrgeiz aus gesellschaftlichen Ungerechtigkeitsstrukturen befreien könnten. Das ist kollektiver Selbstbetrug, der uns auf perfide Art Chancengleichheit vortäuscht und zu immer mehr bezahlter und unbezahlter Arbeit antreibt (…).“ Nadia Shehadeh, Anti-Girlboss

Ich bin sehr gespannt auf die Lektüre.

Bis dahin, alles Gute!

Kristina

Was andere machen

Allen, die melancholische Sommerfilme mögen, lege ich Roter Himmel ans Herz. Der Titelsong In my mind kam von der österreichischen Band Wallners. Etwas beschwingter ist das Lied Dracula:

https://www.youtube.com/watch?v=1dV40aby8kI (Opens in a new window)

Das oben erwähnte Phänomen nennt man übrigens Frequenzillusion oder Baader-Meinhof-Phänomen. Warum? Das erklärt dieser Beitrag der Deutschen Welle. > zum Beitrag (Opens in a new window)

Cal Newport hat keine Social Media Accounts, aber einen Podcast, in dem er über die Themen seiner Bücher spricht. > zum Videopodcast (Opens in a new window)