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Warum lesen?

Auf Instagram wurde mir zuletzt mehrfach ein Ausschnitt aus einer amerikanischen Talentshow gezeigt. Darin fragt die Jurorin, Schauspielerin Sofía Vergara, einen Kandidaten, was er mit dem Gewinn machen würde. Er antwortet: „Bücher kaufen.“ Vergara fragt erstaunt nach: „Eine Million Dollar für Bücher?“ Der Kandidat zuckt mit den Schultern und antwortet: „Yeah.“

Das erstaunte Gesicht Vergaras zeigt, dass Bücher nicht als Konsumwunsch taugen. Leser:innen hingegen wissen, dass es immer zu wenig Bücher im Regal und zu wenig Geld für Bücher gibt. Vor allem aber zu wenig Zeit, all die Bücher zu lesen. Was das angeht, ähneln Bücher allen anderen Konsumgütern: Der Kauf vermittelt uns zunächst ein Gefühl. Es ist befriedigend, ein Buch zu kaufen, weil darin das Versprechen auf Zeit in der Hängematte liegt – oder wo auch immer man gern liest.

Scarborough, England, 2018 © Kristina Klecko

Ich lese aus Gewohnheit und weiß nicht, warum ich angefangen habe. Die ersten Bücher wurden mir vorgelesen. Es waren Kinderbücher, an die ich mich heute kaum erinnere, weil ich nicht auf zerfledderte Ausgaben zurückgreifen kann, die auf dem Dachboden oder im Keller des Elternhauses lagern. Auch kann ich mich nicht mit Gleichaltrigen über Lieblingsbücher aus Kindertagen austauschen und so Erinnerung auffrischen.

Meine eigenständige Lektüre begann mit Abenteuergeschichten, Jugend-Science-Fiction und Jugendromanserien, die ich heute als „sozialistische Tugendbücher“ bezeichnen würde, auch wenn ich lange nicht mehr reingeschaut habe. (Für diesen Text habe ich das Vorwort überflogen und tatsächlich kommt es nicht ohne Polemik gegen den „bourgeoisen Westen“ aus, dem man „unsere sozialistische Kultur“ entgegenstellen muss.) In Deutschland hielt ich mich an russische Übersetzungen amerikanischer Liebesromane, die Familienmitglieder aus Russland mitgebracht oder auf Trödelmärkten erworben hatten, bis ich Jugendbücher und Romane auf Deutsch lesen konnte.

Bücher, die sich hinterm Brustbein festkrallen

Ich führe eine Liste über gelesene Bücher. Ich notiere die Namen der Autor:innen und die Titel. Bücher, die ich besonders fand, markiere ich. Es sind Bücher, die ich nachkaufe, wenn ich sie aus der Bibliothek geliehen habe, weil ich sie besitzen muss, immer wieder reinschauen möchte. Ich tue es wirklich. Verbundensein von Kae Tempest war letztes Jahr so ein Buch. Leïla Slimanis Der Duft der Blumen bei Nacht, das ich vor kurzem gelesen habe, könnte es werden. Das große Haus von Nicole Krauss gehört seit Jahren dazu.

Die meisten Bücher in meiner Liste sind nicht markiert. Das Verhältnis dürfte zehn zu eins sein.

Wozu die Mühe?

„Ich denke an das, was Tschechow über die großen Schriftsteller gesagt hat. Das sind die, die es mitten im Sommer schneien lassen und die Flocken so gut beschreiben, dass einem plötzlich kalt wird und man zittert.“ Leïla Slimani, Der Duft der Blumen bei Nacht

Die meisten Bücher sind ein schöner Zeitvertreib. Einige aber setzen sich fest. Es lohnt sich nicht, Zitate aus solchen Büchern rauszuschreiben, weil du nicht alles rausschreiben kannst. Jeder Satz ist besonders, jeder Gedanke rührt in dir. Manchmal klart die Stimmung auf, manchmal zieht sich im Gegenteil etwas hinterm Brustbein zusammen... Das Gefühl ist nicht im engen Sinne angenehm, aber es bricht Pathos durch und man erlebt Leben.

Das Gefühl macht süchtig und wie bei einer guten Sucht, möchte man es immer wieder nacherleben. Weil es so selten ist, müssen Leser:innen viel lesen (oder umsichtiger aussuchen, aber wer kann das schon?). Deshalb eine Million für Bücher. Deshalb immer mehr Bücher im Regal als Lesezeit.

Nein, dieses Gefühl hat man nicht bei jedem Buch, wirklich nicht! Weil man aber nicht wissen kann, bei welchem es passiert, sucht man weiter.

Vielen Dank, dass du mitliest. Bis in zwei Wochen

Kristina

Was andere machen

Musik aus gegebenem Anlass:

https://www.youtube.com/watch?v=-CmadmM5cOk# (Opens in a new window)

Und weil manche einen guten Popsong besser erkennen, wenn ein Mann ihn singt, bitte sehr. > zum Cover (Opens in a new window)

Interessante Gedanken zum Thema „Lesen“ formuliert Emily Modick, Programmleitung bei hanserblau, im Podcast Hanser Rauschen. Sie spricht davon, dass Menschen größtenteils zur Unterhaltung lesen. In Deutschland wird das Lesen von Büchern allerdings als Arbeit oder zumindest als eine Bildungsaktivität missverstanden. > zur Podcastfolge (Opens in a new window)

Ich muss zugeben, auch ich hatte früher diese Einstellung. Je anspruchsvoller, desto besser. Heute frage ich mich: besser wofür? Und halte es mit dem isländischen Schriftsteller Sjón: „Wir alle kommen durch Trash zur Kultur“. > zum Videointerview (Opens in a new window) (auf englisch)

Was noch?

In der Literaturzeitschrift Mosaik43 ist meine Geschichte 100 Meter erschienen. > Zeitschrift ansehen (Opens in a new window)

Gern gelesen?

Vielen Dank!

Topic Essays