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Noltes Notizen | 10. November 2023

Liebe KLup-Freund:innen,

in der Fülle der Fotos, die uns in der Redaktion Tag für Tag über die Bildschirme wehen, hat mich in dieser Woche eines ganz besonders bewegt. Wichtig ist der Ort, an dem es entstand, wichtig ist das Datum, an dem das Ereignis stattfand, wichtig ist die Person, die darauf zu sehen ist.

Die Rede ist von Heiner Wilmer, Bischof von Hildesheim, der gestern die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem besucht hat. Wie auch immer er es geschafft hat, trotz des Kriegs in Israel und im Gaza-Streifen und trotz der Tatsache, dass die Lufthansa bis Mitte Dezember alle Flüge nach Tel Aviv eingestellt hat, ins Heilige Land zu reisen: dass Wilmer in eben dieser Zeit dort ist, dass er am 85. Jahrestag der Reichspogromnacht in Yad Vashem ist, als Deutscher, und angesichts weltweiter, aber eben auch in Deutschland wieder erstarkenden Antisemitismus’ - das macht dieses Zeichen so stark, zeigt ein beeindruckendes und mutiges Engagement, so schlicht, so leise, so ganz und gar nicht marktschreierisch, dass es auch menschlich sehr bewegt.

Bischof Heiner Wilmer am 9. November 2023 in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem. | Foto: Daniela Elpers (DBK)

Besonders schmerze ihn, sagte Wilmer, dass auch in Deutschland Judenhass laut ist und lauter wird. Erneut würden Juden und Jüdinnen zur Projektionsfläche für tiefliegende Probleme. "Der dunklen Versuchung, ihnen die Schuld zu geben für Dinge, die nicht in ihrer Verantwortung liegen, können allzu viele nicht widerstehen“, so Wilmer. Er forderte dazu auf, Lügen und falschen Zuschreibungen entgegenzutreten. 

Der Bischof bekannte, dass auch die Kirche “allzu lange antijüdische Sichtweisen gefördert hat”. Diese Erinnerung helfe, nicht nachzulassen in praktischer Solidarität: "Zuschauen – sei es auch aus eigener Angst, Uninformiertheit oder gleichgültigem Desinteresse – ist keine Option. Denn: Hass und Diskriminierung treffen die Humanität unserer Gesellschaft ins Mark.“ 

Ich gestehe: Auch ich bin durch einen Kollegen auf diese Reise des Hildesheimer Bischofs und Vorsitzenden der Kommission “Justitia et Pax” aufmerksam geworden. Zu dem Zeitpunkt hatte allerdings weder die Katholische Nachrichtenagentur noch irgendein katholisches Nachrichten-Magazin darüber berichtet - und das am 9. November! Wir waren so einmal mehr die Ersten, (Opens in a new window)die auf diesen Besuch an diesem Datum, an diesem Ort, durch diesen Menschen in dieser Zeit deutlich hingewiesen haben.

Ohnehin meine ich, dass unser Team großartige Arbeit geleistet hat, um in dieser unsäglichen Stimmung starke Beiträge zu liefern - allem voran mein Kollege Johannes Bernard. Er pflegt seit geraumer Zeit gute Kontakte etwa zur Jüdischen Gemeinde Münster und ihrem langjährigen Vorsitzendern Sharon Fehr, aber auch zum Jüdischen Museum Westfalen in Dorsten. Von dort hat er eine äußerst eindrucksvolle Geschichte über Burak Yilmaz (Opens in a new window) (Bild oben / Foto: privat) mitgebracht. Der 36-jährige Sohn türkisch-kurdischer Eltern, der am katholischen Abtei-Gymnasium der Prämonstratenser in Duisburg-Hamborn sein Abitur machte, gilt als einer der besten Kenner der jungen muslimischen “Ruhrgebiets-Community” und engagiert sich seit Jahren gegen Antisemitismus unter Muslimen. Er erklärt diese Haltung, glaubt zu wissen, wie sie entsteht. Aber er entschuldigt sie deshalb nicht. Seine Erkenntnis: „Jüdisches Leben ist in Deutschland bedroht. Wie wir dieser Bedrohung begegnen, wird für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft entscheidend sein.“ Damit das gelingt, braucht es einiges - allem voran Geld. Geld für Bildung. - Recht hat er.

Wie dringend notwendig das ist, merkte ich heute Nachmittag, als ich mit einem Pfarrer aus dem Westmünsterland telefonierte, der sich Sorgen um seine Küsterin macht. Der eigentliche und tiefere Grund und Anlass: An der Kirche hängt eine Israel-Solidaritäts-Fahne. Das passt offenkundig einigen Leuten nicht. Und darum versuchen sie, die Fahne abzureißen, pöbeln in der Kirche, der Pfarrer spricht von “Übergriffen”. Täglich. Aus verschiedenen Gründen konnten wir heute noch nicht darüber berichten. Ich hoffe sehr, dass sich das in der neuen Woche ändert.

Gleichwohl sollte unsere notwendige Empörung, unser Protest demütig bleiben. Denn: Antisemitismus gehörte über Jahrhunderte zu christlichen Denkmustern. Unser Münsteraner Alttestamentler Johannes Schnocks weist in seinem Gast-Kommentar zum 9. November dankenswerterweise deutlich darauf hin. (Opens in a new window) Erst nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil änderte sich das vorsichtig, als es jeden Judenhass verurteilte, das Gespräch mit dem Judentum förderte, sodass eine lebendige Beziehung zu unseren “älteren Schwestern und Brüdern” (Johannes Paul II.) Teil der christlichen Identität wurde, wie Schnocks sagt. Dennoch, warnt er, seien viele Denkweisen der alten Kirche deshalb noch nicht verschwunden. Seine Schlussfolgerung bringt es großartig auf den Punkt: “Wir müssen wachsam bleiben und den Antisemitismus in jeder Form mutig bekämpfen” - und dann nennt er den Grund: “… weil wir Christen sind."

Heiner Wilmer war in Yad Vashem - und er bleibt noch einige Tage im Heiligen Land, führt Gespräche mit Muslimen, Juden, Christen in Jerusalem, Tel Aviv und in Tabgha am See Genezareth. Wie lang diese Reise geplant war, wie spontan sie war - ich weiß es nicht. Wie gesagt: Dass er jetzt dort ist, ist wichtig. Und es gibt kaum eine bessere, sinnvollere Entschuldigung dafür, dass er deshalb bei der Konstituierung des Synodalen Ausschusses in Essen (Opens in a new window)nicht dabei sein kann. Dort tagen ja heute und morgen formell die 27 deutschen Diözesanbischöfe, 27 Delegierte des Zentralkomitees der deutschen Katholiken und 20 von der Vollversammlung des Synodalen Wegs gewählte Personen (Bild oben / Foto: Matthias Kopp, DBK). Neben Wilmer fehlen auch die Erzbischöfe Stephan Burger (Freiburg), Stefan Heße (Hamburg) und Bischof Bertram Meier (Augsburg - der übrigens als Weltkirchenbischof der Bischofskonferenz ebenfalls gestern mit Spitzenvertreter:innen der Islamverbände in Deutschland zusammenkam und gemeinsam mit ihnen den Hamas-Terror verurteilte (Opens in a new window)) wegen anderer wichtiger Verpflichtungen. Das kann Führungspersönlichkeiten mit oft über Monate im Voraus gut gefüllten Terminkalendern durchaus passieren.

Anders sieht es bei vier anderen Bischöfen aus, die allesamt - wenn auch nicht wirklich unerwartet - ganz grundsätzlich ihre Mitarbeit im Synodalen Ausschuss abgesagt haben. Es sind natürlich Kardinal Rainer Maria Woelki (Köln), Rudolf Voderholzer (Regensburg), Stefan Oster (Passau) und Gregor Maria Hanke (Eichstätt). Sie hatten im Juni bereits die Finanzierung des Gremiums abgelehnt und sehen sich ganz im Einklang mit dem Vatikan, der ja bekanntermaßen gegen einen Synodalen Rat ist (den der Synodale Ausschuss vorbereiten soll), weil er darin die bischöfliche Autorität unterminiert sieht. Wie das alles mit dem großen Projekt “Mehr Synodalität wagen” der römisch-katholischen Weltkirche zusammengeht, übersteigt meine theologischen Fähigkeiten.

Fakt ist, dass vier Bischöfe überdies schlichtweg das weitere Gespräch, den synodalen Fortschritt in der katholischen Kirche in Deutschland verweigern. Für mich wird darin einmal das extrem virulente Grundproblem im massiv zu problematisierenden Selbstverständnis der römisch-katholischen Amtskirche offenbar wird - ich wiederhole es gern erneut: Die Ortskirchen der katholischen Kirche sind keineswegs Erfüllungorgane der römischen Zentrale. Es gilt vielmehr: Die eine und einzige katholische Kirche besteht in uns aus den Teilkirchen, wie “Lumen Gentium” in Artikel 23 sagt. Die Rolle des Bischofskollegiums, des Papstes und der vatikanischen Kurie ist ohne die “kollegiale Gesinnung” mit Blick auf die Diözesanbischöfe undenkbar. Mir geht die Richtung seit Johannes Paul II. zu stark von Rom aus. Ich meine, eine Bereitschaft zur Perspektivänderung bei Franziskus deutlich zu erkennen. Die Frage ist allerdings, wie aus der Bereitschaft eine echte Reform wird - und wie das mit der Kurie in Rom und manchen Diözesanbischöfen etwa in Köln, Regensburg, Passau und Eichstätt gelingen soll. Eigentlich müsste freilich gerade für sie gelten: Wenn der Papst das so sagt, dann machen wir das. Ob diese Haltung theologisch richtig ist (wie gesagt), mag dahinstehen. Praktisch wäre es - und insofern auch katholisch. Römisch-katholisch.

In Essen jedenfalls geht es zunächst “nur” um Verfahrensklärungen wie Geschäftsordnung und Satzung. Allerdings dürfte es dabei spannend sein, welche Mehrheiten dort für Beschlüsse notwendig sein sollen - und ob es erneut eine Sperrminorität durch die Bischöfe geben wird. Beim Synodalen Weg gab es die, und da war sie nicht eben unproblematisch. Dahinter steckt natürlich exakt das Problem, vor dem Rom warnt: nicht, dass da die Demokratie einreißt und die bischöfliche Autorität unterminiert!

Schon in den letzten Tagen haben wir ja täglich die neun Delegierten aus dem Bistum Münster dazu befragt, was sie vom Synodalen Ausschuss erwarten. (Opens in a new window)Ich meine, auch damit hätten wir einen sehr starken, eigenen Beitrag zu diesem Projekt geleistet. Wie es dort weitergeht, berichten wir selbstverständlich auch am Wochenende.

In Sachen Demokratie und Kirche darf ich für die kommende Woche schon ein spannendes Interview in Aussicht stellen, das ich gestern mit dem neuen Abt meines Heimatklosters, der Abtei Königsmünster im sauerländischen Meschede geführt habe. Nachdem er demokratisch von seinen Brüdern zum Abt gewählt worden ist, wird Cosmas Hoffmann (Bild oben, Foto: Erzbistum Paderborn) am 18. November in einer Abts-Benediktion (man darf das durchaus auch als Segensfeiern bezeichnen) formell ins Amt eingeführt. Und obwohl eine Benediktinerabtei exemt ist, ein Bischof dort also nichts zu sagen hat, kommt zu dieser Segensfeier doch ein Bischof. Für gewöhnlich macht das der Ortsbischof. Da in diesem Fall der Paderborner Erzbischofsstuhl noch nicht wieder besetzt ist, kommt der Bischof einer Diözese, in der die Abtei Königsmünster eine Depandance unterhält, nämlich die “Cella St. Benedikt” in einem gewöhnlichen Wohnhaus mitten in der Stadt Hannover. Und dieser Bischof ist - Heiner Wilmer, eben jener, mit dem dieser Newsletter begann.

Mit Abt Cosmas jedenfalls habe ich über Demokratie und Macht gesprochen, über Verantwortung und Vertrauen - und darüber, warum im Unterschied zu “der Kirche” dieses Kloster und andere an Anziehungskraft nichts verloren haben (im Gegenteil) und was also “die Kirche” von Klöster lernen kann. Ich denke, dass das Interview am kommenden Mittwoch online geht.

Bis dahin euch ein gutes Wochenende und einen gesegneten Sonntag! Bleibt uns gewogen, empfehlt uns weiter! Und überhaupt:

Guet goahn!

Markus Nolte (Chefredakteur Online)

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