Auftritt: die Kritische
Neulich habe ich in diesem Internet ein Theaterstück aufgeführt. Es begann mit einer kritischen These. Die darauffolgende Diskussion verlief mustergültig. Auftritt: die Trolle, die Fans, die Whataboutisten, die Traditionsliebenden, die Kompromisslosen (“ist halt so” vs. “halt doch einfach die Klappe”) und nicht zuletzt: die Diskussionsfreudigen. Ich selbst schwankte zwischen Faszination und “Warum tue ich mir das eigentlich an?”
Vielleicht wäre es besser, mich künftig wieder auf witzig-belanglosen Buch-Content zu beschränken. Das war mein erster Gedanke. Mein zweiter: Bitte?!
Ich hatte sofort die Stimme eines Bekannten im Ohr: “Du bist immer so kritisch!” - Immerhin hatte er nicht “zu” gesagt, aber gemeint, denn der Satz begründete sich auf einem “Pass lieber auf”-Rant, der natürlich wohlwollend war. Pass lieber auf, wenn du so kritisch bist, trittst du noch jemandem auf die Füße. Pass lieber auf, den Leuten ist das zu unbequem. Pass lieber auf, das verbreitet nur schlechte Laune.
Ich kannte das schon. Ich wusste das schon: Ich echauffiere mich zu viel. Ob über große Themen oder Kleinigkeiten. Wobei ich mich immer frage, wer das eigentlich entscheidet, was eine Kleinigkeit ist: ich oder mein Gegenüber?
Und ja, ich finde das auch anstrengend. Ich finde es anstrengend, dass diese Fragen in meinem Kopf nisten: Ob ich nicht doch zu kritisch bin. Ob es daran liegt, dass meine Geschichten es auf dem Buchmarkt schwer haben, dass meine Reichweite begrenzt ist, dass ich Diskussionen lostrete, deren Ausmaß ich mich kaum gewachsen fühle. Dass mir wieder und wieder vorgehalten wird - direkt oder indirekt -, ich wäre ein “Zu” auf zwei Beinen.
Denn das bin ich nicht. Ich bin ich. Und ich bin gern kritisch. Ich halte das für notwendig. Für bereichernd. Ja, auch die ausufernden Diskussionen, wobei ich mittlerweile gelernt habe, an welcher Stelle sich das Argumentieren lohnt. Es ist ein Grundproblem unserer Zeit, Diskussionen im Keim ersticken zu wollen. Der Harmonie, des Rechthabens, der Prinzipien wegen. Mit Whataboutism. Mit Sätzen wie: Echauffier dich doch nicht so! Das sind nur Kleinigkeiten! Du bist immer so kritisch!
Es wäre gelogen, wenn ich behauptete, es würde mir nichts ausmachen.
Aber sobald ich aufhöre, kritische Fragen zu stellen, höre ich auf, mich zu verändern, höre ich auf, zu wachsen, höre ich auf, lebendig zu sein. Alles bleibt, wie es ist fand ich noch nie erstrebenswert. Ich bin Autorin. Kritisch zu sein, ist Teil meines Jobs. Für meine Werte einzustehen, auch. Sonst trete ich nämlich mir selbst auf die Füße.
Und dann erhalte ich, während ich diese Zeilen tippe, eine Mail. Ein Autor, den ich sehr schätze, schreibt mir: “Danke für deine Aufklärung, es war mir nicht bewusst.” Auftritt: die Reflektierenden. Die gibt es nämlich auch. Und dafür lohnt es sich, mich eben doch nicht nur auf witzig-belanglosen Buch-Content zu beschränken.
Das war das Wort zum Sonntag und, wie ich gerade feststelle, mein dritter Text zum derzeit laufenden und von mir auf Instagram initiierten #musikzitatemai - Vol. 1 mit “Komm wie du bist” von Wilhelmine. Toller Song! Und wie schön, dass hier so viel Platz ist.
Danke für deine Zeit! Ich hoffe, es war ein bisschen unbequem. 😉