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Nur die Schatten bleiben. Der Aufstand im Vernichtungslager Sobibór von Thomas T. Blatt 

Besonders erschütternd die Berichte nach der Flucht aus Sobibór und nach der Befreiung durch die Rote Armee. Er war wieder in seinem Heimatort. 

Ein Ausschnitt aus dem Buch:
„Etwa zwei Wochen später klopfte jemand an die Tür der Bäckerei und verlangte Einlaß. Frau Krölikowski kam mit wirrem Haar herunter. »Toivi«, sagte sie keuchend, »lauf auf den Dachboden.« Da ich solche Notfälle gewohnt war, fragte ich nicht erst lange nach, sondern versteckte mich innerhalb von Sekunden im hintersten Winkel des Dachbodens. Unten ging die Tür auf, und ich hörte fremde Stimmen. Dann ging die Tür wieder zu. (…) Sobald Frau Krölikowski verschwunden war, rief mich Piasecki zu sich und sagte: »Lauf von hier weg, Toivi, und verlier keine Zeit, sonst ist es zu spät.« Er sagte, es gebe keine Juden mehr in Izbica. Fremde hatten sich in den jüdischen Häusern einquartiert, die gar nicht daran dachten, sie wieder herzugeben. In kleinen Städtchen wie Izbica seien die wenigen Juden, die zurückgekehrt waren, nicht sicher, und es seien sogar schon welche umgebracht worden. »Sie suchen dich, sie suchen dich überall. Lauf, lauf nach Lublin, bevor es zu spät ist«, wiederholte er.“

Sehr lesenswert. 
Besonders das Gespräch mit einem seiner Peiniger Karl Frenzel auf Seite 328 ff. 

Ein kurzer Ausschnitt aus dem Buch:
„Das war's also. Wir würden in den Gaskammern umgebracht werden oder durch Elektroschock, wie einige von uns glaubten. Dies waren unsere letzten Schritte im Leben. Die Sonne stand noch immer hoch am Himmel, die Vögel zwitscherten. Es war ein so wunderschöner Frühlingstag - der 28. April 1943. Ich wollte nicht sterben. »Halt! Männer nach rechts, Frauen und Kinder nach links!« brüllte der SS-Mann. Einige Jungen in meinem Alter blieben bei ihren Müttern. Mein zehnjähriger Bruder ließ meinen Vater stehen und ging hinüber zu meiner Mutter, deren Hand ich noch immer hielt. Hatte ich eine Chance? Ich mußte mich entscheiden ... Ich lehnte mich hinüber und küßte meine Mutter rasch auf die Wange. Ich wollte etwas sagen, denn mir war klar, daß wir für immer auseinandergingen. Aber aus Gründen, die ich noch heute nicht verstehe, sagte ich völlig unvermittelt zu meiner Mutter: »Und ich durfte gestern die Milch nicht austrinken. Du wolltest unbedingt noch welche für heute aufheben.« Langsam und traurig wandte sie sich zu mir und sah mich an. »An so etwas denkst du in so einem Augenblick?« Noch heute verfolgt mich diese Szene, und ich bereue meine sonderbare Bemerkung. Wie sich zeigen sollte, waren das meine allerletzten Worte an sie. Ich würde alles geben, um jenen Augenblick noch einmal heraufbeschwören zu können, um es anders zu machen, sie zu umarmen und ihr zu sagen, daß ich sie liebe, aber 1943 waren wir längst zu Automaten geworden, zu seelenlosen Schatten. Ich weinte nie. Darüber war ich hinaus.“

(Thomas T. Blatt, Nur die Schatten bleiben, Der Aufstand im Vernichtungslager Sobibór, Berlin 2009, S. 11 f.)

Topic Shoa/Judentum

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