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Herzfeld

Durch die strafrechtliche Verfolgung der gescheiterten Revolutionäre von 1848 mussten viele Deutsche ins Exil. In den USA und in Australien wurden letztere übrigens Forty-Eighters genannt. Gustav Herzfelds Vater Joseph war einer davon. Der Revolutionär wurde in Preußen steckbrieflich gesucht, floh nach New York und wurde dort nach der Heirat mit der Tochter eines Bankers, selbst zum überaus wohlhabenden Bankier.

Erst 1867 konnten die Familie wieder zurück nach Deutschland. Zuerst nach Düsseldorf, dann nach Berlin ins noble und avantgardistische Tiergartenviertel. Gustav Herzfeld war zuvor am 7. Mai 1861 in New York geboren worden. Mit 18 begann er in Deutschland ein Jurastudium und ihn erwartete ein sehr großes Erbe. Später promovierte er. Befreundet war er schon zu Studienzeiten mit Persönlichkeiten wie dem „Vater“ der Weimarer Verfassung Hugo Preuß.

Als er die Hutmacherin Elise schwängerte, brach er 1897 kurz aus seinem vorgezeichneten Leben aus und heiratete diese in den USA, wo auch das gemeinsame Kind zur Welt kam. Seine Eltern missbilligten die Ehe als nicht standesgemäß. Dennoch kam er mit seiner kleinen Familie ein Jahr später zurück und wurde mit einer Millionen Mark aus dem Erbe ausgestattet.

1903 zog Gustav Herzfeld mit seiner Frau Elise und dem Sohn Joachim in eine herrschaftliche Villa nach Potsdam, ließ sich dort später als Anwalt zulassen und trat zum evangelischen Glauben über, was ihm später unter den Nazis jedoch nichts nutzen sollte. Einen mittelschweren Skandal hatte er 1913 zu überstehen, als sein neunjähriges Verhältnis mit einer jüngeren Frau ans Licht kam und schmutzige Prozesse geführt wurden. Nachdem seine Frau vom Verhältnis erfuhr, verlangte Herzfeld alle Geschenke, darunter ein gemeinsames Liebesnest zurück. Seine Geliebte klagte dagegen, aber verlor. Ein schweres Schicksal erlitt die Familie Herzfeld, als ihr Sohn 1918 im Ersten Weltkrieg in Verdun fiel. Fünf Jahre später brachte sich Elise um. Aber es sollte noch schlimmer für Gustav Herzfeld kommen.

Während der Nazizeit wurde auch Gustav Herzfeld verfolgt. Zunächst konnte er als „Altanwalt“ seine Zulassung behalten und schloss sich mit Kollegen jüdischer Herkunft in einer Gemeinschaftskanzlei zusammen. Doch 1938 erhielt er Berufsverbot und musste den „Judenstern“ tragen. Mit der Zwangseinweisung in das „jüdische Altenheim“ in Babelsberg wurde ihm 1942 sein letzter Besitz genommen. Um der Deportation zu entgehen, unternahm Herzfeld mit 81 Jahren einen Selbstmordversuch, der jedoch misslang.

Von den jüdischen Juristen im Landgerichtsbezirk Potsdam flohen 13 ins Exil, einer davon kehrte später nach Deutschland zurück. Mindestens fünf starben in Konzentrationslagern. Zu ihnen gehörte - neben vielen seiner Verwandten - auch Gustav Herzfeld. 

Am 3./4. Oktober 1942 wurde er über Berlin im 3. „Großen Alterstransport“ in das Ghetto Theresienstadt verbracht. Niemand der mit ihm deportierten Potsdamer Frauen und Männer überlebte. Sein Todesdatum wurde mit dem 27. Oktober 1942 angegeben.

Gustav Herzfelds ungewöhnliches Schicksal wurde nun durch seine Nachkommen von der weit verzweigten Familie, aus der Personen wie John Heartfield und Wieland Herzfelde international Berühmtheit erlangten, in einem Buch gewürdigt, nachdem schon 2017 ein Stolperstein in Potsdam verlegt wurde.

Es ist immer wieder sehr berührend und lohnenswert solche Biographien aus der Nazizeit zu lesen.

Nie wieder!

 

 

Ernst Reuß

 

 

Kuntze, Simon / Topp, Sascha (Hg.), „Ich hoffe auf baldigen Umbruch …“ Der Jurist Gustav Herzfeld und seine Familie, New York – Berlin – Potsdam – Theresienstadt, vbb Verlag, Berlin 2022, 248 Seiten, 24 €

Topic Shoa/Judentum

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