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Liebe, Flucht und Rassenwahn

Alfons Dür, ehemaliger Präsident des Landesgerichts Feldkirch in Vorarlberg, hat ein ergreifendes Buch über das Schicksal einer „Liebe in Zeiten des Rassenwahns“ veröffentlicht. Nach der Anfrage eines Historikers stieß er in seinem Büro zufällig auf verstaubte Akten, die ihn nicht mehr losließen. Er las sie, begann weiter zu recherchieren und schrieb die Geschichte einer tragisch endenden Flucht auf. Eine Geschichte aus der Zeit als Deutsche vor ihren eigenen Landsleuten fliehen mussten.

Es ist die Geschichte von Edith Meyer und Heinrich Heinen. Laut des Autors ist es “die Geschichte einer großen Liebe, einer waghalsigen Flucht und eines tragischen Scheiterns.“ Beide riskierten und verloren ihr Leben, weil sie zusammenbleiben wollten.

Achtzehn Jahre waren die beiden alt, als sie sich im Jahr 1938 in Köln kennenlernten und ineinander verliebten. Das war während dieser dunklen Zeit verboten. Die Nürnberger „Rassengesetze“ galten bereits seit drei Jahren. Der „Arier“ Heinen kam aus Köln, die Jüdin Meyer aus der Nähe seines Heimatortes. Als Edith 1941 nach Riga ins Ghetto deportiert wird, befreit er sie auf abenteuerliche Weise von dort und versucht mit ihr in die neutrale Schweiz zu entkommen. Die Flucht endete im österreichischen Feldkirch an der Grenze zur Schweiz und zu Liechtenstein.

Viele Fluchten endeten damals dort.

Vor allem jüdische Flüchtlinge landeten anschließend in Auschwitz. Dür berichtet akribisch auch davon. Originalakten gibt es auch von der Deportierung Ediths. Jedoch „von zahlreichen Flüchtlingen endet in Feldkirch jegliche Spur und Nachricht“, schreibt der Autor. So ist es auch bei Edith Meyer. Genaues lässt sich zu ihrem weiteren Schicksal nicht mehr feststellen, denn wer gleich nach der Ankunft selektioniert und ermordet worden war, wurde nicht registriert und fand ein namenloses Ende.

Heinen wird von „furchtbaren Juristen“ wegen Rassenschande zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt, bricht mit anderen Häftlingen aus und durchsucht Zelle für Zelle des weiblichen Gefängnistrakts nach seiner Liebe. Vergeblich. Sie befand sich nicht mehr dort. Er kam einen Tag zu spät.

Heinen wird auf der Flucht erschossen.

Das Liebespaar ist jedoch nicht das einzige Opfer der Flucht. Einer von Heines Mitflüchtigen wird ebenfalls erschossen, ein anderer - von Dürs furchtbaren Vorgängern, die nach dem Krieg zumeist ihre Karriere fortführen durften - zum Tode verurteilt und hingerichtet. Helene Krebs, eine Cousine von Edith Meyer, bei der Edith ein paar Tage Unterschlupf gefunden hatte, wird von einer befreundeten Nachbarin denunziert und stirbt kurz nach ihrer Ankunft in Auschwitz. Sie war zu diesem Zeitpunkt von ihrem „arischen“ Ehemann hochschwanger. Gnade kannte das erbarmungslose Regime nicht. Das „Referat für Judenangelegenheiten“ lehnte ein Gnadengesuch ab, weil „mit der Zeugung eines Mischlings eine evtl. eintretende Evakuierung unmöglich gemacht und weitere Privilegien geschaffen werden sollten.“

Das Buch ist packend erzählt, alle Nebenstränge der tragischen Geschichte sind bestens recherchiert und die politischen Hintergründe gründlich aufgearbeitet. Ein trauriges, sehr lesenswertes Buch, welches im Moment leider wieder sehr aktuell zu sein scheint.

Bleibt nur zu hoffen, dass dies nicht das letzte Buch des Autors zu dieser Thematik sein wird. Es gibt noch einige Akten mehr in seinem ehemaligen Büro, die genauso so aufgearbeitet werden sollten.

Ernst Reuß

Alfons Dür: Unerhörter Mut, Eine Liebe in der Zeit des Rassenwahns, Taschenbuch – Innsbruck 2013, EUR 9,95

 

Topic Shoa/Judentum

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