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Die letzte Hinrichtung in der DDR

In der DDR wurde die Todesstrafe erst Ende 1987 abgeschafft – laut Statistik des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR nach ungefähr 160 Hinrichtungen. Die Vollstreckungen wurden auch vor den Angehörigen oft vollständig geheim gehalten. Zahl und Art der Hinrichtungen sind daher erst nach der politischen Wende bekannt geworden.

Das letzte Opfer war der 1942 geborene MfS-Hauptmann Dr. Werner Teske. Er hatte zuvor an der Humboldt-Universität Finanzökonomie studiert und promovierte 1969. Eigentlich schwebte ihm eine wissenschaftliche Karriere vor, doch schon 1967 war er als IM „Tesla“ angeworben worden und arbeitete nach dem Rigorosum hauptamtlich an der Stasizentrale in Berlin–Lichtenberg. Teske wurde zum Agentenführer, der häufig im Westen war, wo er zum Beispiel bei der Fußballweltmeisterschaft 1974 und bei der Winterolympiade 1976 in Innsbruck für die Westdevisen der streng ausgewählten „Reisegruppe“ zuständig war und dies auch zu Unterschlagungen für die Familie nutzte. Teske hatte Eheprobleme, trank zu viel, war unzufrieden mit seinem Job – und in Österreich hatte es ihm gefallen.

Laut Urteil war er als „operativer Offizier mit der Führung von in der Deutschen Demokratischen Republik und im kapitalistischen Ausland wirkenden Patrioten betraut“. Dann jedoch soll „zunehmende Oberflächlichkeit, Unehrlichkeit und Unlust zu mehreren dienstlichen Verfehlungen geführt“ und Teske „keine innere Bindung zum Staat der Arbeiter und Bauern gezeigt haben“.

Teske hatte sich darüber Gedanken gemacht, in den Westen zu flüchten und geheime Informationen mitzunehmen. Dafür hatte er Dokumente gesammelt. Mit Rücksicht auf seine Familie wagte er die Flucht dann aber doch nicht.

In der geheimen Urteilsbegründung hieß es: „In Vorbereitung der Fahnenflucht prägte er sich im Jahr 1977 zum Zwecke des Verrats an einen imperialistischen Geheimdienst von 18 Patrioten, die im kapitalistischen Ausland wohnhaft waren, die Namen, Altersangaben, Wohnanschriften, berufliche Tätigkeit und Arbeitsstellen fest in das Gedächtnis ein. Mit dem Verrat dieser Informationen wollte er seinen Bruch zum Ministerium für Staatssicherheit und zum sozialistischen Staat dokumentieren.“ Die vom Angeklagten begangenen Verbrechen seien „von außerordentlich hoher Gesellschaftsgefährlichkeit und vom skrupellosen Verrat an der Arbeiter-und-Bauern-Macht durchdrungen“.

Weiter hieß es: „Der Angeklagte wird wegen vorbereiteter und vollendeter Spionage im besonders schweren Fell in Tateinheit mit vorbereiteter Fahnenflucht im schweren Fall […] zum Tode verurteilt. Die staatsbürgerlichen Rechte werden ihm für dauernd aberkannt.“

Rechtsstaatliche Ansprüche erfüllte das Urteil keineswegs. Es sollte wohl ein Exempel statuiert werden, denn kurz zuvor war es einem Kollegen Teskes gelungen, in den Westen zu flüchten.

Er sei an Herzversagen gestorben, erfuhr die Familie später aus der Sterbeurkunde.

Es war die letzte Hinrichtung in der DDR. Sie erfolgte am 26. Juni 1981 und geschah durch – wie es in der „geheimen Verschlusssache 02014“ im schönsten Behördendeutsch hieß – „unerwarteten Nahschuss in das Hinterhaupt“. Ort der Hinrichtung war die damalige Hausmeisterwohnung der Leipziger Strafvollzugsanstalt.

Dorthin war er am frühen Morgen aus der Untersuchungshaftanstalt Berlin-Hohenschönhausen gebracht worden. Er solle verlegt werden, wurde dem Häftling mitgeteilt. Beim Betreten des extra dafür eingerichteten Hinrichtungsraums trat der letzte Henker der DDR – Hauptmann Hermann Lorenz – unvermittelt von hinten an den Verurteilten heran und gab ihm mit einer schallgeschützten Pistole einen Genickschuss. Kaum eine Minute zuvor hatte der Staatsanwalt dem wohl verdutzten Teske eröffnet: „Ihre Hinrichtung steht unmittelbar bevor“, denn „der Vorsitzende des Staatsrates der Deutschen Demokratischen Republik“, also Erich Honecker, habe davon abgesehen, ein Gnadenverfahren einzuleiten.

Bereits im Dezember 1979 und im Juli 1980 waren ein Major der Stasi und ein ehemaliger Fregattenkapitän im Nachrichtendienst auf dieselbe Weise umgebracht worden.

 

Das Urteil gegen Teske wurde 1993 als rechtsstaatswidrig annulliert. 1998 wurden der Richter und der Staatsanwalt des Urteils zu vier Jahren Haft verurteilt.

 

(aus: Ernst Reuß, Endzeit und Neubeginn. Berliner Nachkriegsgeschichten, Metropol Verlag, Berlin 2022, 282 Seiten, S. 36 ff.)

 

Topic Nachkrieg

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