GZ #23 Schwätzen statt Hetzen
Gofigramm

Am letzten Samstag habe ich eine Premiere gefeiert. Ich stand zum ersten Mal an einem Wahlkampfstand, unter dem roten Sonnenschirm der SPD. Und zwar nicht als interessierter Bürger, sondern als Wahlkämpfer. Na ja, ‚Kämpfer‘. Wir haben nicht wirklich gekämpft, sondern meistens freundlich gelächelt.
Es war eine schöne Erfahrung. Meine Parteigenossen sind wahnsinnig nette Menschen. Auch unser Freund von den Grünen, der sich uns angeschlossen und seine grüne Fahne aufgestellt hat, ist ein ganz toller Typ. Und die Leute? Haben sich gefreut, dass wir nicht die AfD waren. Die standen nämlich vor ein paar Wochen an derselben Stelle, und viele Cappeler waren davon gar nicht begeistert.
Wir haben einige sehr nette Gespräche geführt. Und ich habe gleich bei meinem ersten Mal kapiert, was das Wichtigste ist: Zuhören. Nett sein. Lächeln. Menschen wahrnehmen. Eine sehr aufgebrachte ältere Dame kam zu uns und wollte sich eigentlich nur ausschütten, all ihren Frust, ihre Wut darüber, was falsch läuft in diesem Land und wer daran schuld ist. Es war sinnlos, auch nur zu versuchen, irgendetwas zu erwidern. Ich glaube, das war auch gar nicht nötig. Wichtig war, dass sie mal Dampf ablassen konnte.
Am Sonntag haben wir dann gleich noch eine Premiere gefeiert. ‚Schwätzen statt Hetzen‘ hieß die Veranstaltung, ein Kaffeeklatsch anlässlich der Bundestagswahl, die mitten im Ort stattfand und von engagierten Leuten aus Politik und Kirche organisiert wurde. Auch hier ging es darum, sich gegenseitig kennenzulernen und zuzuhören. Es war sehr interessant, die Lebensgeschichten der anderen kennenzulernen, zu erfahren, was ihnen wichtig ist, wofür sie sich einsetzen, warum sie es tun. Nein, es wurden keine Lösungen für irgendetwas erarbeitet. Aber die Blicke, Gesten und Worte haben gesagt: Schön, dass Du da bist. Es ist gut, dass es Dich gibt. In so einer Atmosphäre lässt es sich reden.
Gehetzt hat niemand, alle waren am Gespräch interessiert. Was wäre passiert, wenn jemand gekommen wäre, der lieber gehetzt statt geschwätzt hätte? Keine Ahnung. Wenn es so weit ist, vermute ich, hören wir der Person ein wenig zu und bitten sie dann, sich entweder mal eine Weile dem Kuchen zu widmen und zuzuhören oder lieber wieder nach Hause zu gehen. Man kann ja niemanden zu seinem Glück zwingen.
Aber gestern hatte ich den Eindruck: Die, die lieber schwätzen wollen, sind klar in der Mehrheit.
Ich wünsche Dir eine tolle Woche. Bis nächsten Montag.
Dein Gofi
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Art2Go
Marco Michalzik: Am Tag, als David Lynch sich auf den Weg zum Himmel machte, musste viel vorbereitet werden

Der Himmel heute ist ein Diner ohne Rauchverbot.
Wo ein Kellner-Engel ein Holzscheit in der Armbeuge
trägt, das rückwärts redet und vorwärts
Bestellungen aufnimmt, ohne sich Notizen zu machen.
Eine Gestalt in einem hellen, aber nicht weißen Anzug, sitzt am Tresen
und sieht von hinten ein bisschen aus wie David Bowie,
aber sicher kann ich selbstverständlich nicht sein an diesem Andersort
mit flackerndem Licht, so kurz, dass alles auch Einbildung gewesen sein könnte.
Gott hat sich scheinbar noch nicht blicken lassen heute.
Vielleicht ist es oberste Priorität, dass der hier ausgeschenkte
Kaffee tatsächlich am Ende verdammt gut genannt werden kann.
Dass er schwarz ist und eher heiß als warm, in einer Tasse serviert,
die genau die richtige Größe hat und nach Neugier und Geheimnis
schmeckt und auch ein bisschen nach Jazz und der Erinnerung an
Unschuld und das Bestaunen rätselhafter Bäume beim Vorbeifahren.
Kirschkuchen ist aus und von den Donuts sind nur die Mitte-Löcher übrig.
Aus der Jukebox unter dem Ventilator, der sich gegen den Uhrzeigersinn
dreht und von dem ich schwöre, dass der noch nicht die ganze Zeit dort hing,
singt eine Stimme, dass hier am Ende alles fein sein wird.
Aber sicher kann ich selbstverständlich nicht sein.
Schlaf gut und träum etwas, das für dich schön ist.
Oder seltsam oder alles ineinander.
Marco Michalzik aus Wien ist Spoken-Word-Künstler, Lyriker und Songwriter.
Mit dem Musiker und Produzenten Manuel Steinhoff entwickelte er das Projekt #poetrymeetsbeats – eine Symbiose aus gesprochenen Texten und live gespielten, elektronischen Beats. Das Duo veröffentlichte bisher u. a. das Album„Ikarus“ und die EP „Insomnia“.
Er ist Workshopreferent zu den Themen Spoken Word, Kreatives Schreiben, Sprache und Spiritualität. Außerdem ist er Co-Host bei den Podcastformaten ART & WEISE (gemeinsam mit dem Musiker JONNES) und HOSSA TALK.
Zuletzt erschien sein erster Gedichtband “Alles wird ein bisschen anders” im Lektora Verlag.

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Podcast
Cobains Erben: Alles, nur nicht stehen bleiben: Regen & Neonlichter von Micha Kunze (m. Micha Kunze)
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Der Spoken Word Künstler Micha Kunze hat ein neues Album veröffentlicht. Und wir sind aus dem Häuschen, weil wir es SO GUT finden. Regen & Neonlichter ist, entgegen aller derzeit gängigen Hörgewohnheiten, ein Konzeptalbum, das erst als Ganzes seine volle Schönheit entfaltet. Kein leichter Stoff, aber faszinierend und dank der fantastischen Produktion von Kilian Mohns ein großartiges Erlebnis.
Wir reden natürlich über die Texte und was sie sagen wollen, aber auch über die Musik, den Klang und die Atmosphäre, die dieses fantastische Album hervorruft. Micha ringt mit den ganz großen Fragen, mit Einsamkeit und Identität, mit der Suche nach Wahrheit und wohin die Reise des Menschen geht. Was er liefert, sind keine Antworten, aber einen Appell: Nimm dich selbst in den Arm, sei Teil deines Teams, verliere nicht die Hoffnung. Das alles und noch viel mehr in diesem hörenswerten Gespräch mit Micha Kunze. Viel Spaß!
Micro Story der Woche
Erwin lacht
Erwin lacht. Er hat nichts anderes zu tun. Den ganzen Tag sitzt er im Café des Supermarktes und lacht. Wenn jemand ihn anspricht, lacht er. Wenn die Bäckereifachverkäuferin einen Witz macht, lacht er. Wenn jemandem etwas herunterfällt, lacht er auch.
Er lacht und lacht. Bei jeder Gelegenheit. Eigentlich würde er lieber weinen. Aber das traut er sich in der Öffentlichkeit nicht. Deshalb lacht er.
Der Fremde am anderen Tisch erhebt sich und geht. Er wollte etwas lesen. Aber bei Erwins lautem Gelächter kann er sich nicht konzentrieren.
News
Die Finissage meiner Ausstellung ‘Okay, ich lass Dich laufen’ im Kapitel 8 in Bremen rückt näher. Am 28. Februar ab 17h bin ich noch einmal dort. Und wenn Du auch da bist, können wir bei einem leckeren Getränk über die Bilder oder irgendetwas anderes reden.
Alle wichtigen Informationen findest Du hier. (Opens in a new window)
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