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Die Mobilitätswende will auch ausgebildet sein

Die neue Vielfalt in der Mobilität bietet viele Möglichkeiten, egal ob im ÖPNV, in der Automobilbranche oder bei Bike-Herstellern. Foto: Jürgen Brand

Die neue Vielfalt in der Mobilität bietet viele Möglichkeiten, egal ob im ÖPNV, in der Automobilbranche oder bei Bike-Herstellern. Foto: Jürgen Brand

Weil es gut zur IAA diese Woche in München passt: Der Transformationsprozess in der Automobilregion Stuttgart ist schon in vollem Gang, in Qualifizierungsprogrammen und Innovationsnetzwerken werden die Aus- und Weiterbildungsprogramme darauf zugeschnitten.

Von Jürgen Brand

Die Automobil- und Maschinenbau-Region Stuttgart ist im Umbruch. Die Corona-Pandemie hat die Arbeitswelt grundlegend verändert, der Angriff Russlands auf die Ukraine die ohnehin durch die Klimakrise schon länger notwendige Abkehr von fossilen Brennstoffen deutlich beschleunigt. Grüner Wasserstoff als Energiequelle der Zukunft wird forciert, das EU-weite Verbot von Verbrennerautos rückt näher, E-Mobilität wird fast schon normal. Manche nennen diese gewaltigen Veränderungen Strukturwandel, andere Transformationsprozess. In Wirklichkeit ist die Region schon mittendrin, die Auswirkungen sind vor allem in den großen Konzernen, aber auch im Mittelstand überall spür- und oft auch schon sichtbar. Und in der Aus- und Weiterbildung wird längst vorbereitet, was in ein paar Jahren die Welt immer weiter verändern wird. Dabei entstehen nicht unbedingt komplett neue Berufsbilder. Vielmehr müssen existierende Berufe kontinuierlich weiterentwickelt und durch neue Kenntnisse, gerne Skills genannt, ergänzt werden. Digitalisierung, Elektrifizierung und Internationalisierung sind da nur drei Stichwörter.

Dieser Artikel ist auch im Sonderheft Aus- und Weiterbildung Ausgabe Halbjahr 02/2023 des Stadtmagazins LIFT erschienen. Das komplette Heft kann hier kostenlos herunter geladen werden:

https://www.lift-online.de/aus-und-weiterbildung/ (Opens in a new window)

Beispiel Mercedes-Benz, um gleich mit dem größten Player in der “Wiege des Automobils” anzufangen. “Wir bereiten das Mercedes-Benz-Team zielgerichtet auf die neuen Jobprofile vor, die wir für die Transformation brauchen”, sagt Sabine Kohleisen, die Personalvorständin und Arbeitsdirektorin der Mercedes-Benz Group AG. Dafür wurde in dem Konzern die Qualifizierungsoffensive “Turn2Learn” gestartet. Darin werden drei Elemente verbunden: ein umfangreiches Lernangebot über eLearning-Plattformen, auf die jeweiligen Bedürfnisse passgenau zugeschnittene Lernpfade und die schon lange bestehenden bisherigen Bildungsmöglichkeiten. Mit Hilfe dieser Kombination können sich die Beschäftigten in Produktion und Verwaltung zeit- und ortsunabhängig beruflich wie privat weiter qualifizieren.

Mit diesem Angebot werden alle Jobprofile auch weiterentwickelt, wie es die Veränderungen in der Arbeitswelt durch Elektrifizierung und Digitalisierung erforderlich machen. “Das Unternehmen stellt deswegen lebenslanges Lernen und die Weiterbildung der Beschäftigten in den Mittelpunkt der nachhaltigen Personalentwicklung”, teilt der Konzern auf Anfrage mit. Dafür investiert Mercedes-Benz allein in Deutschland im Zeitraum von 2022 bis 2030 mehr als 1,3 Milliarden Euro in die Qualifizierung, Aus- und Weiterbildung der Beschäftigten.

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Darüber hinaus hat das Unternehmen sein Berufeportfolio entsprechend angepasst. Jetzt gibt es etwa Ausbildungsberufe wie den Fachinformatiker oder den neuen dualen Studiengang Embedded Systems, in dem Ingenieurwesen und Informatik verbunden werden. Insgesamt können Bewerber:innen bei Mercedes-Benz aus 27 Ausbildungsberufen und 16 Studienrichtungen wählen. In der Ausbildung bekommen dabei neue Technologiebausteine wie der 3D-Druck oder die immer wichtiger werdende Cyber Security ihren festen Platz in den Ausbildungsplänen, auch interkulturelle Kompetenzen durch internationale Austauschprogramme spielen eine immer wichtigere Rolle.

Dass der Transformationsprozess bei Mercedes-Benz längst in vollem Gange ist, zeigen auch einige Zahlen: In der Produktion haben seit 2020 rund 65.000 Beschäftigte Weiterbildungen zu Themen rund um die Elektromobilität in den MB Tech Academies in Deutschland absolviert. Im Jahr 2021 gab es im Konzern weltweit 75.000 Teilnahmen an Schulungen zu Software, Coding und IT. 2022 verbrachten MB-Beschäftigte allein in Deutschland 1,9 Millionen Stunden mit Qualifizierungsmaßnahmen. Und ganz aktuell werden einige Hundert Beschäftigte zu Mercedes-Benz Data Workern weitergebildet.

CARS 2.0

Was für den Mercedes-Konzern “Turn2Learn” ist, ist für einige große in der Aus- und Weiterbildung engagierte Institutionen in der Region “CARS 2.0”, das Transformationsnetzwerk für den Fahrzeug- und Maschinenbau. “CARS” steht dabei für “Cluster Automotive Region Stuttgart”, beteiligt sind die Handwerkskammer Region Stuttgart, die IHK Region Stuttgart, die IG Metall und das Bildungswerk der Baden-Württembergischen Wirtschaft, assoziierte Partner sind Fraunhofer IAO, die Innovationsagentur des Landes e-mobil Baden-Württemberg und die Stuttgarter “Innovavationsplattform für Mobilität und Produktion der Zukunft” ARENA 2036. Die Koordination liegt bei der Wirtschaftsförderung Region Stuttgart (WRS).

Die Tätigkeitsbereich für das bis Juni 2025 angelegte und vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz geförderten Projekts sind Transformationsstrategie, Information und Sensibilisierung, Vernetzung und Austausch, Diversifizierung und Marktvorbereitung, Startups und New Business, Fördermittelberatung und Antragsunterstützung und natürlich zwingend Qualifizierung und Weiterbildung. “Die Veränderungen am Fahrzeug durch Digitalisierung und die Elektrifizierung der Antriebsstränge haben direkte Auswirkungen auf das Kompetenzprofil der Mitarbeitenden” heißt es unter anderem in der Projektbeschreibung. “In Zusammenarbeit mit den Hochschulen und Berufsschulen der Region Stuttgart, den Betriebsräten und Personalverantwortlichen werden unter anderem Curricula zur Qualifizierung sowie zur Weiterbildung entworfen und diese in konkrete Angebote gebündelt.”

Gleichzeitig gibt es immer mehr Hochvolt-Elektrofahrzeuge mit neuen Sicherheitsanforderungen und vor allem auch mit vernetzten Systemen in den Fahrzeugen.

Gerhart Ebert ist bei der Handwerkskammer Region Stuttgart Berater für Technologietransfer und kann beispielsweise für das Kfz-Gewerbe die Veränderungsszenarien skizzieren. Die Werkstattbetriebe werden noch auf viele Jahre hinaus Verbrenner-Fahrzeuge betreuen und reparieren müssen, auch wenn die letzten dieser Fahrzeuge irgendwann längst verkauft sein werden. Gleichzeitig gibt es immer mehr Hochvolt-Elektrofahrzeuge mit neuen Sicherheitsanforderungen und vor allem auch mit vernetzten Systemen in den Fahrzeugen. Beispiele dafür sind etwa die Vernetzung der Scheinwerfer mit einer Kamera in der Windschutzscheibe für die automatische Fernlichtsteuerung oder die Vernetzung der Bremsanlage mit entsprechenden Kameras für den Notbremsassistenten.

Das stellt ganz neue Anforderungen bezüglich neuer Reparaturmethoden durch die Verknüpfung von mechanischen Komponenten mit digitalen Prozessen oder an den Datenverkehr und die Vernetzung innerhalb der Werkstätten. Dadurch steigen die Anforderungen etwa an das Berufsbild des Kfz-Mechatronikers immer weiter. Mechatroniker:innen müssen sich jetzt nicht nur mit dem Fahrwerk oder der Karosserie auskennen, sondern auch mit IT und Hochvolttechnik, mit Software und Netzwerken. Das müssen die Azubis jetzt alles zusätzlich lernen - bei gleichbleibender Ausbildungsdauer.

Die Handwerkskammer Region Stuttgart bietet dafür heute schon zahlreiche Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten und entwickelt sie gerade im Bereich der Elektromobilität kontinuierlich weiter, weil auch die Nachfrage steigt. Aktuell werden im Rahmen des Projekts CARS 2.0 neue modulare Fortbildungsangebote konzipiert. Ab 2024 soll es eine Fortbildung zur Anlagenprüfung in gasbetriebenen Fahrzeugen geben, später auch eine Schulung für Arbeiten an Brennstoffzellenfahrzeugen. Das ist im Hinblick auf die angestrebte Nutzung von grünem Wasserstoff beispielsweise auch in Lastwagen wichtig (siehe Interview).

Eigentlich sollte jeder eine

Programmiersprache können

Auch in der Eberspächer Gruppe in Esslingen gibt es längst ein Wasserstoff-Team, also ein Innovationsteam, das sich mit neuen Lösungen des Unternehmens für Brennstoffzellen und Wasserstoffmotoren beschäftigt. “Die Arbeitswelt wird immer komplexer” sagt Stefanie Melzer, die bei Eberspächer den Bereich Vocational Education, also die Berufsausbildung, leitet. Auch in Esslingen sind Internationalisierung und Digitalisierung die entsprechenden Schlagworte, die beispielsweise auch die Ausbildung zur Industriekauffrau oder zum Industriekaufmann verändern. Und: “Eigentlich sollte jeder eine Programmiersprache können”, sagt Stefanie Melzer, die selbst JavaScript gelernt hat. Auch sie sagt, das in der Transformation nicht unbedingt komplett neue Berufsbilder entstünden, sondern zu den bestehenden neue Zusatzqualifikationen hinzu kämen.

Stefanie Melzer ist selbst Ausbilderin in den IHK-Berufen, entsprechend nutzt auch Eberspächer die Angebote etwa im Bildungshaus der IHK Region Stuttgart in Remshalden. Dessen Leiterin Adelhajda Bahonjic-Hölscher, hat mit ihrem Team das Bildungsportfolio längst an die neuen Themen angepasst, egal ob es um Wasserstoff oder Hochvolttechnik in Fahrzeugen geht. In Verbindung mit den vor allem durch die Pandemie ausgelösten Veränderungen der Arbeitswelt selbst sieht sie ihr Haus vor ganz neue Herausforderungen gestellt. “Wir bieten manche Seminare inzwischen oft sowohl virtuell als auch in Präsenz an”, sagt sie. Und das aus gutem Grund: Während beispielsweise im kaufmännischen Bereich gerne virtuell gelernt wird, ist das im technikorientierten Bereich eher weniger der Fall, die Techniker scheinen sich lieber persönlich auszutauschen.

Größtes Problem: Fachkräftemangel

Die größte Schwierigkeit ist aber ein ganz anderes Thema: Immer öfter sind die Angebote nicht ganz ausgebucht - nicht etwa, weil es kein Interesse an Fort- und Weiterbildung gibt, sondern weil den Betrieben schlicht die Leute dafür fehlen. Viele müssen in einer Situation des immer deutlicher spürbar werdenden Fachkräftemangels erst einmal schauen, dass sie ihre Aufträge abgearbeitet bekommen. Dafür wird dann jede Frau und jeder Mann gebraucht - die bei einem ein- oder mehrtägigen Seminar zu neuer Elektronik, Software, Datensicherheit oder Wasserstoffanwendungen halt im Tagesgeschäft fehlen und schmerzlich vermisst würden.

Links zum Thema:

https://cars.region-stuttgart.de/ (Opens in a new window)https://www.ihk.de/stuttgart/ (Opens in a new window)

www.eberspaecher.com (Opens in a new window)

www.mercedes-benz.com (Opens in a new window)

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Topic Baden-Württemberg

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