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Liebe (chemische) Drogen: so long, and thanks for all the fun.

02.02.2024

Liebe Leute,

eigentlich wollte ich heute morgen mit einer meiner besten Freund*innen & politischen Tandempartnerin (ein Tandem ist eine Bezugsgruppe, die nur aus zwei Leuten besteht ;)) die Streikposten von ver.di und FFF im Rahmen von “Wir Fahren Zusammen” unterstützen. Leider kam es anders.

Ich werde heute wieder im Bett verbringen, ich fühle mich immer noch ziemlich krank. Und genau darüber wollte ich reden: vergangenes Wochenende hatte ich ein Feier-, sprich, Tanzen, Drogen, Sex. Es war toll. ...ABER:

The long farewell

1. bin ich nunmal mittlerweile 47, und von Samstag bis Montag Abend wach sein... nunja, das hinterlässt seine Spuren, in diesem Fall ne Mischung aus ner ekligen Erkältung (Rotz, Hust, blabla), außerdem ist meine Verdauung, wie sag ich's, sehr unzufrieden mit mir.

Ihr wisst, ich bin drogenpositiv, aber ein Feierwochenende sollte mich nicht eine ganze Woche außer Gefecht setzen, da sind die Opportunitätskosten zu hoch. Das ist der 1. Grund, warum ich zusammen mit meinem Ehemann, Companion und Protector Wolf (der übliche Reminder: if you like my work, you should be grateful to Wolf. If not for him, the last few years would have killed or at least wrecked me. I certainly will be eternally grateful to him) vereinbart habe, MINDESTENS 1 Jahr keine chemischen Drogen zu nehmen. Ich schreibe “mindestens”, hoffe aber auf regelmäßige Verlängerung der Maßnahme.

Rückschau: drugs v Müllers

2. Jetzt kommen wir zum, für mich, wirklich spannenden Teil. Ich glaube, die meisten von Euch wissen nicht, was die Chemsex-Wochenenden für mich bedeuten: sie sind die absolute Befreiung. Nicht nur, weil Drogen nehmen (denkt halt an das letzte Mal, als ihr besoffen wart) es einem natürlich ermöglicht, die Gesamtscheiße einfach mal zu ignorieren, und der in Teilen der schwulen Subkultur normalisierte und als solche auch kulturell kontrollierbare Konsum chemischer Drogen einem wirklich EXTREM geilen Sex ermöglicht, weil es Hemmungen senkt, sondern, und das ist jetzt sehr spezifisch für mich, weil die Drogen es mir erlauben, mich meiner hyperarroganten, fast schon inhuman überheblichen Klassen- und Familienprägung zu lösen (some of you have met me: ich sage immer, hätte meine Familie ein Motto, wäre es: "Es gibt Tausend Wege, Dinge zu tun, aber nur einer davon ist richtig, und das ist der Müller-Weg".

Wisst Ihr, dass ich zu Hause (natürlich nur implizit) gelernt habe, dass die Meinungen Anderer, wenn sie von unserer abweichen, nicht nur nicht wichtig sind, sondern, dass wir sie ändern sollten. Abstrus elitäre großbürgerliche Kackscheiße halt. Dann noch der Leistungsfaschismus: wir Müllers müssen immer alles sofort perfekt beherrschen, und immer die besten sein. Mir zum Beispiel wurde vorgeschlagen (to be sure: von meiner Mutter) ich solle doch UN-Generalsekretär werden. Nicht: “bei der UNO arbeiten”, was für ein Kind aus einer cosmopolitisch Großbürgerlichen Ehe durchaus ein “normaler” Lebensweg wäre.

Dieser Leistungsfaschismus treibt mich zwar durchaus zu hohen Leistungen an, aber ich weiß nicht, ob Ihr Euch das vorstellen könnt, wie es ist, wenn man so durch die Welt geht: ich komme aus einer Klasse und einer Familie, die auf alle anderen herabschaut, diese zu Mitteln, nie zu Zwecken (vs. Kant) macht, und sich dessen nicht einmal bewusst ist, weil: wir dürfen das ja, denn unsere Führung ist für Euch Plebs gut. Was würdet Ihr ohne uns machen? Zurück zu den Drogen: ich entdeckte beim Chemsex die Freude an Unterwerfung und Selbstaufgabe.

Unterwerfung als Befreiung, oder: Hegel am Andreaskreuz ;)

Wenn ich also meine Entscheidungsmacht und considerable skills and strengths "aufgebe", oder (hegelmarxistisch gesprochen) "entfremde", d.h., an den Mann über mit transferiere, die er dann nutzen kann, um mich zu kontrollieren. Plötzlich muss ich nicht mehr ständig wissen, und ich meine ständig. Als ich noch meinen Job bei der RLS hatte, gab es kein Meeting, wo nicht ich der 1. war, der einen Kommentar zu einem Vortrag, eine Antwort auf eine Frage hatte. Apologies for sounding vain, aber: ich weiß wahnsinnig viel, bin sehr, sehr schnell, bin "mutig bis zur Dummheit", total hyperaktiv, überraschend stark und resilient für jemanden, der vor allem kiffend auf der Couch liegt - und daraus folgt für mich, dass ich IMMER ALLES KANN UND KÖNNEN MUSS UND ALLES MACHEN MUSS, WAS MÖGLICH IST.

Vor allem aber muss ich IMMER kämpfen: weil (s. der Müller Code), was ich denke und will ist ja immer richtig, nicht nur für mich, sondern für Alle, die Welt, gar den Kosmos. Before druggy submission, I NEVER backed down, entweder gehe ich in die direkte Konfrontation, oder ich nutze meine Fähigkeit, nonstop mehr oder minder manipulative Geschichten zu erzählen, um meine Gedanken in den Köpfen anderer zu verankern. Das macht mich zu nem guten Aktivisten, aber halt auch zu nem ruthless asshole, der andere Menschen nicht wirklich ernst nimmt.

Als ich dann submissiven Sex entdeckte, war das für mich ne riesige Befreiung: endlich mal meine Skills (Hust, I do give spectactular head;)) nicht für mich oder für ein von mir definiertes Gemeinschaftsziel einsetzen, sondern einfach, um jemand anderen glücklich zu machen. Klingt banal, was man als guter Mensch halt so macht, aber wir Müllers sind keine guten Menschen. Wir sind nette Menschen, meist charmant, gut gelaunt, es macht oft durchaus Spaß, mit uns Zeit zu verbringen - aber gute Menschen? Ethisch gesprochen sind wir eine Jauchegrube.

Diese Befreiung durch Submission von meiner klassen- und familienbedingten Hyperarroganz und Menschen... nicht -verachtung, eher -ignoranz oder (wenn nützlich) -instrumentalisierung bedeutete dass diese Chemsex-Wochenenden immer ein Highlight aller 1-2 Monate war, bedeuteten sie doch genau das, wofür ich als Linker immer kämpfe: eben Befreiung, Libération, emancipation. Das Abschütteln des knechtenden Jochs. In diesem Fall: meiner Selbst.

Von der Ambivalenz der Befreiung

Ich erlebe diese im Grunde Selbstaufgabe als... well, ich kann es echt nur als die erste wirklich religiöse Erfahrung meines Lebens beschreiben. Ich hab mich zweimal in so einer Situation verliebt, und beide Mal konnte ich stundenlang vor diesen Männern knien, sie anschauen, als wären sie the 2nd coming of Christ. Ich hätte dann ALLES für sie getan, und weil ich ja ohnehin schon etwas crazy bin (also: rules? Whose rules: my "master" sets the rules, und da ich als alter Linksradikaler eh auf Gesetze scheiße, mach ich halt alles, auch illegales.

And here's the rub: wenn das, was ich als "Himmel" erlebe, die totale Selbstaufgabe ist; wenn es im Grunde auch darum geht, meinen inneren Kämpfer (im Sinne jungscher Archetypen) zu zerstören, weil der mich so wahnsinnig stresst; und das gleichzeitig in einer Welt passiert,in der Lisa Poettinger, ein Freund, der bei Correctiv arbeitet, und natürlich Luisa Neubauer, ständigen Bedrohungen ausgesetzt sind, dann ist der Wunsch, den Himmel nicht zu verlassen, natürlich sehr stark. Oder auch: sich dort so zu beschädigen, dass ich nicht mehr kämpfen kann.

To be sure: nein, es ist nichts wirklich schlimmes passiert. Ich habe diese Woche krankheitsbedingt einen wichtigen Termin verpasst, und konnte heute nicht zu Wir Fahren Zusammen. Wirklich wichtig aber ist dies: die Welt wird dunkler werden. Die Kämpfe härter. Und was, wenn ich mal Pech habe, und an ein wirkliches Arschloch gerate, der meine volle Hingabe auf eine für mich höchst schädliche Weise ausnutzt? Aus all diesen Gründen haben Wolf & ich uns gestern für die mind. einjährige Substanzenpause* entschieden.

(*: Gras ist Grundnahrungsmittel)

Say goodbye… that carnival is over

Ich muss schon gestehen, dass mich das auch traurig macht. Ich kombiniere seit 20 Jahren Drogen und Sex. Hatte meine erste Pille auf ner gay pride in Brighton, verbrachte gefühlt zwei Stunden damit auf dem Dancefloor mit einem unglaublich süßen Neuseeländer zu knutschen, bis mich leider eine Freundin (lovely Maria Riikonen, who now rules as a benign anarchist matriarch over a collective in Spain - kiitos, comrade) daran erinnerte, dass meine Freundin im Sinne von Girlfriend mich suchen würde. It was on drugs that I discovered the enormous, glorious joy of feeling a man's cock inside me. Ohne Drogen hätte ich nie all die Schambarrieren durchbrechen können, die ich wegen meiner Familie um meine Sexualität gebaut hatte. Aber diese "Lerneffekte" sind mittlerweile abgefrühstückt, & ich beginne, Angst zu haben davor, wie weit ich gehen könnte, wenn die Antwort ist: I would go all the way to whereever the guy controlling me says.

Denn in Unterwerfung, wie in allem, bin ich sehr extrem, I mean it when I say "I'll do anything you want". Und das geht halt nicht.

Ich brauche mich.

Wolf braucht mich.

#Kolya & Raya brauchen mich.

Und wie mich gestern Genoss*innen erinnerten: die Bewegung auch ein Bisschen.

In dem Sinne: so long, substances. We had fun, but now we must part - maybe just for a long while, maybe forever. Weil: ich habe in druffer, verliebter Unterwerfung tatsächchlich zum 1. Mal in meinem Leben 1 Art religiöse Erfahrung gemacht: ich habe diese Männer vergöttert.

Marx v. religion, und ein Versprechen

Und wenn das stimmt, dann greifen ja jetzt die Waffen der marx'schen Religionskritik aus der Deutschen Ideologie: da steht nicht nur der Satz mit dem Opium "DES Volkes", nicht "für das Volk", da steht auch, dass Religion der Schrei der Unterdrückten Kreatur ist, dass sie im Grunde entsteht, weil wir in einer Welt leben, in der schlechte Dinge passieren, die wir nicht erklären können, und in der wir Angst vor Katastrophen, etc. haben. Dann schaffen wir Menschen uns Götter, in die wir unsere eigene Gattungsmacht (Schöpfung, Wissen, etc,) hineinprojizieren ("entfremden"), und diese Götter, die wir geschaffen haben, treten dann uns gegenüber als strafende, rachsüchtige Gottheiten auf. But they're not real, gods never are. Am Ende können nur wir uns "befreien", nicht irgendwelche fabelhaften Fantasiewesen.

No more chems, mind 1 Jahr, evtl (hoffentlich) länger. Ja, ich brauche Aktivitäten, wo ich mal nicht kämpfe, nicht der bin, der versucht, alles zu bestimen. Aber der Weg über den Chemsex ist mir versperrt, denn er kann jederzeit direkt über die Klippe führen.

Wish me luck.

Euer Tadzio

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