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Je mehr Klimakrise, desto mehr Verdrängung.

10.03.2022

Liebe Leute!

Vergangenes Wochenende haben mein Freund und ich uns nach zwei Jahren chaotischer Beziehung – mit viel Liebe und Wut, viel Sex und zu vielen Drogen, viel zu viel emotionaler und –ich scheue mich, es zu schreiben – auch ganz gelegentlicher physischer Gewalt – es endlich geschafft, uns voneinander zu trennen. Natürlich dauern die kommunikativen Scharmützel (Rückzugsgefechte) noch an, jeder will den „moral high ground“ für sich beanspruchen. So überrascht es ihn etwa, woher all diese Bitterkeit in mir käme. Dabei war all das völlig klar, stand explizit in den Zeilen, auf die er antwortete. Trotzdem konnte er sich dazu nicht verhalten, konnte auf keines der Details eingehen.

Warum, fragt Ihr Euch jetzt vielleicht, steige ich mit einer Sache ein, die augenscheinlich nichts mit dem Klima, mit friedlicher Sabotage, oder mit politischer Strategie zu tun hat, den zentralen Themen dieses Newsletters? Einerseits natürlich, weil Schreiben für mich auch einen therapeutischen Charakter hat, und ich mich kurz auskotzen musste. Aber es gibt dafür auch einen tieferen, analytisch äußerst relevanten Grund – es geht darin nämlich um *Verdrängung*, und diese zu verstehen, wie sie funktioniert, was daraus folgt, wird für die Klima(gerechtigkeits)bewegung immer wichtiger werden.

Texte über Klimakrise und Klimastrategie werden zunehmend ignoriert, wie zum Beispiel der vor zwei Wochen erschienene Bericht des Weltklimarates. Sicherlich hat das Timing des russischen Überfalls auf die Ukraine nicht geholfen, aber muss er in der Tagesschau wirklich erst hinter der Nachricht kommen, dass Russland aus dem Weltfußballverband ausgeschlossen wurde? 

Wohlstandverwahrloste Reaktionen

Ich sprach letzte Woche darüber mit meinem politisch eher mäßig interessiertem o.g. Ex. Der erinnerte mich daran, dass das doch alles schon bekannt ist, daher nicht mehr wirklich Nachrichtenwert hat: wir wissen im Grunde Alle, dass die Klimakrise eine akute, menschengemachte reale Bedrohung für die gesamte Menschheit darstellt und ein enorm ungerechtes Phänomen ist, also diejenigen, die am wenigsten dazu beigetragen haben, am meisten darunter leiden, und umgekehrt.

Aber schon vor der Entstehung der neuen Ostfront war es doch so, dass es keinen positiven Zusammenhang gab zwischen dem Auftauchen neuer Informationen über die Verschärfung der Klimakrise (und der Rolle Deutschlands darin), und der Formulierung und Durchsetzung radikaler Klimaschutzpolitik. Ich würde soweit gehen, zu sagen, dass die teils gewalttätigen, oft wohlstandsverwahrlosten, und fast immer irrationalen Reaktionen auf die wirklich sehr gechillten und low-level Autobahnblockaden der Letzten Generation Indizien dafür sind, dass wir uns auf eine immer irrationalere Klimadebatte zubewegen. Warum? Weil wir, genau wie mein Exfreund, auf die steigende Menge an Klimainformationen nicht im rationalen Modus der „Verantwortung“ reagieren können – im Sinne von: „Was passiert? Wie sind wir daran beteiligt? Was können wir tun, um dies zu ändern? Lasst es uns tun!“ - sondern bloß mit den äußerst irrationalen Affekten der Schuld und vor allem der Scham.

Über Verantwortung, Schuld, Scham und deren Beziehung zueinander habe ich andernorts gesprochen (Opens in a new window), hier ist folgendes wichtig: Schuld und Scham irrationalisieren Subjekte (individuelle, oder kollektive). Je mehr Information auftaucht, die dem Subjekt zeigt, dass es sich nicht so verhält, wie die eigene Ethik es vorschreibt, desto mehr muss diese Information verdrängt werden, zumindest dann, wenn es nicht einfach und ohne große Kosten möglich ist, das eigene Verhalten anzupassen. Wird auf die Information nicht durch Anpassung oder Verdrängung reagiert, folgt die sog. „kognitive Dissonanz“, ein als äußerst unangenehm empfundener Gemütszustand, dem das Subjekt zu entkommen versucht, aber auch daran zerbrechen kann.

Da also weder mein Exfreund, noch die deutsche Mehrheitsgesellschaft, in der Lage waren oder sind, auf die inhaltlich korrekte und (gelegentlich) durchaus ruhig und rational vorgetragene Kritik an ihrem Verhalten durch low-cost Anpassung zu reagieren – in beiden Fällen wegen fundamentaler Strukturen (psychologisch für meinen Ex, sozioökonomisch im Fall der BRD), die sich nicht einfach ändern lassen – müssen sie mit Verdrängung reagieren.

Klimaschutz konterkarriert

Was aber, wenn das verdrängende Subjekt mit Situationen konfrontiert wird, die immer wieder die verdrängte Information in den Fokus der Aufmerksamkeit rücken wollen? Wenn ich also von meinem Ex basale ethische Grundlagen im Verhalten zueinander einfordere und auf Fehler seinerseits verweise; wenn die Klimabewegung Deutschland immer wieder vor Augen hält, dass wir nicht nur „zu wenig“ für den Klimaschutz tun, sondern ihn aktiv konterkarrieren? Dann droht das, was Freud als die „Rückkehr des Verdrängten“ bezeichnet, eine der machtvollsten Figuren in der klassischen Psychoanalyse. Die Rückkehr des Verdrängten würde eine Wucht, eine Kraft entfachen, die das verdrängende Subjekt hinwegfegen, zerstören, zumindest handlungsunfähig machen könnte.

Um das zu vermeiden, wird das Subjekt die Quelle der Rückkehr des Verdrängten (in den benutzten Beispielen: mein Ex mich, Deutschland die Klimagerechtigkeitsbewegung) zuerst versuchen, zu ignorieren, bald aber schon mit äußerster Brutalität und postfaktischer Irrationalität bekämpfen. Siehe wieder die Reaktionen auf die Autobahnblockaden, und Beziehungskonflikte, deren Details Euch die Haare zu Berge stehen lassen würden. Zusammengefasst bedeutet dies, dass die eskalierende Klimakrise eben genau zu der Radikalisierung der Ignoranz und später Brutalität führen muss, von der ich im „grüne RAF (Opens in a new window)“-Interview sprach. Je mehr Klimakrise, desto mehr Verdrängung. Je mehr Verdrängung, desto mehr Aktivismus, desto mehr Drohung der „Rückkehr des Verdrängten“, desto mehr Irrationalität und Brutalität.

Das könnte bedeuten: Wir steuern auf eine immer irrationalere und brutalare geführte Klimadebatte zu. Ich glaube, dass noch kein Akteur der Klimabewegung diese Tatsache wirklich reflektiert, und in die eigenen Strategien eingebaut hat. Ich hoffe, wir können das tun. Denn wir wollen das Schlachtfeld nicht so blutig verlassen, wie ich aus dieser Drecksbeziehung gerade herauskrieche. Aber wie gegen einen irrationalen und brutalen Gegner gewinnen, wenn man selbst immer fair play macht?+++ Schaut in die USA, schaut auf Trumpism. Und schaut in Eure alltäglichen Beziehungskonflikte. Ihr werdet sehen: Irrationalität, Schuld, Scham, all dies sind viel wichtigere (politische) Produktivkräfte, als wir bisher denken.

Thank you for your time. And maybe thank you for your money.

Tadzio

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