What do we want? DISASTER JUSTICE! When do we want it? NOW!

Source: ideogram.ai (Opens in a new window)
28/05/2025
Liebe Leute,
zuerst mal eine kleine Präambel: Ihr werdet gemerkt haben, dass die Qualität meiner Texte in den letzten Wochen etwas unter meiner leicht manischen Fokussierung auf die Orga des Kollapscamp (Opens in a new window) gelitten hat, und dafür wollte ich Euch einerseits um Entschuldigung bitten, Euch aber auch dafür danken, dass Ihr das möglich gemacht habt. “Ihr” meint dabei die von Euch, die so gütig sind, meinen Blog finanziell zu unterstützen. Der Satz, der immer in meinen Texten steht, dass ich “den Großteil meiner politischen Arbeit über diesen Blog finanziere”, der ist ja ernst gemeint, und in den letzten Monaten habt Ihr dankenswerterweise meine fast-Vollzeit-Arbeit am Camp ermöglicht. Dafür ein großes und aufrichtiges Dankeschön, und das Versprechen, jetzt auch wieder mit der inhaltlichen Arbeit anzufangen, entlang der Forschungslinie: wie sollte linke, humanistische, progressive Politik in Kollaps und Katastrophe aussehen, mit einem besonderen Fokus darauf, kritisch davon zu lernen, wie sich rechte und faschistische Akteure jetzt schon auf diese Situationen vorbereiten.
1.5 is not alive – it's dead as a dodo.
Dass die Zukunft tatsächlich und mit absoluter Sicherheit immer katastrophaler wird, und dass es lohnt, sich irgendwie darauf vorzubereiten, um diese Einsicht kommt derzeit nicht einmal unsere Verdrängungsgesellschaft herum, zu thick and fast kommen die Horrormeldungen von Krieg, Faschismus und Klimakollaps.
Heute morgen zum Beispiel lese ich in der FT (Opens in a new window) folgendes: “Die globale Durchschnittstemperatur wird in den nächsten fünf Jahren auf fast 2°C über dem vorindustriellen Niveau ansteigen, sagt die World Meteorological Organization (WMO).” D.h., dass schon bis Ende des Jahrzehnts über ein Drittel der Weltbevölkerung extremer, also potenziell direkt tödlicher Hitze (Opens in a new window) ausgesetzt sein wird, außerdem werden Ernteerträge around the world negativ betroffen sein. Ko Barrett von der WMO: “die negativen Auswirkungen auf unsere Volkswirtschaften, unser tägliches Leben, unsere Ökosysteme und unseren Planeten werden zunehmen.”
Plötzlich reden alle vom Preppen!
Und in dieser Situation, in der das Scheitern des Klimaschutzes als politisches Projekt und der eskalierende Klimakollaps immer offensichtlicher werden, findet es die Verdrängungsgesellschaft offensichtlich beruhigend, über ein anderes Klimapolitikfeld zu reden, nämlich über “Klimaanpassung”, also über ein Feld, in dem man bisher noch nicht gescheitert ist, weil man es ja noch gar nicht wirklich versucht hat (dass es in vielerlei Hinsicht auch für Klimaanpassung viel zu spät ist, dass man also auch dort schon weitgehend gescheitert ist, ist hier nicht wichtig, weil es ja nicht um materielle Tatsachen geht, sondern darum, sich nicht schlecht fühlen zu müssen).
Oder etwas knapper formuliert: plötzlich reden scheinbar alle vom “Preppen”. Hier ein paar ziemlich zufällig ausgewählte Beispiel aus den letzten zehn Tagen:
in der SZ steht heute morgen ein Gespräch mit meinem häufig erwähnten Freund Pär Plüschke (Opens in a new window) aus Stockholm, von dem ich diese ganze “Die Katastrophe ist ein politischer/strategischer Raum, in dem es für uns Linke wichtiges zu holen gibt”-Story erst gelernt habe. Hier der Teaser des Artikels: “Preppen? Das ist doch was für Fanatiker und Einzelkämpfer. In Schweden und Finnland sieht man das ganz anders: Stark in Krisen ist man gemeinsam. Gespräche mit Menschen, die Vorsorge als solidarisches Prinzip verstehen.” (Extrabonus: über dem Artikel steht ein Foto von Pär, looking exceedingly handsome :))
vor acht Tagen stand im Guardian ein langer Artikel darüber, wie die ehedem mit Rechten assoziierte Praxis des “Preppings” langsam “mainstream” wird (Opens in a new window): “Früher war es etwas für Paranoiker, sich auf die Apokalypse vorzubereiten. Jetzt, angesichts von Cyberangriffen, Klimazusammenbrüchen und nuklearen Bedrohungen, empfiehlt die britische Regierung dies. Sollte jede*r ein Survival-Kit haben?”
wieder heute, in der FT (Opens in a new window): “Brüssel wird die EU-Länder auffordern, den Wasserverbrauch bis 2030 um mindestens 10% zu senken, da die EU mit längeren und häufigeren Dürreperioden konfrontiert ist. Der Plan markiert das erste Mal, dass die Europäische Kommission ein Ziel für die Wassereffizienz festlegt und signalisiert die Sorge über die schwindenden Grundwasserreserven der EU.” Oder auch: “EU Kommission preppt für die kommende Wasserkrise.”
im Scientific American (Opens in a new window): “Top Wall Street Institutionen bereiten sich auf eine Zukunft der globalen Erwärmung vor, die die vor einem Jahrzehnt von mehr als 190 Nationen vereinbarten Temperaturgrenzwerte sprengt.” Banken preppen für den Kollaps.
wieder im Guardian (Opens in a new window): “US Bundesrichter*innen diskutieren einen Vorschlag, der das für ihre Sicherheit zuständige bewaffnete Sicherheitspersonal vom Justizministerium abziehen und unter ihre eigene Kontrolle stellen würde, da die Befürchtungen zunehmen, dass die Trump-Administration sie nicht ausreichend schützt.” Sprich, die US Judikative beginnt, für einen faschistischen Selbstputsch der Exekutive gegen die Judikative zu preppen.
letztes Beispiel, zurück in Deutschland, aus der taz (Opens in a new window): “Nudeln, Klopapier, Konserven: Wer beim Wort 'Vorrat' nur an Prepper denkt, irrt. Denn ein bisschen Hamstern hilft bei geopolitischen wie persönlichen Krisen.”
Ich könnte jetzt noch endlos weitere Beispiele dieses seit kürzlich explodierenden Preppingdiskurses bringen (z.B. hier (Opens in a new window), hier (Opens in a new window) und hier (Opens in a new window)), würde aber lieber die These “alle reden vom Preppen!” vorläufig als bestätigt betrachten, und mich dem nächsten Teil des Arguments widmen.
Aber preppt tatsächlich irgendjemand?
Denn während zwar immer mehr übers Preppen geredet wird, hege ich den starken Verdacht, dass übers Preppen reden ähnlich viel materiellen Effekt haben wird, wie übers Klima zu reden, dass institutionelle und gesetzliche Vorgaben für die Klimaanpassung / gesellschaftliches Prepping ung. die Funktion politischer Klimaziele haben werden: die werden formuliert, dann werden wir alle ganz stolz auf uns sein, und glauben, dass wir das unabwendbare Problem von Katastrophen, auf die wir nicht vorbereitet sind, abgewendet haben; dann werden wir die Ziele und Vorgaben um ein weites verfehlen, und dann werden wieder die aufs Maul kriegen, die darauf hinweisen, dass wir es nach der Klimagerechtigkeit jetzt auch mit der Katastrophengerechtigkeit vermasseln.
Warum wird das so sein? Wegen der Verdrängung natürlich, weil sich auf eine von unserer Produktions- und Lebensweise verursachten Katastrophe vorbereiten leider auch die Einsicht impliziert, dass man am Vermeiden der Katastrophe gescheitert ist, deswegen das viele Reden darüber, aber “darüber Reden” ist nicht das selbe, wie sich damit auseinanderzusetzen, und schon gar nicht das selbe, wie “selbst etwas lernen/verändern”.
Basically, um wirklich effektiv zu “Preppen”, müsste die Gesellschaft wieder “Resilienz” lernen, und das würde bedeuten, alle möglichen Strukturen zu verändern, die zumindest in den letzten 35 Jahren, im globalisierten just in time-Kapitalismus aufgebaut wurden. Eine resiliente Gesellschaft wird zum Beispiel nicht in der Lage sein, fast überall in der reichen Welt “next day delivery” anzubieten, und daran haben wir uns halt schon ziemlich gewöhnt, außerdem löst es die übliche Schuldschleife aus: wir wissen ja, dass ein Kapitalismus, der jedes Konsumgut schon am nächsten Tag per unterbezahltem Paketboten liefern kann, diese Leistung nicht ohne gesellschaftliche und ökologische Hyperausbeutung organisiert kriegt, und wir mögen den Massenproduktions-und-home-delivery-Kapitalismus dann doch zu sehr, war er doch in 35 Jahren Neoliberalismus das einzige, was ein Glücksversprechen beinhaltete: mehr billigen Konsum für allle! Und das einfach wegzupreppen wäre, wie gesagt, megateuer, würde aber auch bedeuten, dass kein Glück mehr möglich ist (um mal im Rahmen kapitalistischer Glücksversprechen zu bleiben, weil die nichtkapitalistischen leider nicht realpolitisch relevant sind). Das meine ich mit “den mögen wir dann doch zu sehr”.
Ich sage natürlich nicht, dass niemand preppt. Ich sage stattdessen, dass die plötzliche Explosion des Redens übers Preppen weniger mit echten Plänen zu tun hat, jetzt endlich wirklich rationale und solidarische Katastrophenvorbereitung an den Start zu bringen, als damit, sich ob der unaufhaltsamen und in vielen Fällen schon sehr nahen Multikatastrophen nicht so wahnsinnig unvorbereitet zu fühlen.
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Ich finanziere meine politische Arbeit vor allem über diesen Blog, und wäre dankbar für Deine Unterstützung
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Ja: die Faschos preppen, und zwar seit Jahrzehnten
Also, bisher preppen weder die Linken, noch die Mitte, und während beide von denen das gerne darauf schieben, dass “Prepping” ja bisher so rechtsradikal konnotiert sei (vgl. die Beispiele zum Prepping-Diskurs, von denen die Hälfte mit einer Variation auf “Bisher dachten wir, dass nur durchgeknallte Nazis preppen, aber vielleicht ist die Realität etwas komplizierter” anfangen), ist das natürlich totaler Quatsch: es wird nicht nicht gepreppt, weil Nazis das auch tun, denn die Nazis sind nicht schuld daran, dass wir uns nicht auf Katastrophen vorbereitet haben, die mit Sicherheit auf uns zukommen; es wird nicht gepreppt, weil wir das bisher einfach verdrängt haben (ich nehme die Faschos ja nur ungern in Schutz, aber so scheiße sie auch sind, sind sie nicht an unserer Deppertheit schuld).
Und die Rechten, was machen die? Erstens machen die offensichtlich den ganzen individuellen Prepping-Kram, soviel wissen wir schon. Darüber hinaus verdrängen die Rechten natürlich auch, die verdrängen, dass die vielen Katastrophen, die auf uns zukommen (oder schon über uns hineingebrochen sind), das Resultat unserer fossilkapitalistischen Produktions- und Lebensweise sind, sondern schieben die “Schuld” für all den Scheiß entweder der “Diversity” in die Schuhe, oder es waren natürlich Migrant*innen schuld. Der erste Teil des Angebots, den wir auch aus zentristischen und linken Verdrängungsdiskursen kennen, ist also Entschuldung und Entschämung, im Sinne von: ja, da passiert scheiße, aber das ist keine klimawandelbedingte Extremwetterkatastrophe, sondern “god's wrath”, wo LA brennt, weil, I dunno, in Hollywood zu viele Schwuchteln rumvögeln, oder so ähnlich.
Abgesehen vom hasserfüllten Quatsch labern gibt es aber auch einen praktischen Teil der rechten Kollapspolitik: Trump II dezimiert derzeit FEMA, die größte Katastrophenhilfe-Institution des Landes, feuert Mitarbeiter*innen in Institutionen, die Daten über Hitze am Arbeitsplatz erheben, und zerstört immer mehr die Arbeitsfähigkeit klimatischer und meteorologischer Institutionen. In den Worten von Samantha Montano, Chef-Disasterologin und Autorin meines potenziellen neuen Lieblingsbuches Disasterology (Opens in a new window): “Die Zahl der Todesopfer bei Katastrophen wie Wirbelstürmen, Tornados und Wasserverschmutzung wird in den USA steigen, wenn Trump die Massenentlassungen und Mittelkürzungen bei wichtigen Behörden nicht rückgängig macht. Dazu gehört die Federal Emergency Management Agency (Fema), deren Arbeit stark von der National Oceanic and Atmospheric Administration (Noaa) abhängt, die ebenfalls abgebaut wird.”
Das bedeutet, dass die Rechten ganz bewusst in einer Katastrophe – übrigens bezieht sich das auch auf die Teile des Landes, in denen MAGA dominiert – sowohl institutionelle als auch kollektive Ressourcen und Fähigkeiten attackieren, anderen in einer Katastrophe zu helfen. Da in einer Katastrophe Menschen auf Unterstützung und Hilfe angewiesen sind, und dieses Bedürfnis meist negativ mit Reichtum und Einkommen korrelliert – je ärmer, desto ausgelieferter – ist rechte Katastrophenpolitik darauf ausgelegt, die Katastrophenungerechtigkeit zu erhöhen, und die Verrohung der Gesellschaft voranzutreiben.
Die Strategie dahinter scheint zu sein, dass eine Situation, in der niemand niemandem hilft das rechte Weltbild bestätigt, und damit eine Art durch Traumata oder zumindest Hochstresssituationen angetrieben neurechte Subjektivierung in der Katastrophe ermöglicht. Genau so, wie die Neoliberalen seit 45 Jahren versuchen, eine Gesellschaft zu bauen (= die Gesellschaft derart zu zerstören), die ihrem “there is no such thing as society”-Anspruch entspricht, wollen die Rechten jetzt eine Welt bauen, die ihrem Weltbild entspricht: alles geht kaputt, niemand hilft niemandem, alle kämpfen immer gegen alle. Die Wucht so einer Erfahrung sollte niemand unterschätzen, wir können uns alle vermutlich noch daran erinnern, wie sehr die Katastrophenerfahrung von Corona die Gesellschaft durchgeschüttelt hat, und dies teilweise immer noch tut.
Katastrophengerechtigkeit jetzt!
Wenn also die rechte Katastrophenpolitik den Moment der Katastrophe als politischen Raum derartig ernst nimmt – eine Tatsache, auf die uns auch schon Naomi Klein in The Shock Doctrine: The Rise of Disaster Capitalism (Opens in a new window)hingewiesen hat – dann muss unsere Strategie diesen Moment genau so ernst nehmen, ihn aber anders... nutzen? Klingt merkwürdig, aber das abstraktere “politisch artikulieren” könnte etwas unverständlich sein: wir müssen in Katastrophenmomenten so aufgestellt sein, dass Menschen eben gerade nicht das erleben, was die Rechten wollen – Einsamkeit, Angst, Verzweiflung – sondern Solidarität, Handlungsfähigkeit und gemeinsame Freude im Helfen und im Wiederaufbauen und im Aufbauen einer neuen Welt aus der Katastrophe der alten. Wir müssen von einer Bewegung für Klimagerechtigkeit zu einer Bewegung für Katastrophengerechtigkeit werden, und wie das gehen kann, das möchte ich in den kommenden Monaten besser verstehen. Klar, die Arbeit am Kollapscamp wird die nächsten Wochen nicht weniger werden, aber das Camp soll ja ein Anfang sein, kein Ende: wie geht's nach dem Kollapscamp weiter, von wem können/müssen wir lernen, und wie sieht Katastrophengerechtigkeit im Kollaps konkret eigentlich aus?
Mehr kann ich derzeit noch nicht liefern, wie gesagt: das hier ist jetzt erstmal die Forschungsagenda für die nächsten Wochen und Monate.
Mit disasterologischen Grüßen,
Euer Tadzio