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Hallo und Willkommen!

Ich schreibe einen Roman als Newsletter und ihr könnt, wenn ihr mögt, dabei sein. Ich bin aufgeregt, sehr gespannt und freue mich über jede Person, die dieses Abenteuer mit mir zusammen angeht. 

Der Plan ist ein Jahr lang jede Woche ein Kapitel zu schreiben, mit wenigen Ausnahmen. Den Ausgangspunkt habt ihr hier vor euch liegen, weiter geht es dann Freitag in einer Woche. Abonniert gerne den Newsletter, um kein Kapitel zu verpassen. 

Freuen tue ich mich natürlich auch über finanzielle Unterstützung, wenn ihr könnt und mögt. In dem Fall bekommt ihr jede Woche das aktuelle Kapitel von mir eingelesen und könnt das ganze entspannt als Hörbuch/Podcast konsumieren. Als kleine Kostprobe ist die erste "Folge" für alle verfügbar. 

Wer nur Lesen möchte kann das Projekt natürlich auch gerne trotzdem unterstützen, die Textversion des Romans wird aber für alle kostenlos zur Verfügung stehen. Zum Abonnieren und/oder Unterstützen hier entlang:

So, jetzt aber los. Hoffentlich viel Spaß und im besten Fall bis nächste Woche <3

Lukas

Komisch war vor allem, wie einfach es dann war. Wie schnell aus nervöser Anspannung Routine wurde. Die Reichen hier, die haben nichts erlebt. Die haben so ein komisches Urvertrauen, so ein abstraktes Gefühl von Sicherheit. Die haben keine Angst. Oder besser: andere Angst. Die halten in der Straßenbahn ihre Taschen fester, wenn sich eine Person neben sie setzt, die eine andere Hautfarbe hat als sie. Aber am Wochenende, in ihren Einfamilienhaussiedlungen, in ihren Vororten, sind die Garagentüren nicht abgeschlossen. Da stehen die 2000 Euro Fahrräder ohne Schlössern an Obstbäumen, sind die Balkontüren nur angelehnt oder ganz offen. Da wehen weiße Gardinen in der lauen Luft und über die kurz geschorenen Rasenflächen. Da sind die fehl gezüchteten Hunde satt und müde.

Du hast einen Cellokoffer auf dem Rücken und die Haare hochgebunden. Weiße Bluse, Anzughose, schlichte schwarze Schuhe. Der Cellokoffer sieht wahnsinnig echt aus, weil er echt ist. Weil heute ein Cello drin ist. Heute wird nur ausgekundschaftet. Vielleicht war das das Schwierigste an der ganzen Sache gewesen; eine gute Cellospielerin mit ausgeprägter krimineller Energie zu finden. Keine zwei Monate ist das her. 

"Jetzt brauchen wir nur noch einen kriminellen Pianisten", habe ich gesagt, nachdem ich dir meinen Plan offenbart hatte und du begeistert warst, und du hast nur gelächelt, und mich dann korrigiert: "Eigentlich brauchen wir nur einen Pianisten." Daran erkennt man die wirklich guten Kriminellen. Wieso durch drei teilen, was man auch durch zwei teilen kann.

Wir sind ein Trio, auf unserer Visitenkarte steht "make your party classy" wir spielen auf den privaten Wein-Käse-Kultur-Orgien der Reichen klassische Musik. Der Unterschied zwischen uns und Benno, unserem Pianisten: Er verdient pro Auftritt ein Drittel von den Krumen, die uns die selbst ernannte Kulturelite zuwirft, wenn wir für sie die gut dressierten Gaukler spielen. Er ist damit zufrieden, er macht es für die Kunst. Er denkt noch, er wird irgendwann einmal zu ihnen gehören. In unserem Trio bekommen wir auch jeweils ein Drittel, nur sind wir nebenbei auch noch ein Duo. Im Duo verdient sich's besser. Im Duo verdienen wir alles, was wir bei den Comeback-Touren, wie wir sie nennen, aus den hässlich eingerichteten Villen heraustragen. Schmuck, Bargeld, Memorabilia, Uhren, auch mal ein iPad, wenn wir uns nicht ganz so altmodisch fühlen. In einen Cellokoffer passt so einiges rein, wenn kein Cello drin ist. Ganze Familiengeschichten haben wir in diesem Cellokoffer schon durch die Stadt getragen.

Als wir ankommen, ist Benno schon da, geht mit den Gastgebern die Stichpunkte auf seinem Klemmbrett durch: Wo können wir unsere Sachen ablegen, wo uns zum Aufwärmen zurückziehen? Wie viele Leute werden erwartet, gibt es genug Stühle, wo ist die Toilette? Wann beginnt der Abend und wann sollen wir spielen? Zweimal 25 Minuten oder 50 Minuten am Stück?

Die meisten Fragen dienen nur dazu, die aufgeregten Gastgeber:innen zu beruhigen. So eine sommerliche Party schmeißt man ja nicht zum Spaß. Hier soll und wird gesellschaftlicher Status zementiert werden. Da sind viele leicht zu beantwortende Fragen genau das Richtige, um sich komplett in Kontrolle zu fühlen. Die Checkliste war Bennos Idee, nachdem einem Gastgeber die Nerven mal so blank gelegen hatten, dass er wegen einer heruntergefallenen Rotweinflasche fast das komplette Fest abgesagt hatte. Seitdem also das Klemmbrett. Wunderbares Klemmbrett. Ab einem gewissen Einkommen wirkt ein gepflegter junger Mann mit so einem Ding besser als jedes Beruhigungsmittel. Seitdem wir das Klemmbrett haben, ist es fast zu einfach.

"Am liebsten würden wir uns dann nach dem Essen, vor dem Nachtisch, zurückziehen, und, wenn es geht, durch die Haustür auftreten", sage ich.

"Natürlich, ich habe mit ihrem Kollegen schon alles besprochen und ihm gezeigt, wo der Schlüssel versteckt ist", sagt die Gastgeberin, "also der, Benno heißt er?, der ist ja wirklich zauberhaft."

"Ja", sage ich und lächle, "warten sie erstmal ab, bis sie ihn spielen hören."

"Wir sind schon ganz gespannt", sagt sie.

"Brauchen sie sonst noch was?", fragt der Gastgeber.

"Eine Flasche Wasser wäre wundervoll", sage ich. Nicht weil wir sie brauchen, sondern weil die Reichen nichts mehr lieben als mit wenig bis keinem Aufwand gönnerhaft zu erscheinen.

"Natürlich, sofort", sagen beide und strahlen.

Mit einer Flasche Apollinaris Classic unter meinem Arm, die ich später ins Klo kippen werde, finde ich dich in unserem Aufwärmzimmer gelangweilt bei ein paar Fingerübungen. Es ist so ein Zimmer, wie es auch nur die Reichen haben. Ohne Funktion. Ein Schrank und eine Holztruhe drin, damit es nicht komplett leer ist, ansonsten nichts. Ein Stuhl, der vermutlich extra hier reingetragen wurde, auf dem du jetzt sitzt.

"Schlüssel?", fragst du nur.

"Jep", sage ich und wir lachen beide, dann gehen wir unsere Wetteinsätze durch.

Ich setze fünf Euro, dass der Gastgeber ein unmögliches Sakko anhaben wird, du setzt zehn darauf, dass die beiden irgendwo so ein Glas voller 50-Euro-Scheine im Schrank stehen haben. Von mir noch mal fünf, dass ich die Gastgeberin mit meinem letzten Lied zum Weinen bringen kann. "An die Entfernte" Text von Goethe, Musik von Schubert. Nichts leichter als das.

So hab ich wirklich dich verloren, 

Bist du, o Schöne, mir entflohn? 

Noch klingt in den gewohnten Ohren 

Ein jedes Wort, ein jeder Ton.

Wenn ich will, dass die Leute weinen, stelle ich mir einfach vor, du wärst nicht mehr da.

Noch mal zehn Euro Wetteinsatz auf das Versteck des Ersatzschlüssels. Du setzt auf den Klassiker: der hohle Stein. Ich sage alte Filmdose in einem der Blumentöpfe. Später wirst du diese zehn Euro gewonnen haben.

Aber erstmal Aufwärmen, Händeschütteln, Abendessen. "Ist ja interessant." "Toll, wenn sich junge Leute für Kunst begeistern." "Kann man davon leben?" "Ich habe früher ja auch gesungen, Cello gespielt, Klavier gespielt …"

Wenn die Gespräche nicht wären, hätten wir den besten Job der Welt, du und ich. Aber das Motto ist Kundenakquise, wer eine Perlenkette oder teuren Anzug trägt wird mit dem sprichwörtlichen Honig beschmiert. "Wir schätzen es einfach unglaublich, dass wir bei so tollen Leuten in so einem tollen Rahmen auftreten dürfen." "Es ist so schön, wenn klassische Musik heutzutage noch so geschätzt wird, das gibt es ja immer seltener." "Wir spielen überall gerne, wo ein Klavier vor Ort ist, oder, noch besser natürlich, ein Flügel." "Hier haben sie unsere Visitenkarte, rufen sie doch einfach mal an."

Kurz bevor wir uns für die Auftrittsvorbereitung zurückziehen, überhöre ich die Gastgeberin, wie sie begeistert erzählt, dass der Weißwein aus einem kleinen Anbaugebiet in der Nähe kommt, wo die Winzer mit den einzelnen Rebstöcken reden. Man kann es sich nicht ausdenken, wofür diese Leute ihr Geld ausgeben. Ich nehme mir vor den Wein nachher überschwänglich zu loben, dann bekommt man meistens noch ein, zwei Flaschen geschenkt. Besoffen wird man ja unabhängig davon, ob jemand mit der Pflanze gesprochen hat oder nicht.

Heute spielen wir zweimal 25 Minuten, so mag ich es am liebsten. Die erste Hälfte gefüllt mit spezifischen Wünschen des Gastgeberpaares. Nichts Besonderes, wir geben uns wenig Mühe, niemand erinnert sich später an die erste Hälfte. Dann Nachtisch: Sternanis-Schokoladen-Mousse mit Passionsfruchtcreme und Schokocrumble. Ich lehne dankend ab, muss ja noch singen. "Ganz schlecht für die Stimme, leider, aber es sieht ganz toll aus, wirklich."

Wir beziehen wieder unsere Position neben dem Flügel, vor dem Panoramafenster. Weiche Teppiche, weiches Licht, hässliche Mitbringsel von diversen Weltreisen, Fotos von Kindern, die alle so aussehen, als hätte man sie direkt mit dem Rahmen gekauft. Wir schauen in die zufriedenen Gesichter. Satt, angeheitert. In den Wohnzimmern der Reichen ist die Welt noch in Ordnung. Hier tickt nicht mal die Wanduhr. Extra ausgeschaltet, damit wirklich nichts stört. Freudige Euphorie durchströmt meinen ganzen Körper. Wanderlied von Schumann, Opus 35. Ich hasse dieses Lied, aber du hast gesagt, es wäre an der Stelle perfekt und du hast recht.

Wohlauf, noch getrunken Den funkelnden Wein! 

Ade nun, ihr Lieben! Geschieden muss sein.

 Ade nun, ihr Berge, Du väterlich Haus! 

Es treibt in die Ferne Mich mächtig hinaus.

Wenn ich könnte, würde ich ihnen noch heute alles nehmen. Sie haben lange genug alles gehabt. Geduld ist bitter, aber ihre Früchte sind süß, I guess.

Das Lied hat den nötigen Schwung, um die Leute aus ihrer essensbedingten Starre zur Aufmerksamkeit zu zwingen, nur um dann direkt in die Melancholie zu kippen, und damit dem Schubert den Weg zu bereiten. In so einen Schubert muss man sich richtig reinknien, sonst klappt das nicht.

Die perfekte Mischung aus Goethe, Sauerstoffmangel und Bennos vorsichtigem, fast hoffnungsvollen Klavieranschlag. Manchmal kann ich es kaum glauben, dass er für sein Drittel an diesen Flügeln sitzt. Ehrliche Künstler:innen machen mich traurig.

So dringet ängstlich hin und wieder 

Durch Feld und Busch und Wald mein Blick; 

Dich rufen alle meine Lieder; 

O komm, Geliebte, mir zurück!

Wie kann irgendwer auf dieser Welt singen und es ernst meinen?

Spannung halten, Spannung halten, an guten Abenden ein bisschen zusätzliche Flüssigkeit in die Augen blinzeln. Dann die ganz leichte Verbeugung nach vorne, die den Zuschauer:innen signalisiert, dass geklatscht werden darf, dass in Taschentücher geschnäuzt werden darf, dass "Toll!" geflüstert werden darf. Ich gebe noch eine Viertelverbeugung in den Applaus und gehe ab. Die Wohnzimmertür schließt sich sanft hinter mir und ich kann leise dein Cello durch die Türritzen hören. Beethovens Cellosonate No. 3 in A-Dur. Drei Sätze (Allegro, ma non tanto 2. Scherzo. Allegro molto und dann Adagio cantabile & Allegro vivace.) Drei herrliche Sätze, insgesamt 19 Minuten. 19 Minuten, in denen mich niemand vermisst. Ich mache einen Tanzschritt in das angrenzende Arbeitszimmer hinein und ziehe die sterilen Handschuhe aus der Innentasche meines Fracks.

Ein langes Etwas, halb Schrank, halb Regal, mit unsäglichen Schiebetüren aus Glas schmückt, im rechten Winkel zu einem großen, alten Schreibtisch, die Wand. Neben ein paar schlau aussehenden Büchern steht so ein tönerner Bierkrug mit Zinndeckel auf einem Regalbrett. Man braucht eigentlich nicht mal reinzuschauen, um zu wissen, dass hier das Fünfziger-Versteck ist. Ich gucke trotzdem. 600 Euro in bar, davon hätte ich in schlechteren Zeiten zwei Monate leben können. Ich stelle den Krug zurück. Falls unser Gastgeberpärchen zufrieden ist, kriegen wir davon einen oder zwei als Trinkgeld. Wenn man vorhat, den Rest in naher Zukunft zu stehlen, dann nimmt man die Trinkgeldhöhe gelassen hin.

Im Schreibtisch viel Papierkram, nichts Besonderes. Ein hübscher Brieföffner wirkt fehl am Platz, weil der Rest der Einrichtung so hässlich ist. Ganz schlicht, ich freue mich darauf, ihn bald mitzunehmen. Ich schaue durch die Schränke. Alles an dem Haus erweckt den Eindruck, dass irgendwo noch fette Beute wartet. Nicht unbedingt ein Safe hinter einem Bild, so was gibt es nur bei Leuten mit Dreck am Stecken, aber irgendwas.

Im Flur nichts, in der Küche Häppchen, Käseplatten und teurer Wein. Ein alter Küchenschrank, Stil altes Bauernhaus, mit Spiegel in der Mitte und dem guten Porzellan. Hinter den Tellerstapeln und Saucieren kleine Pappschachteln. Ich fische eine hervor. Es sind Goldlöffel, aber die billigen. Silber, vergoldet. Schade. Wir werden sie trotzdem mitnehmen, einfach nur, weil wir es können und es wahrscheinlich Erbstücke sind.

Die Treppe nach oben knarzt. Ich warte also auf die laute Stelle am Ende des zweiten Satzes, bevor ich hochgehe. Teuer aussehendes Bild im Schlafzimmer. Ich mache ein Foto davon. Etwas Schmuck auf einer Kommode. So angerichtet, dass man alles in einem Schwung in eine Plastiktüte wischen kann, wenn die Zeit gekommen ist. Ein altes Kinderzimmer, noch komplett eingerichtet. Warenwert ungefähr nichts, aber falls die Gastgeber später widerlich sind, werden wir hier nächstes Mal alles kaputt schlagen. Hat den Vorteil, dass die Kripo dann davon ausgeht, dass es was Persönliches war.

Benno und du starten unten in den letzten Satz und ich in das letzte Zimmer. Bingo. Eine Vitrine mit teuer aussehendem Schmuck. Wie im Museum ausgestellt, aber abgeschlossen. In so einem Fall sucht man das Objekt mit den meisten Schubladen im Raum, dann Luftlinie die nächste Schublade zur Vitrine und arbeitet sich von da vor. Ansonsten oben auf den Schränken. In der dritten Schublade noch mal Bargeld, in der fünften der Schlüssel. Als könnte der Abend nicht noch besser werden, liegt auf dem Schreibtisch die Buchungsbestätigung für eine Reise. Zwei Personen, eine Kreuzfahrt. Wie romantisch. Ich mache auch davon ein Foto, wäre doch gelacht, wenn sich da kein Termin finden lässt.

Das soll genügen, ich muss die Treppe runter, bevor Beethoven fertig ist. Handschuhe in die Tasche des Fracks, zurück an die Tür. Warten auf Applaus. Wieder raus, verbeugen. In einem 2 Millionen Euro Haus nehmen wir einen zwei Euro Blumenstrauß und einen Umschlag mit 300 Euro entgegen. "Es war wirklich ganz wundervoll, wirklich ganz, ganz toll." "Fantastisch, ganz fantastisch." "Sie müssen auch mal zu uns kommen." "Vielen lieben Dank." Kein Trinkgeld. Ich zwinkere dir zu.

Weil ich gut gelaunt bin, bekommt Benno eine der sündhaft teuren Weißweinflaschen zu seinen hundert Euro dazu. Die andere trinken wir auf dem Weg nach Hause.

"Glaubst du, wenn wir reich wären, wären wir auch so wie die?", sagst du und trinkst direkt aus der Flasche.

"Keine Ahnung", sage ich, "keine Ahnung, aber ich hoffe nicht."