«Junge Tat»: Was ist eigentlich mit den Frauen?
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Sie gebären fleissig, tragen Flechtfrisuren, die Antibabypille ist für sie «Gift». An den Frauen der «Jungen Tat» zeigt sich das völkische Weltbild der rechtsextremen Gruppierung deutlich.
Die Schweizer Neonazigruppe «Junge Tat» inszeniert sich auf ihren Kanälen sportlich und kämpferisch. Männer nach dem Geschmack von Selina Dienemann. Sie bilden den «Kontrast zur Weiblichkeit», der «wahre Männlichkeit» ausmache, so Dienemann in einem Social-Media-Video.
Diese wahre Männlichkeit gebe es heute zu wenig, heutige, «von links bearbeitete Männer» seien «zerbrechlich und schwach», findet Dienemann. Das zeige sich auch daran, dass Männer heute nicht mehr Kathedralen bauen und über Europa herrschen würden. Und wer mit einem linken Mann zusammen sei, könne ja auch grad so gut mit einer Frau zusammen sein, so Dienemann.
Dienemann ist Aktivistin und Aushängeschild der Jungen Tat. Sie postet Videos zu selbstgemachter Kräuterbutter, zu Aktionen der Jungen Tat oder mit antifeministischen Meinungsbeiträgen. Dienemann will den Kontrast der Weiblichkeit zeigen. Aber wenn sie Flechtfrisuren oder schöne Kleider trage – wie es völkische Frauen tun – , werde sie direkt als Nazi verschrien, sagt sie. Auf eine Anfrage von FLIMMER.MEDIA hat Dienemann nicht reagiert.
Internationale Vernetzung
Traditionelle und «natürliche» Geschlechter- und Familienbilder – und damit die «gesunde Gesellschaft» – würden zu Grunde gerichtet. Europa sterbe aus. Gewalt gegen Frauen sei importiert. Das sind Kernbotschaften von rechten bis rechtsextremen Influencerinnen aus dem Umfeld der Identitären Bewegung, zu der auch die Junge Tat gehört.
«Lukreta» heisst die derzeit prominenteste Gruppierung solcher Aktivistinnen und Influencerinnen im deutschsprachigen Raum. Eine der zentralsten Figuren von «Lukreta» ist Reinhild Bossdorf, Tochter einer völkischen AfD-Politikerin. Sie vernetzt Gleichgesinnte international. Kürzlich sprach sie beispielsweise an einem Kongress der spanischen Identitären Bewegung.
Im Februar 2024 hielt sie für die Junge Tat einen Vortrag in der Schweiz, im März 2024 fand der «Dritte internationale Frauenkongress» der EU-Parlamentsfraktion «Identität und Demokratie» (aus der die AfD kurz darauf ausgeschlossen wurde, weil sich der EU-Wahl-Spitzenkandidat Maximilian Krah der in einem Interview verharmlosend über die nationalsozialistische SS äusserte und einer seiner Mitarbeiter wegen Spionageverdachts festgenommen wurde) in Köln statt. Zum Kongress eingeladen hatte Krah.
«Trad Wifes» – aber richtig
Gemäss Bildern, die «Lukreta» vom Anlass verbreitete, trafen sich eine Handvoll Frauen aus verschiedenen Ländern, darunter auch Selina Dienemann. In ihrem Telegram-Kanal bezieht sich Bossdorf immer wieder auf Dienemann. Bossdorf teilt beispielsweise Dienemanns Beitrag «Die Antibabypille: Eine tägliche Dosis Gift».
«Lukreta» wird durch den Verfassungsschutz des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen beobachtet. Auf Social Media stigmatisiert die Gruppe Migranten pauschal als Gewalttäter, beklagt die sinkende Geburtenrate in Deutschland und die «von der EU forcierten Gendermainstreaming-Agenda». Die traditionelle Frauen- und Mutterrolle wird durchgehend glorifiziert:
«Besonders in der Kernfamilie, welche als Institution heutzutage mehr angegriffen wird denn je, und welche das unverzichtbare Fundament unserer Gemeinschaft bildet, spielen wir Frauen eine zentrale Rolle. Das Kochen und Backen verkörpert einen großen Anteil unserer Weiblichkeit und damit unser Bedürfnis Geborgenheit zu schaffen, zu nähren und unser familiäres Band zu stärken. Die Fähigkeiten, die wir in der Küche entwickeln, sind nicht nur praktisch, sondern auch entscheidend für das Gemeinschaftsgefühl und damit die Werte, die wir an die nächste Generation weitergeben. Durch gemeinsames Kochen und Backen stärken wir also nicht nur unsere Beziehungen, sondern bilden auch das Fundament eines sturmfesten Wertesystems, das sich tief in unserer Familie verankern kann.
Wir sollten die traditionelle Fähigkeit des Kochens und Backens also nicht vernachlässigen, sondern erlernen, verteidigen und zelebrieren. Denn als Frauen sind wir gleichzeitig die Wurzel und das Herz unserer Familie, ein mutiger Advokat für ihre Werte und damit auch ein Garant für ihr Fortbestehen. Wir haben es in der Hand, Traditionen am Leben zu halten und aktiv eine Zukunft zu gestalten, der unsere Werte zugrunde liegen.»
Rechtsextreme Positionen, die vielleicht nicht auf den ersten Blick als solche erkennbar sind, werden so anschlussfähig. Und das nicht erst, seit Influencerinnen als «Trad Wifes» ihren vermeintlich traditionellen Lebenswandel als Hausfrauen und Mutter inszenieren und damit Geld verdienen.
Völkische Werte
Die «Junge Tat» ist – wie die rechtsextreme Szene an sich – männerlastig. Die Frauen, die der Gruppierung zugeordnet werden, sind in der Regel selbst Mütter und beschäftigen sich auch beruflich mit Kindern oder Geburt. Diese Heterogenität ist gewollt und entspricht den eigenen völkischen Werten. Oder wie es «Lukreta» ausdrückt: «Neue Deutsche machen wir selbst!»
Für Schlagzeilen sorgte erst kürzlich eine Hebamme, die an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) in Ausbildung ist. Wegen ihrer Verbindungen zur Jungen Tat unterschrieben 63 Mitstudierende einen offenen Brief. Sie forderten Massnahmen der Hochschule gegen Extremismus.
Wie die ZHAW gegenüber FLIMMER.MEDIA schreibt, sei es ihr «wichtig, ein Umfeld zu schaffen, das frei von politischer Parteinahme ist und in dem sich alle Studierenden, unabhängig von ihrer Herkunft oder politischen Überzeugung, willkommen und sicher fühlen». Die ZHAW stehe hinter den akademischen Werten und setzte sich für eine Hochschulkultur der Wertschätzung und des Dialogs ein – an der ZHAW und in der Gesellschaft.
«Neonazi-Hebamme»
Es ist nicht das erste Mal, dass sich eine Zürcher Hochschule wegen Studierenden mit der «Jungen Tat» auseinandersetzen muss. Anfang 2023 wurde die erwähnte Studentin mittels Plakaten an der Hochschule als «Neonazi-Hebamme» geoutet.
2020, bevor die Junge Tat die Macht der subtileren Botschaften für sich entdeckte, loggte sich am Geburtstag von Adolf Hiltler unter anderem deren Mitgründer Manuel Corchita in Onlinevorlesungen der Zürcher Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) ein. Sein Nutzername: «Alles Gute A.H. 88» «Heil Hitler!» plärrte jemand in die Vorlesung.
Mitte Dezember 2024 habe im Kontext des offenen Briefes an der Hochschule eine Podiumsdiskussion vor über hundert Personen stattgefunden, informiert die ZHAW auf Nachfrage. Dabei sei die Frage im Fokus gestanden, wie das Departement Gesundheit der ZHAW mit rechtsextremen Positionen umgehe, wenn sie geäussert würden.
Für eine öffentliche Hochschule mit Verpflichtung zur Einhaltung von Gesetz und Grundrechten könne die politische Überzeugung oder Weltanschauung allein kein Ausschlussgrund sein. «Gleichzeitig müssen wir gemeinsam mit Mitarbeitenden und Studierenden einen Umgang finden, wenn es – wie im vorliegenden Fall – keine offensichtlichen und offensiven Stellungnahmen gibt, die mit entsprechenden Massnahmen geahndet werden können.»
Rechte bis Rechtsextreme haben das Spiel mit Subtilität und Offensive verstanden. Laufend verschieben sie die Grenze des Sagbaren. Den Umgang damit sucht nicht nur die ZHAW.
Unsere Quellen:
Blick.ch: Aufregung um «Neonazi-Hebamme» (Opens in a new window)
Tagesanzeiger.ch: ZHAW-Studentin als «Neonazi-Hebamme» angeprangert (Opens in a new window)
Woz.ch: Die Schwiegersohn-Neonazis (Opens in a new window)
Wdr.de: Lukreta - Rechtextremistisches Frauennetzwerk in NRW (Opens in a new window)
Bpd.de: AfD aus ID-Fraktion im Europäischen Parlament ausgeschlossen (Opens in a new window)