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Es fing an mit Lola Young

Natürlich fing diese Sache nicht mit Lola Young an, vielleicht endet sie mit ihr, ich fürchte aber eher nicht – vermutlich sind wir eher mittendrin. Mittendrin in einer fettfeindlichen Welt. Aber der Reihe nach. Ich liebe die Musik von Lola Young. Und ihre Attitüde. Und vermutlich mag ich sie auch, weil sie mich an mich erinnert in ihrem Alter. Leider nicht, was die Attitüde angeht. Lola Young ist 24 Jahre alt, ich bin 43 Jahre und alt und ich arbeite noch immer an einer Attitüde, die in ihre Nähe kommt. Vermutlich werde ich nie so cool sein wie sie und das ist auch okay. Ihr Körper erinnert mich an meinen Körper, als wir jünger waren, mein Körper und ich.

Ich liebe also ihre Musik und was ich liebe, poste ich manchmal in meine Instagram-Stories, jedenfalls wenn es Musik ist. Deshalb habe ich also ein Video von ihr gepostet, in dem sie singt. Ein Video, in dem man ihren Körper sieht. Auf diese Story bekam ich überraschend viele Reaktionen. Sowas wie “das tut so gut, sie zu sehen” oder “endlich mal ein normaler Körper”. Es kamen wirklich viele Reaktionen. Und ich dachte: Wie krass ist es, dass ein Durchschnittskörper solche Reaktionen hervorruft? Sind wir wirklich so weit? Beziehungsweise so wenig weit, denn hallo, wo sind wir denn, wenn Durchschnittskörper krass sind, weil wir vor allem dünne, weiße, nicht behinderte haarlose Körper zu sehen gewohnt sind? Auseinandergenommen haben Josephine Apraku das in einer Folge unseres Podcasts Revolution und Ferien (Opens in a new window).

https://open.spotify.com/episode/4sPtMQ9JjG3nsEiuNLi1us?si=e645d95e058947e4 (Opens in a new window)

Im Podcast sprechen wir über den Zusammenhang von Fettfeindlichkeit und Faschismus. Faschismus bedeutet Unterdrückung statt Freiheit, Gewalt statt Mitbestimmung und Hass statt Vielfalt. Im Faschismus hat eine einzelne Partei oder Person die volle Macht. Der eigene Staat und die eigene Bevölkerung werden über alles andere gestellt. Faschismus braucht Feindbilder und “Schuldige” – zum Beispiel zugewanderte Menschen oder politische Gegner. Faschismus unterdrückt Meinungsfreiheit. Josephine Apraku und ich haben unsere Podcast-Folge Auf dem Laufband Richtung Faschismus (Opens in a new window) genannt und heute, ein paar Tage später, würde ich sagen: Wir sind schon fast da.

Auf Instagram sehe ich seit ein paar Tagen viele Beiträge, in denen es um Lola Youngs neuen Song und die Reaktionen darauf geht. In One Thing (Opens in a new window) singt sie über Sex. Und wird dafür kritisiert. Nein, Kritik ist das falsche Wort. Sie wird beschämt und gehasst. In den meisten Beiträgen wird als Motivation dafür Queer- und Fettfeindlichkeit genannt. Dabei, und das muss ich an dieser Stelle kurz mal so deutlich sagen: SIE IST NICHT MAL DICK! Lola Young singt in ihrem Hit Messy I′m not skinny und ja, ich würde sagen, so ist es. Und zwischen nicht dünn und dick gibt es ja noch eine Menge Spielraum. Wobei, eigentlich ist der gesellschaftlich akzeptierte Spielraum ziemlich schmal.

https://youtu.be/bV9SOv_Y61s?si=X6KCG3Rm7cK3JvOD (Opens in a new window)

Statt uns alle damit zu beschäftigen, wie wir denn nun am besten in den schmalen Spielraum, der als normal gilt, passen, könnten wir daran arbeiten, die Normen zu verändern. Zum Beispiel gibt es ja das ständig wiederholte Mantra, Mehrgewicht sei gesundheitsschädlich. Dabei ist wissenschaftlich bewiesen, dass etwas sogenanntes Übergewicht nicht gesundheitlich schädlich sein muss, im Gegenteil. (Opens in a new window) Nehmen wir trotzdem mal dieses Argument und denken es weiter: Was ist mit Menschen, die krank werden oder sind? Wollen wir eine Gesellschaft, in der wir Gesundheit als Norm haben und alles andere ist schlecht? Das ist eine ableistische Gesellschaft.

Ableismus bedeutet so etwas ähnliches wie Behindertenfeindlichkeit. In einer ableistischen Gesellschaft gelten gesunde, nicht behinderte Menschen als erstrebenswerte Norm. Behindertes und krankes Leben als minderwertiges Leben. Die Auswirkungen sind vielfältig – von struktureller Diskriminierung durch Krankenkassen bis hin dazu, dass Ableismus tötet und Menschen dann sagen: “War vielleicht auch besser so.” Wie im Fall von Martina W. , Christian S. , Lucille H. und Andreas K., die im Oberlinhaus in Potsdam, einer vollstationären Einrichtung für behinderte Menschen, von einer Pflegerin getötet wurden. Das ist kein Einzelfall. Es ist die Konsequenz einer strukturell diskriminierenden Gesellschaft.

Ableismus ist – wie auch Rassismus – eng mit Fettfeindlichkeit verknüpft. Es geht immer darum, einer nicht behinderten, vermeintlich gesunden Norm zu entsprechen. Dabei gibt es kein Menschenrecht auf ein nicht behindertes oder gesundes Leben. Wie nah das alles beieinander liegt, wird in einem Podcast (Opens in a new window) deutlich, der eigentlich eine Werbesendung für Abnehmspritzen ist (u.a., weil er die politische Dimension einer fettfeindlichen Gesellschaft ausblendet). Die Podcasterin zählt auf, wovor sie ihre Kinder schützen möchte: Übergewicht, eine Brille, Löcher in den Zähnen. Sowas solle am besten nicht vorkommen.

Es fällt mir nicht leicht (kleiner Wortwitz an dieser Stelle), dazu etwas zu schreiben, aber ich möchte es versuchen. In welcher Welt leben wir, wenn Menschen Angst davor haben, dass ihr Kind eine Brille oder eine Füllung eines Zahns brauchen oder dick werden könnte und das alles in einem Atemzug nennen? Oder auch: In welcher Welt leben Menschen, die davor Angst haben? Von meiner Welt ist diese Welt jedenfalls meilenweit entfernt. Und dann aber auch wieder nicht, denn wir alle leben in dieser Welt, in der uns die ableistische Utopie erzählt wird, von Beginn an oder sogar schon vor dem Beginn. “Hauptsache gesund”, welche schwangere Person kennt den Spruch nicht? Man könnte hinzufügen: Hauptsache nicht behindert, Hauptsache intelligent, Hauptsache keine Brille, Hauptsache keine Löcher in den Zähnen, Hauptsache nicht zu dünn, aber bitte auf keinen Fall zu dick – Hauptsache der Norm entsprechend.

Menschen mit Lebenserfahrung wissen, dass das Quatsch ist. Also nicht, dass die Gesellschaft das von uns verlangt, das ist so. Aber dass es Quatsch ist für den Wert eines Menschen. Und auch für das Empfinden, ein glückliches Leben zu führen (abgesehen davon, dass es auch kein Menschenrecht ist, ein glückliches Leben zu führen). Behinderte, dicke, kranke Leben sind genau so lebenswert wie andere Leben. Sie sind oft beschwerlicher als nicht behinderte, nicht dicke oder gesunde Leben. Das liegt dann aber meist nicht an der Behinderung oder dem Fett oder der Krankheit, sondern an den Normen, an denen sich unsere Umwelt ausgerichtet hat. An Mobbing, an Barrieren, an nicht passender Kleidung, an Vorurteilen und Normen, die nur für einen Teil von Menschen gemacht sind und andere ausschließen.

Ausgehend von unserer Revolution & Ferien-Folge hat die Journalistin Jasmin Kröger einen Radiobeitrag gemacht: Das Ende der Body Positivity (Opens in a new window). Entstanden ist die Body Positivity-Bewegung in der Schwarzen und queeren Community, um sich von rassistischen und sexistischen Normen zu befreien. “Die Disziplinierung des weiblichen Körpers findet im Kontext von rechtskonservativer Politik statt, wo ein ganz klares Frauenbild stattfindet, bei dem es immer darum geht, schlank zu sein”, sagt die Kulturwissenschenschaftlerin Vera Klocke im Beitrag. Und Charlotte Kuhrt, Model und Art Direktorin, ergänzt: “Es geht darum, wie viel Raum Menschen einnehmen dürfen. Wie viel Raum weiblich gelesene Körper einnehmen dürfen.” Auf dem Laufband kommt hier gleich die Faschismus-Haltestelle.

Wie wäre es, wir würden nicht dafür kämpfen (müssen), uns oder unsere Kinder in diese Normen zu quetschen, sondern dafür kämpfen, die Normen zu verändern?

Einer meiner Lieblingssongs von Lola Young ist Wish you were dead (Opens in a new window). Vielleicht meint sie Fettfeindlichkeit.

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https://youtu.be/TtqETmD-kEU?si=r_3QZMSBhT4ZTWaW (Opens in a new window)

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