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Endlich 18

Years go by, tears go by, too much to explain
Living on my own again, and sporting, a touch of grey
(Japandroids)

154/∞

Good evening, Europe!

Letzte Nacht vor 18 Jahren ging unser kleines Popkultur-Blog an den Start — mit einem Kickoff-Text (Opens in a new window), der zuvor den 4. Platz beim Wettbewerb „Schüler versuchen, wie Max Goldt zu schreiben“ belegt hatte. Das heißt: Coffee And TV ist jetzt volljährig, darf Auto fahren, harten Alkohol kaufen und wählen. Uff!

Ich war gerade 23 und hätte eigentlich für meine mündlichen B.A.-Prüfungen in Germanistik und Anglistik lernen und an meiner Bachelor-Arbeit über Internetsprache (ein Thema, dem man sich heute auch lieber nur noch im Schutzanzug nähert) schreiben sollen, aber zur Ablenkung hab ich lieber das ins Leben gerufen, was ich beinahe bescheiden „die Online-Zeitung, die wir selbst gerne lesen würden“ nannte. Beim Start waren wir acht Autor*innen, was schon mal den Vorteil hatte, dass jeder Text von Anfang an sicher sieben Leser*innen fand. Das Konzept „Blog“ hatte ich über das Tomte-Blog (Opens in a new window) kennengelernt und dann im Herbst 2006 ausprobiert, als jede Menge Freund*innen und ich gleichzeitig unsere studienbedingten Auslandsaufenthalte absolvierten. (Die Dokumente dieser Zeit sind womöglich noch aus Datenbanken rekonstruierbar, aber wer würde das wirklich wollen?)

Wenn man mal faul zu der Metapher greift, die Steve Jobs schon 2005 den Absolvent*innen in Stanford mitgegeben (Opens in a new window) hatte - „You can’t connect the dots looking forward; you can only connect them looking backward. So you have to trust that the dots will somehow connect in your future.“ - war dieses Blog der erste Punkt auf einer Linie, die mich zu meinen Aufgaben beim BILDblog (Opens in a new window), beim ESC und bei anderen Fernsehsendungen und Zeitungen gebracht hat und zu meinem Buch (Opens in a new window) über den Song Contest führte. Man könnte sogar behaupten, dass Ehen geschlossen und Kinder geboren wurden, weil ich damals diese bekloppte Idee hatte und durchgezogen habe. Nimm das, butterfly effect!

Die naheliegendste (und ich meine nicht Lukas-Heinser-naheliegend, sondern halt wirklich Middle-of-the-road-öffentlich-rechtliche-Redaktion-in-Absprache-mit-der-Programmdirektion-naheliegend) Idee, um dieses Jubiläum zu begehen, war natürlich: Ich wähle für jedes der abgelaufenen 18 Jahre einen Song aus — fertig ist die Playlist!

Aber nach welchen Kriterien? Einfach das Lied nehmen, das jeweils meine Liste „Song des Jahres“ angeführt hat? Das wäre ja ein bisschen langweilig — und solche Listen gab es auch gar nicht in jedem Jahr.

Also: 18 andere Songs. Welche, die ihr jeweiliges Jahr, aber auch dieses Blog gut repräsentieren; die für mich eine persönliche Bedeutung haben; die ich auch heute noch höre. Eine halbwegs ausgewogene Mischung aus Genres, Geschlechtern und Sprachen, also eben dann doch auch: Kontext.

Und so wurde aus einem kleinen Gimmick zum Jubiläum eine ausufernde Recherche-Aktion im eigenen Leben ’n‘ Werk und einer der längsten Texte, der in den letzten 18 Jahren im Blog erschienen ist: 18 Jahre, 18 Songs (Opens in a new window).

Erst vor zehn Tagen haben wir das neue Video-Format „5 Songs, die Ihr diesen Monat gehört haben solltet“ (Opens in a new window) gestartet und außerdem gibt es ab heute jeden Tag einen „Song des Tages“ in unserem Whatsapp-Kanal (Opens in a new window).

Das ist aber noch nicht alles: Man wird ja nur einmal 18 und wenn ich mich richtig erinnere, feiert man das mit einer großen Party! Ich habe also einen Abend voller Greatest Hits, B-Seiten und Überraschungen zusammengestellt, der sich am 7. März in der Goldkante (Opens in a new window) in Bochum ereignen wird:

https://youtu.be/RKTMqgZJDlY (Opens in a new window)

Ihr seid natürlich alle herzlich eingeladen, vorbeizukommen und mir zuzuhören, wie ich Geschichten über den Tod von Kurt Cobain, eine schwangere Prinzessin, die Rückkehr von Oasis, den Eurovision Song Contest und die Entdeckung der Kilians vorlese. (Anschließend ist dann wirklich Party.)

Ich hatte also in den letzten Tagen das mitunter zweifelhafte Vergnügen, mich durch Hunderte Seiten Texte und für mich selbst überraschend viele YouTube-Videos zu klicken. Das war ganz anders interessant als die Wiederbegegnung mit meinem Foto-Archiv, von der ich im letzten Newsletter (Opens in a new window) geschrieben hatte: Diesmal war ja alles, was ich gesichtet habe, Arbeit und nichts privat, aber zumindest an einigen Stellen konnte ich auch heute noch sagen, was gerade in meinem Leben los war, als ich diesen (Opens in a new window) oder jenen (Opens in a new window) Text schrieb.

Irgendwann kam bei aller Bescheidenheit aber auch die Erkenntnis, dass die Bezeichnung „Autor“, die ich seit zehn Jahren in meiner E-Mail-Signatur stehen habe, vielleicht doch keine Amtsanmaßung ist, und es entsprechend auch völlig okay ist, vom eigenen „Werk“ zu sprechen. Und dieses Werk ist ganz schön umfangreich, wie ich selbst am überraschtesten festgestellt habe!

Und was war ich für ein Baby! Beim Start war ich gerade wieder zwei Monate zurück von einem fast dreimonatigen Kalifornien-Aufenthalt, der mich nachhaltig geprägt hatte, und die Welt und das Selbstverständnis in meinem Kopf waren definitiv bedeutend größer als das WG-Zimmer im Studentenwohnheim, in dem das Blog damals entstand. Die fröhlich-arrogante Haltung, mit der ich damals schrieb, ist aus heutiger Sicht oft schwer zu ertragen. Aber es ist auch eine wahnsinnig spannende Erfahrung, als studierter Literaturwissenschaftler auf das eigene Werk zurückzublicken und sagen zu können, das war jetzt soundsoviel Prozent Persönlichkeit und soundsoviel Prozent Kontext. 

Schreiben über Musik war - zumindest bei mir - 2007 noch geprägt von der jugendlichen Überheblichkeit eines Nick Hornby und eines Benjamin von Stuckrad-Barre. Wenn man sich mit ihrem heutigen Schaffen beschäftigt, wird man feststellen, dass auch sie in Geschmacksfragen milder geworden sind — sicherlich auch hier wegen Persönlichkeit (Wer will schon mit über 50 immer noch klingen wie so ein 23-jähriger Schnösel?) und Kontext (Wenn Menschen online die Deportation oder Ermordung von Mitmenschen fordern, wirkt die Frage, welche Bands man doof findet, noch ein bisschen lächerlicher als eh schon).

Und dann noch diese schrecklichen Frisuren und Hemden in den Videos (Opens in a new window)! Während Nicky Wire von den Manic Street Preachers auf alte Fotos zurückschaut (Opens in a new window) und der (zugegebenermaßen extremen) Attraktivität seiner Band hinterher trauert, kann ich mich insofern entspannt zurücklehnen: Ich finde jetzt echt nicht, dass ich mit 25 besser ausgesehen hätte als heute.

Wenn Ihr mein Schaffen/Werk schon länger verfolgt, dann wisst Ihr, dass mir Pathos nicht fremd ist. Und so ein - ein bisschen ja auch erfundenes, weil nicht wirklich rundes - Jubiläum lädt natürlich auf handgeschöpftem Büttenpapier mit geprägtem Blattgold-Emblem zu allerlei staatstragenden Ausfällen ein: Man will, Oscar-Dankesreden gleich, all jenen danken, denen man beruflich wie privat einen Anteil am Gelingen beimisst; man will ein Statement setzen für die Freiheit von Kunst und Kultur und gegen reaktionäre Kräfte; man will sein eigenes In-Memoriam-Segment mitbringen und all derer gedenken, die heute nicht mehr dabei sind; man will es einerseits ganz spielerisch und cool erscheinen lassen, andererseits aber nicht abgezockt und zynisch erscheinen. Es soll also jetzt bitte alles auf einmal sein: Roberto Benigni auf den Sessellehnen (Opens in a new window), Barack Obama beim White House Correspondents’ Dinner (Opens in a new window), Leon Goretzka, der den homophoben ungarischen Fans ein Herzchen (Opens in a new window) zeigt, Neil Tennant, der das alles einfach nur zur Kenntnis nimmt, und Thees Uhlmann, der vor lauter Freude nicht aufhören kann, zu reden. Vor allem aber natürlich: man selbst. Puh!

Deswegen möchte ich die Gelegenheit einfach nur nutzen, um Danke zu sagen. Ich habe durch dieses Blog so viele Gelegenheiten bekommen und in einem Mediengeschäft, das heute sicher noch umkämpfter und gefährdeter ist als vor 18 Jahren, so viele Abkürzungen nehmen können, und ich habe so viele Menschen kennengelernt und teils enge Freundschaften geschlossen, da kann man doch gut mal demütig sein. 

Danke! From the bottom of my heart.

Und wenn Ihr jetzt sagt: „Coole Sache, was der Lukas da macht, ich les das auch schon lange und wirklich gerne und würde ihn gerne bei all dem Kram unterstützen!“ — kein Problem: Ihr könnt mir einen Kaffee oder einen ganzen Fernseher (ich bin da flexibel) per PayPal (Opens in a new window) ausgeben oder ein bezahltes Abo für diesen Newsletter abschließen:

Das Ziel, das ich mir so schrecklich BWLer-mäßig für dieses Jahr setzen sollte, sieht so aus, dass es irgendwie knorke wäre, wenn 10% der Abonnent*innen den Newsletter auch finanziell unterstützen. Davon sind wir noch ein bisschen entfernt, aber vielleicht ist heute ja der Tag, wo Ihr Euch sagt: „Yes, we can!“

Und wenn Ihr das mit dem Geld nicht machen wollt oder könnt (was natürlich auch total okay ist), dann empfehlt doch Newsletter und/oder Blog einfach an Leute weiter, denen das gefallen könnte.

Auch hier: Danke!

Was hast Du gehört?

„Critical Thinking“, das neue Album der Manic Street Preachers. Das erscheint allerdings erst am kommenden Freitag und wie ich es finde, könnt Ihr dann am Wochenende in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ nachlesen.

Was hast Du gesehen?

Vor den Oscars versuche ich ja immer, wenigstens noch ein paar halbwegs aktuelle Filme zu sehen. Das hat zumindest schon mal mit „The Substance“ (Trailer (Opens in a new window); in der Flatrate bei Mubi (Opens in a new window) enthalten) geklappt, jenem Body-Horror-Film, in dem Demi Moore eine alternde TV-Schönheit spielt, die sich mit Hilfe eines zweifelhaften Konzerns ein jüngeres Ich (Margaret Qualley) schafft. Das Ganze ist natürlich eine Allegorie, es läuft natürlich aus dem Ruder — und irgendwann dreht der Film so sehr am Rad, dass ich die letzte Dreiviertelstunde nur noch durch meine Finger geguckt habe (body horror, ich hatte es erwähnt).

Der Film ist optisch brillant, die Schauspielerinnen sind es auch, es gibt sehr wenig Dialog, weshalb ich das Drehbucht nicht so richtig beurteilen kann, aber der Film als Ganzes ist durchaus ein Ereignis: Ein bisschen „Fight Club“ für Frauen, ein bisschen „Das Bildnis des Dorian Gray“ trifft „Alien“, ein bisschen wie wenn David Cronenberg „Barbie“ gedreht hätte.

Danach brauchte ich, um runterzukommen, „The Fall Guy“ (Trailer (Opens in a new window); in der Flatrate bei WOW), die lose Adaption der TV-Serie „Ein Colt für alle Fälle“ mit dem unvergleichlichen Ryan Gosling als Stuntman, der von einer irren Situation in die nächste schlittert. Es ist unterhaltsames Popcorn-Kino im allerbesten Sinne: übertrieben, selbstbewusst und voller Liebe zum Detail. Wenn Ihr die verschiedenen Reïterationen von „Charlie's Angels“ mochtet, sollte auch dieser Film etwas für Euch sein!

Wenn Ihr die Stimmungen von „The Virgin Suicides“, „Almost Famous“, „Napoleon Dynamite“, „The Holdovers“, „Rushmore“ oder „Der Eissturm“ mochtet, habe ich was anderes für Euch: „Licorice Pizza“ (Trailer (Opens in a new window); in der Flatrate bei Amazon Prime Video), der 2021er Film von Paul Thomas Anderson mit Alana Haim (von der Band HAIM) und Cooper Hoffman. Der letzte PT-Anderson-Film, den ich gesehen hatte, war „Magnolia“ vor 25 Jahren, insofern kann es gut sein, dass der Mann einfach für seine Aneinanderreihungen von Szenen und Stimmungen berühmt ist (zumindest erinnere ich „Magnolia“ so, aber in gut) — für mich waren es einfach die längsten 137 Minuten seit langem. Alles nicht wirklich schlecht und ich bereue es auch nicht, den Film gesehen zu haben, aber womöglich hatte ich einfach etwas anderes erwartet. Und wenn mir ein Film erst sympathisch wird, nachdem ich die IMDB-Trivia (Opens in a new window) über ihn gelesen habe, war die Idee vielleicht besser als die Umsetzung.

Ich bin ja großer Fan des Musicals „Hamilton“ (s.a. Newsletter #75 (Opens in a new window)), insofern ist es vielleicht ein bisschen überraschend, dass ich die Verfilmung von „In The Heights“ (Trailer (Opens in a new window)), Lin-Manuel Mirandas erstem Musical, erst dreieinhalb Jahre nach Kinostart gesehen habe. Und ich hätte den Film vielleicht nicht im Winter gucken sollen, denn er spielt während einer hochsommerlichen Hitzewelle in der Nachbarschaft Washington Heights in Manhattan. Wer eine moderne „West Side Story“ erwartet, wird vergleichsweise wenig plakatives Drama vorfinden, hier geht es eher um die Lebenswirklichkeit und Erwartungshaltungen von Familien mit Migrationshintergrund. Verglichen mit „Hamilton“ wirkt vieles noch wie ein Gesellenstück: ein paar eingängige Songs, aber längst nicht so ein Genre- und Konventionensprengsatz wie das Musical über die amerikanischen Gründungsväter.

Was hast Du gelesen?

Der „Irish Examiner“ (Opens in a new window) fragt, ob die „lad culture“ der 1990er Jahre (also: Männer, die sich betrinken, daneben benehmen und sich dabei wie die Tollsten vorkommen) ein Comeback erlebt. Natürlich geht es auch um Andrew Tate und Mark Zuckerberg und ihre eher verstörende, weil unendlich traurige, Vorstellung von Männlichkeit, aber vor allem um die Fortschritte auf dem Gebiet der geistigen Gesundheit bei Männern, die wieder ein bisschen auf der Kippe stehen. (Bloggen hätte nie meine Therapie sein können, Therapie war meine Therapie.)

Was hast Du zum ersten Mal gemacht?

Einen Reiher beobachtet, der sich auf dem Dach des Nachbarhauses sonnte. Was für ein weirder Hals, was für ein majestätisches Tier! Ich habe an dem Tag nicht viel gearbeitet, aber eine Erinnerung für die Ewigkeit gesammelt. 

Was hast Du gelernt?

Alle Europäer*innen verbringen angeblich 575 Millionen Stunden pro Jahr mit der Zustimmung, Teil-Zustimmung oder Ablehnung von Cookie-Bannern, was einem volkswirtschaftlichen Schaden von mehreren Milliarden Euro entspräche. (Quelle: Die „Schätzungen“ eines Software-Anbieters auf genau diesem Gebiet (Opens in a new window).)

Was hat Dir Freude bereitet?

Bei „Mario Kart“ auf der Switch kann man auf der Berlin-Strecke über die Oberbaumbrücke fahren. Da in der Nähe war früher das BILDblog-Büro und ich betrachte es immer noch als meine hood in der Hauptstadt.

Und jetzt: Musik!

https://www.youtube.com/watch?v=_xJcE9tnY6E (Opens in a new window)

Habt eine schöne Woche!

Always love, Luki

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