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Talk about a new wave
Talk about a way to save the day

Good evening, Europe!

Es ist noch keine zwei Wochen her, da sind das Kind und ich (gemeinsam und einzeln) auf einem Schlitten die Bochumer Hügel heruntergeschossen wie Calvin und Hobbes. Die Wettervorhersage hatte bei Temperaturen um -10°C bereits welche von fast +20°C vorhergesagt, also war klar, dass es der letzte Tag zum Schlittenfahren sein würde — uns und allen anderen. Wir waren gewillt, das Letzte aus dem Tag und dem Winter herauszuquetschen wie aus einem letzten Urlaubstag oder einer besonders guten Party. Es war schon fast dunkel, als wir „zum wirklich allerletzten Mal“ den Weg nach unten antraten, und quasi Schlafenszeit, als wir im heimischen Vorgarten noch ein paar Schneeengel machten. Überbordende Lebensfreude und melancholische Abschiedsstimmung gingen aneinander gelehnt wie ein altes Paar, das sich beim Spaziergang gegenseitig stützt.

Eine Woche später stand ich in kurzen Hosen an der Stelle, wo unsere Schneeengel gewesen waren, und kümmerte mich um unsere Erdbeerpflanzen. Aber sind Jahreszeiten nicht eine weitere bürgerliche Kategorie, die in unseren postmodernen Zeiten keine Bedeutung mehr hat? Zumal im Moment eh alles voller Anschlussfehler ist: Diese Woche konnte ich das Kind endlich wieder zur Schule bringen — zum ersten Mal seit Beginn der Weihnachtsferien. Das letzte Mal, als wir zur Schule gefahren waren, war es um die Zeit noch dunkel gewesen, wir hatten die Autoscheiben vom Raureif befreien müssen; jetzt war es hell, als wir an der Schule ankamen, und das Kind trug kurze Hosen. Statt Weihnachtsliedern hörten wir Hörspiele.

Das Schöne ist, wenn neben den Bäumen im Garten auch die eigene Kreativität wieder ausschlägt. Offenbar gibt es da bei mir tatsächlich seit jeher enge Zusammenhänge: Ich erinnere mich jedenfalls an Osterferien, in denen ich mit meinen Freunden und Geschwistern viele, viele Filme gedreht habe; an Jahre, in denen ich mir im Frühjahr selbst Gitarre beigebracht und erste Songs geschrieben habe; und an Jahre, in denen ich mich im Frühling gar nicht entscheiden konnte, welches kreative Projekt ich als nächstes angehen soll, und dann hilflos zwischen Keyboard, Leinwand und Computer hin und her gerannt bin.

Eine Freundin verglich ihren Kopf mal mit einem Kreativdampfkochtopf mit sehr vielen Zutaten, und so ähnlich geht es mir auch. Natürlich ist es dann ein bisschen nervig, wenn die Herdplatte immer zu einer bestimmten Jahreszeit aufgedreht wird, aber andererseits genieße ich auch die Zeit von etwa November bis Januar, wo ich lesen, fernsehen und Plätzchen backen kann, bevor es dann wieder losgeht mit crazy Projekten.

Eigentlich hatte ich ja für 2020 schon ganz viele tolle Ideen gehabt, die dann fast alle der Pandemie zum Opfer fielen (remember Oslog Live (Opens in a new window)?!), aber jetzt habe ich nicht nur eine wüste Zettel-Sammlung, sondern sogar eine To-Do-Liste mit Sachen, die ich 2021 so machen will/werde/muss. Das Beste: Es ist relativ wenig Internet-Kram dabei (wollt Ihr noch einen Podcast hören?!), dafür sind fast alle Ideen für die Wirklichkeit, also für die Zeit, wo wir alle unsere Telefone in Pools werfen, mal wieder die Liebe unseres Lebens finden und der ganze Quatsch vorbei ist. (Also etwa ab September.)

Der letzte Absatz enthielt ein ziemlich direktes, übersetztes Ben-Folds-Zitat (Opens in a new window), was jetzt keine Person überraschen kann, die mich ein bisschen kennt: Ich bin jetzt seit über 20 Jahren Fan von diesem Mann und seiner Musik und er hat mich immer wieder inspiriert, selber irgendwelche kreativen Sachen zu starten — zuletzt mit seinem Memoir „A Dream About Lightning Bugs“ (s.a. Newsletter Nr. 52 (Opens in a new window)).

Um meine eigene, wie berichtet schon wieder überkochende, Kreativität noch ein bisschen konkreter in Gang zu kriegen, habe ich in den letzten Wochen Podcasts und Radiosendungen mit Menschen gehört, die generell schon ein hohes Inspirationspotential für mich haben: Fran Lebowitz, Joan Didion, Chuck Klosterman und - natürlich - auch Ben Folds.

Als ich den beim „Good Life Project“ (ein Podcast, den ich mir vielleicht auch mal öfter anhören sollte) über seine Arbeit und sein Buch sprechen hörte (Opens in a new window), fiel mir auf, dass ich ganz Vieles daraus schon wieder vergessen hatte — so, wie ich ganz viele positive (zum Glück aber auch negative) Erfahrungen in meinem Leben immer wieder vergesse. Noch bessere Laune gemacht hat mir sein Auftritt im „How To“-Podcast (Opens in a new window) von Slate, wo er in einem anschaulichen Beispiel erklärt, wie man aus einem Song mit ein paar Handgriffen einen viel besseren Song macht — das war so gut und lehrreich und hat so viel Spaß gemacht, dass mein Kopf vor Freude fast explodiert ist.

Ich habe mich immer schon sehr dafür interessiert, wie kreative Menschen ticken und arbeiten. Als die DVD als Mainstream-Medium aufkam, fand ich die ganzen Making-Ofs und Bonusmaterialien, die damals mit dabei waren, meistens interessanter als den Film selbst. Man (also: zumindest ich) kann ja immer noch so viel lernen, auch, wenn man selbst nicht unbedingt Filme dreht.

Insofern fand ich diese ganzen Podcasts jetzt toll, aber auch das Buch „Hamilton: The Revolution“, das ich zu Weihnachten bekommen und jetzt endlich ausgelesen habe. Es enthält nicht nur alle Songtexte aus Lin-Manuel Mirandas phantastischem Musical (s.a. Newsletter Nr. 75 (Opens in a new window)), sondern erzählt auch gleichzeitig die Entstehungsgeschichte der Show, die Biographien der Kreativen auf und hinter der Bühne und reißt auch noch mal ganz grob die Lebensgeschichte des echten Alexander Hamilton ab — es ist also schon auf der rein formellen Ebene ein Buch, von dem man nur lernen kann.

Die Lektüre hat so viel Spaß gemacht, dass ich erstens natürlich direkt noch mal „Hamilton“ gucken musste, aber auch noch motivierter war, meine vielen eigenen Ideen, ob sie nun unsere Wohnung betreffen oder zukünftige Projekte, weiter zu verfolgen und zu verfeinern. Außerdem habe ich mir vorgenommen, jetzt regelmäßig in dieses Buch und das von Ben Folds reinzuschauen und regelmäßig Interviews mit Leuten zu hören, deren Schaffen mir etwas bedeutet. Inspiration als Selbstfürsorge, sozusagen. (Der direkte Austausch mit Kreativen im eigenen Freundes- und Verwandtenkreis kann da natürlich auch nicht schaden, wenn auch erst mal noch auf Distanz.)

Jetzt muss ich noch was nachtragen, was ich beim letzten Newsletter vergessen habe und beim vorletzten noch nicht wusste: Anlässlich der Amtseinführung von Joseph R. Biden, Jr. haben die New Radicals im US-Fernsehen ihren ersten gemeinsamen Auftritt seit fast 22 Jahren hingelegt. Yes!

Wenn es einen Song gibt, der mein Leben in ein „davor“ und „danach“ aufteilt, dann „You Get What You Give“ von den New Radicals (darüber habe ich vor fast 14 Jahren schon mal im Blog geschrieben (Opens in a new window)). Plötzlich war Musik nicht mehr etwas, das man so gehört hat, sondern etwas, das ich gefühlt habe. Es war der Moment, in dem ich angefangen habe, meine leicht überproportionierte CD-Sammlung zusammenzustellen.

Der Song hat auch für Joe Biden eine ganz besondere Bedeutung (Opens in a new window), weil sein inzwischen verstorbener Sohn Beau das Lied zu seiner persönlichen Motivationshymne erwählt hatte, als er wegen seines Gehirntumors in Behandlung war. Insofern hat Gregg Alexander nicht eine Sekunde gezögert, als es darum ging, die nach ihrem Welthit aufgelöste Band für einen Auftritt wieder zusammenzubringen.

Gänsehaut und Durch-die-Wohnung-Hüpfen gleichzeitig funktionieren also. Und zwar so:

https://www.youtube.com/watch?v=nfcWpXadQPY (Opens in a new window)

Was macht der Garten? Ich habe erst mal alle einjährigen Pflanzen aus dem letzten Jahr entsorgt, die Erdbeeren zurückgeschnitten und die Erde in den Pflanzbehältern aufgelockert und gereinigt. Irgendwas auszusäen macht jetzt noch gar keinen Sinn, aber wenigstens ist die Drecksarbeit schon mal erledigt. Außerdem habe ich die Sträucher im Garten ein wenig zurückgeschnitten, damit wir diesen Sommer vielleicht auch mal ein wenig was von der Sonne haben.

Was hast Du gehört? The Hold Steady, eine meiner Lieblingsbands vor zehn, zwölf Jahren, haben ein neues Album veröffentlicht, dessen Titel halb aus der Zeit gefallen, halb optimistisch wirkt: „Open Door Policy“ (Positive Jams, Spotify (Opens in a new window), Apple Music (Opens in a new window)). Nach einigen schwierigen Jahren und Alben hatte sich die Band vor zwei Jahren mit dem Vorgänger „Thrashing Thru The Passion“ auf alten Höhen zurückgemeldet und auch das neue Album ist so, wie man es von The Hold Steady erwarten darf: voll mit druckvollen Powerpop-Hymnen und absurden Geschichten.

Ich muss zugeben, dass ich Frally Hynes zunächst als „die dritte Ehefrau von Ben Folds“ kennengelernt hatte. Sie ist aber auch selbst Künstlerin und Musikerin, hat mit Rain Phoenix („die Schwester von River und Joaquin“, genau) die Countryband Venus And The Moon gegründet und eigene Alben und EPs veröffentlicht. Im Januar ist „Miscellanea“ (Spotify (Opens in a new window), Apple Music (Opens in a new window)) erschienen, eine EP, auf der eigene Songs und Coverversionen (u.a. „Girls Just Want To Have Fun“ aus der Paris-Hilton-Dokumentation „This Is Paris") versammelt sind: organische, sphärische Popsongs, die atmen.

Was hast Du gesehen? In der arte-Mediathek gibt es eine dreiteilige Dokumentation (Opens in a new window) über einen der schlimmsten Menschen der Nachkriegszeit: Rupert Murdoch. Der australische „Medien-Mogul“ ist ziemlich direkt für den Brexit und den Aufstieg eines erfolglosen amerikanischen Immobilienclowns zum US-Präsidenten verantwortlich, er hat Fox News gegründet und ihm gehören einige der schlimmsten, brutalsten Boulevardzeitungen der Welt. „Der Aufstieg der Murdoch-Dynastie“ zeichnet seinen Aufstieg als vom eigenen Vater gedemütigter Verleger zum internationalen Königsmacher, seinen kurzen Absturz nach den Enthüllungen rund um die „Recherche-Praktiken“ (Telefon-Hacking von Prominenten und Verbrechensopfern) seines Boulevardblatts „News Of The World“ und seinen Wiederaufstieg als Mensch gewordenes Horror-Jahr 2016 nach. Wenn man die ganze Zeit daran denkt, dass das alles wirklich so passiert ist, ist es ziemlich gruselig und deprimierend, aber es ist auch eine gut gemachte Dokumentation.

Bei Netflix habe ich endlich mal „True Lies“ geschaut. Diese Actionkomödie von James Cameron mit Arnold Schwarzenegger und Jamie Lee Curtis hatte ich ungefähr gucken wollen, seit ich 1994 in der „Cinema“ zum ersten Mal darüber gelesen habe. Es ist wirklich der perfekte Film fürs Feiertagsprogramm eines Privatsenders und ich habe die ganze Zeit gedacht: „They don't make movies like this anymore“. Im Hinblick auf die Darstellung der Terroristen (natürlich alles Araber) und auf manche Szenen im Umgang mit Frauen ist das sicherlich eine positive Entwicklung, aber wie gerne würde ich mal wieder einen Big-Budget-Film sehen, der viele bahnbrechende Action-Szenen (tatsächliche Stunts, nicht CGI) enthält und trotzdem locker ist und sich selbst nicht so unfassbar ernst nimmt?

Was hast Du gelesen? Schon seit Monaten habe ich mir vorgenommen, auf Netflix „When They See Us“ zu schauen, eine Mini-Serie von Ava DuVernay über die „Central Park Five“ (Opens in a new window), fünf Schwarze Teenager, denen vorgeworfen wurd, die im April 1989 eine Joggerin im New Yorker Central Park vergewaltigt zu haben. Nachdem alle ihre Haftstrafen verbüßt hatten, kam durch ein Geständnis des eigentlichen Täters heraus, dass die Fünf unschuldig waren. (Ein zwielichtiger Geschäftsmann, der damals in einer ganzseitigen Zeitungsanzeige die Todesstrafe für die fünf Tatverdächtigen gefordert hatte, wurde übrigens 2016 US-Präsident.)

Zur Vorbereitung auf diese Serie habe ich wenigstens schon mal „Sentimental Journeys“ gelesen, ein Essay über den Fall, das Joan Didion 1991 (also lange, bevor klar war, dass die Fünf völlig zu Unrecht eingesperrt worden waren) in der „New York Review Of Books“ (Opens in a new window) veröffentlicht hatte (man kann sich auf der Website kostenlos registrieren, um einen Artikel zu lesen — eine ziemlich faire Sache, wie ich finde!). Der Fall und alles daran bleibt erschütternd und deprimierend, aber das Essay ist daneben auch noch grandios — nicht zuletzt, weil man auch hier wieder anschaulich sehen kann, wie man so ein Essay aufbauen kann: Joan Didion referiert erst die Fakten des Kriminalfalls, bevor sie eine überraschende Abzweigung in die Geschichte des Central Parks nimmt, die nicht nur landschaftsgärtnerisch, sondern auch soziologisch interessant ist. Es geht weiter mit einer Schilderung von New York City in den 1980er Jahren (grob: eine Kombination aus der Unfähigkeit des heutigen Berlins, der Wurschtigkeit Kölns und den ethnischen Spannungen Pariser Vororte mit ganz vielen schlechten wirtschaftlichen Entscheidungen und mehr als einem Schuss Mafia) und porträtiert dann noch mithandelnde Personen wie Reverand Al Sharpton (Opens in a new window). Kurzum: Es ist verdammt viel drin in diesem relativ kurzen (33 Din-A-4-Seiten) Text, den man sich trotzdem besser ausdruckt oder auf dem E-Book-Reader liest.

Was hast Du gelernt? Kalifornien ist natürlich nicht der „Sunshine State“, wie von mir im letzten Newsletter (Opens in a new window) behauptet (das ist Florida), sondern der „Golden State“. (Das wusste ich natürlich theoretisch die ganze Zeit, aber irgendwie habe ich total gepennt. Dass nur eine einzige Person den Fehler beanstandet hat, bedeutet entweder, dass Ihr ein sehr höfliches Publikum seid — oder, dass es Euch schlicht egal ist, wenn ich hier Quatsch schreibe!)

https://www.youtube.com/watch?v=ydgxZnHFLi4 (Opens in a new window)

Habt ein schönes Wochenende!

Herzliche Grüße,
Euer Lukas

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