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“Mit Kondom spüre ich nichts”: Wie Männer beim Sex ihre Macht ausnutzen.

Ich hatte den unangenehmsten Sex mit einem Mann, mit dem ich zuvor auf unseren Dates noch über feministische Thesen philosophierte, der politisch links war, in Therapie ging und mir versicherte, wie wichtig ihm ehrliche Kommunikation war. Im Bett behandelte er mich wie eine fremde Pornodarstellerin und sprach kein einziges Wort mit mir, bis er Errektionsprobleme bekam und sagte: „Das Kondom ist zu klein.“

Ich hatte die Kondome besorgt, also fragte ich, ob er eigene dabei hatte, die ihm lieber wären. Er nickte sogar, aber machte keine Anstalten, eines zu holen. Ich war verwirrt. Wozu dann die Aussage? Nach ein paar Sekunden, in denen er mich erwartungsvoll anschaute wie ein trauriger Hund, dämmerte es mir: Wollte er etwa, dass ich ihm einen Freifahrtschein für Sex ohne Kondom gab? Klar Jonas, zieh das Ding ab, kein Problem, wenn du mir Chlamydien gibst! Hauptsache dein Penis fühlt sich wohl.

Ich hätte zu diesem Zeitpunkt einfach abbrechen sollen, weil ich auch gar keine Lust mehr hatte. Aber ehrlich gesagt traute ich mich das nicht, ich wollte die Situation nicht noch unangenehmer machen. Dafür schäme ich mich bis heute, obwohl ich weiß, dass ich mir nicht die Schuld geben sollte. Ich beharrte darauf, dass wir weiterhin das „zu kleine“ Kondom verwendeten. Ich hatte aber die ganze Zeit das Gefühl, als würde ich ihn zu etwas zwingen, was er gar nicht will. Meinetwegen muss er ein Kondom tragen, ich Spielverderberin. Die Situation war mir so peinlich, dass ich unser Kennenlernen am nächsten Tag beendete. Es war nicht das erste Mal, dass ein Mann eine eigentlich intime Begegnung zu einem unnötig unangenehmen Erlebnis für mich machte. Auch Freundinnen erzählen mir andauernd Geschichten von Männern, die Sex mit Kondomen scheiße finden und ich frage mich, seit wann Verhütung für den Mann wieder out ist?

Während ich mich schon als Teenager über jede erdenkliche Verhütungsmethode schlau gemacht habe, meine Libido mit der Pille ruinierte, hunderte Euros für die Kupferkette ausgab, schaffen es manche Männer nicht einmal, passende Kondome zu kaufen. Ich weiß schon: Es gibt tatsächlich unterschiedliche Kondomgrößen. Die kann man aber mit einer Google-Suche ganz leicht berechnen. Man muss nur wissen, wie breit der Penis im erregten Zustand ist und das wusste jeder heterosexuelle Mann, mit dem ich jemals geschlafen habe, genauer als seine Blutgruppe. Umso mehr wundert es mich, dass so viele Typen trotzdem von „zu kleinen“ Kondomen reden. Oder stört sie gar nicht die Größe, sondern die Verhütung selbst?

„Mit Kondom spüre ich einfach nichts“ oder „Ich kann nicht kommen mit Kondom“ sind Sätze, die fast jede Frau in meinem Umfeld schon einmal von Sexualpartnern gehört hat. Freundinnen von mir mussten regelrechte Diskussionen mit Typen führen, die kein Kondom beim Sex tragen wollten, die teilweise gar keines mitgenommen hatten, weil sie davon ausgingen, dass sowieso mit Pille oder Spirale verhütet wird. Als wäre eine ungewollte Schwangerschaft das einzige Risiko, als gäbe es nicht unzählige Geschlechtskrankheiten, die man bekommen könnte. Die Fallzahlen sexuell übertragbarer Infektionen steigen in ganz Europa an, zeigt der neuste Report der EU-Gesundheitsbehörde ECDC mit Daten aus 27 EU-Ländern, der auch festgestellt hat: Die Verwendung von Kondomen nimmt ab.

Manchen Geschlechtskrankheiten kann man vorbeugen, doch auch hier sind Frauen mehr bemüht: Die kostenlose HPV-Impfung in Österreich wird von Männern deutlich weniger angenommen, dabei können sie genauso beim Geschlechtsverkehr HP-Viren übertragen, die im schlimmsten Fall Gebärmutterhalskrebs verursachen. Aber wozu sage ich das eigentlich, wenn ich doch weiß, dass manchen Männern ihr eigenes Wohlbefinden trotzdem immer wichtiger sein wird, weil sie in einer Welt leben, die ihnen genau das vermittelt.

Walter Weekes ist Host einer der bekanntesten misogynen Alpha-Male-Podcasts Fresh and Fit mit 1,5 Millionen Followern auf YouTube und sagt etwa, dass alleinerziehende Mütter selber schuld sind, weil sie den falschen Mann angezogen hätten. Nun kam heraus, dass Weekes eine junge Frau geschwängert und eine Abtreibung von ihr verlangt haben soll. Chatverläufe zeigen, dass die Frau ihn zuvor darum gebeten hatte, zu verhüten, er wollte aber kein Kondom verwenden: „It’s not the same.“ Solange Männer in allen Lebenslagen ihre Bedürfnisse rücksichtslos durchsetzen können, solange werden manche von ihnen diese Machtposition auch beim Sex ausnutzen.

Das erklärt für mich auch, warum es außer Kondomen und Vasektomie noch immer keine andere Verhütung für Männer gibt. Ich kann mich mit dem Beipackzettel der Antibabypille zudecken, so lang ist die Liste an heftigen Nebenwirkungen, währenddessen wurden etliche Forschungen zu hormonbasierten Verhütungsmethoden für Männer eingestellt – wegen genau solcher Nebenwirkungen. Seit Jahren soll die Pille für den Mann in greifbarer Nähe sein, aber die Wissenschaft scheint Männern die Hormone wohl einfach nicht zumuten zu wollen, die ich schon mit 15 Jahren verschrieben bekommen habe.

Tatsächlich muss ich aber auch sagen, dass ich nicht weiß, ob eine Männerpille mein Sexleben so sehr erleichtern würde. Ich glaube nicht, dass ich einem Mann, mit dem ich nicht in einer Beziehung bin, einfach so glauben könnte, dass er verhütet, wenn ich es nicht mit eigenen Augen sehen würde.

Manchmal, wenn ich mit einem Mann schlafe, den ich nicht gut kenne, taste ich während dem Sex den Intimbereich ab, um zu überprüfen, ob er das Kondom noch trägt. Ich mache das ganz unauffällig, weil der Mann das gar nicht mitbekommen soll, ich will mich nicht erklären müssen, weil ich glaube, dass sie meine Sorge nicht verstehen würden oder auch noch beleidigt wären. Es ist mir auch unangenehm, denn eigentlich hat mir keiner dieser Männer ein schlechtes Gefühl gegeben. Aber ich kenne zu viele schlimme Geschichten, das Misstrauen ist immer da. Selbst in so einem intimen Moment, wo ich mich eigentlich komplett fallen lassen könnte, wo ich alles fühlen sollte, nur kein Misstrauen, bleibt die Angst im Hinterkopf: Hat er das Kondom abgezogen?

Man nennt das Stealthing, wenn man ohne Konsens und heimlich das Kondom abnimmt. Damit macht man sich, wenn zuvor Geschlechtsverkehr mit einem Kondom vereinbart wurde, laut Justizministerium in Österreich strafbar. Mir ist das zum Glück noch nie passiert, aber etlichen anderen, in den USA waren laut einer Studie aus 2019 zwölf Prozent der Frauen zwischen 21 und 30 Jahren schon einmal betroffen. Viele melden solche Fälle nicht bei der Polizei, weil sie sich schämen oder nicht denken, dass ihnen jemand Glauben schenkt. Oft werden Verfahren zu Stealthing ohnehin eingestellt: Es fehlen die Beweise. Die Betroffene lebt mit den Folgen eines sexuellen Übergriffs, während der Mann vielleicht schon mit der nächsten Frau diskutiert, ob ein Kondom denn wirklich notwendig ist.

In BARE MINIMUM gibt die anonyme Autorin einen Einblick in das Datingleben einer heterosexuellen Frau in ihren Zwanzigern. Die Kolumne erscheint einmal im Monat, exklusiv für alle Steady-Abonnent*innen der Chefredaktion. Wir brauchen Abos, um unsere Zukunft langfristig zu sichern – die Zukunft von jungem und diversen Journalismus. Zahlt für unsere Arbeit und schließt ein Steady-Abo ab oder verschenkt eines! Einfach auf den Button klicken:

Mann der Woche

Unser Mann der Woche ist Yilmaz Gülüm, der zu desolaten Wohnungen in Wien recherchiert hat, die teuer an Geflüchtete vermietet werden, obwohl sie sich in menschenunwürdigem, teils gefährlichem Zustand befinden. An den Wänden ist Schimmel, die Kinder haben einen Hautausschlag aufgrund der Ungeziefer. Yilmaz hat uns durch ein solches Haus in Brigittenau geführt.

Tipp der Woche

Wenn ihr diese Kolumne am Sonntagabend lest, sitzt Anna gerade in der ORF-Sendung “Im Zentrum” und diskutiert mit Politikwissenschaftler Peter Filzmaier und anderen Gästen über Nichtwähler*innen in Österreich und wie man junge Menschen auf TikTok politisch aufklären und erreichen kann. Schaltet ein oder schaut euch die Runde im Nachhinein in der TVThek an:

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