Geschmacksfragen VIII
Gastfreundschaft
(Opens in a new window)Hier klicken, um die Folge anzuhören (Opens in a new window)
Ich mag es, Dinnerpartys zu geben. Eine Zeit lang war es sogar eine kleine Obsession von mir. Begeistert lud ich acht bis zehn Freundinnen und Freunde zu mir nach Hause ein, ging die besten Zutaten und große Blumensträuße einkaufen und kochte zwei Tage lang. Es gab immer fünf Gänge. Zu Weihnachten machte ich Kapaune, getrüffelten Kartoffelbrei und Pecan-Schokoladen-Tartes, im Sommer Himbeer-Pavlovas und einen ganzen Lachs. Ich backte sogar das Brot selbst, am liebsten Brioche und ein Sauerteig-Weizenbrot mit Kalamata-Oliven und Rosmarin.
Im Laufe der Pandemie habe ich das Gastgeber-Sein etwas verlernt und auch in meinem derzeitigen Leben, das sehr viel arbeitsreicher ist, als ich möchte, komme ich nur noch wenig dazu. Wenn ich heute einlade, dann in kleinerem Rahmen. Doch ich musste kürzlich an jene Dinnerpartys denken, als ich Will Guidaras interessantes Buch „Unvernünftige Gastfreundschaft“ las. Guidara betrieb lange das Eleven Madison Park in New York, eines der besten Restaurants der Welt. Dort wollte er seinen Gästen nicht nur jeden vorstellbaren Wunsch erfüllen, er wollte magische Momente kreieren. Ob es sich dabei um eine an das Essen anschließende Schlittenfahrt im Central Park handelte oder einen original amerikanischen Hotdog für den Touristen, der davon lange geträumt hatte. Gemessen an Guidara war meine Gastfreundschaft bei jenen Dinnerpartys überaus vernünftig gewesen.
Bei jenen Dinnerpartys ging übrigens immer etwas schief. Manchmal ging die Brioche nicht richtig auf, einmal schmeckte die Kerbelsuppe nach allem möglichen, nur nicht nach Kerbel. Ein anderes Mal löste sich der Flan nicht aus der Form. Aber egal, was passierte, immer saßen meine Freundinnen und Freunde um den großen Esstisch herum und redeten so angeregt miteinander, dass mir warm ums Herz wurde. Sie fanden es nicht so schlimm, wenn etwas nicht klappte, und wären auch mit dreien anstatt der fünf Gänge glücklich gewesen.
Der französische Philosoph Jacques Derridas glaubte übrigens, dass so etwas wie eine „bedingungslose“ Gastfreundschaft schlicht unmöglich sei. Aber er glaubte auch, dass die Erfahrung von Unmöglichkeit oft die einzige Möglichkeit darstellt, etwas überhaupt das zu erfahren. Wir können, mit anderen Worten, so lange versuchen, die perfekten Gastgeberinnen und Gastgeber sein, wie wir wollen. Es wird uns nicht gelingen. Doch es ist der Versuch, der zählt. Und diejenigen, die wir bewirten, werden sich willkommen fühlen und Gastfreundschaft erfahren, wenn sie merken, dass wir den Versuch ernsthaft unternehmen.
Was folgt ist ein Rezept für Lachsfilets mit einem grünen Linsen-Gemüse, das ich für die kleineren Runden, für die ich heute koche, sehr gerne mache. Man muss sich nicht tagelang darauf vorbereiten und hat trotz seiner Einfachheit hat es etwas sehr Luxuriöses. Und hat man jemanden Veganen zu Gast, serviert man anstatt des Lachses dicke Scheiben scharf angebratenen Kräuterseitlings.
Pro Person wäscht man dafür 75 Gramm grüne Linsen, am besten Le-Puy, gibt sie in eine Schüssel, übergießt sie mit kochendem Wasser und überlässt sie abgedeckt sich selbst. Währenddessen putzt man großzügig Zwiebeln, Porree, Karotten und Selleriewurzel und schneidet alles in kleine Würfel. Das Gemüse schwitzt man mit einigen Zehen kleingehacktem Knoblauch, viel frischem Thymian, ein paar Lorbeerblättern, Salz und Pfeffer bei mittlerer Temperatur in Olivenöl in einem großen gusseisernen Topf an, bis es weitgehend gar ist. Danach gießt man die Linsen durch ein Sieb gießen, lässt sie leicht abtropfen, vermischt sie mit dem Gemüse, tut den Deckel wieder auf den Topf und lässt das Ganze bei niedriger Temperatur noch einmal 10 bis 15 Minuten ziehen. Währenddessen wird pro Person ein Lachsfilet gesalzen und gepfeffert und in einer sehr heißen Pfanne mit der Hautseite nach oben ein bis zwei Minuten angebraten. Dann wird das Filet gewendet, ein Deckel auf die Pfanne getan und der Lachs auf der Hautseite bei mittlerer Temperatur 5 bis 6 Minuten weitergegart. Zum Schluss richtet man das Lachsfilet mit ein paar frischen Lorbeerblättern auf den Linsen an.
Fast alle Menschen, die ich kenne, lieben dieses Gericht. Wenn es bei der Gastfreundschaft der ernstgemeinte Versuch ist, der zählt, dann ist dieses Gericht, einer der schönsten, die ich kenne.