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#2: Schreiben, lesen, Dirty Talk

Schreiben ist hearte Arbeit. Es geht aufs Herz.

Besonders dann, wenn die Motivation fehlt - und ich rede hier nicht von Rechnungen oder Deadlines. Zum Schreiben braucht es viel weniger Kreativität, Struktur, Disziplin oder Talent, als man denkt. Klar, diese Dinge sollten vorhanden sein. Aber sie helfen dir kein Stück, wenn du dich nicht zum Gang an den Schreibtisch motivieren kannst.

Diese Woche habe ich keine Energie, keine Einfälle. Aber eine verdächtig große Menge an Motivation. Das liegt zu einem großen Teil daran, dass sich so viele Menschen initial zu diesem Newsletter angemeldet haben. Danke 🥹 Und zu einem anderen großen Teil daran, dass sich viele unterschiedliche Projekte in der Schwebe der Entstehung befinden. Projekte, die ich euch hoffentlich (hier zuerst, hehe) irgendwann ankündigen kann, damit ihr sie lesen oder hören könnt!

Aber einen nicht unwesentlichen Teil meiner Schreib-Motivation ziehe ich aus dem Schreiben der anderen. Momentan besonders aus dem Buch-Manuskript einer lieben Freundin, das ich am liebsten in einem Haps lesen würde, obwohl es bisher nur als PDF auf meinem Rechner existiert. Und Buch lesen im PDF geht eigentlich gar nicht klar. Mir aber von den ruhigen, geordneten Gedanken der Protagonistin dieses Buchs den eigenen Kopf aufräumen zu lassen, bringt mich jedes Mal in Schreib-Laune. Dann schließe ich das PDF-Fenster und öffne energisch ein Doc-Fenster, in das ich selber Worte tippen kann. Manchmal kommt sogar etwas Leserliches dabei raus.

Apropos unleserlich, das ist auch etwas, das ich wie die Motivation beim Schreiben lange unterschätzt habe: der Ausschuss. Niemals Angst vor zu viel Ausschuss haben. Denn die Alternative ist, nur dann zu schreiben, wenn wirklich etwas dabei herauskommen muss. Und dann fehlt einem die Übung. Die ruhige Hand, die Schreibmuskulatur.

Jedenfalls gibt es unter Blog heute quasi Ausschuss zu lesen. Einen Artikel, der so wie er ist, nicht erscheinen wird. Die meisten Texte haben viele dieser Geister-Versionen, die zwischen leerem Dokument und Veröffentlichung gelebt haben. Meistens werden sie vergessen, aber heute machen wir eine Ausnahme!

Blog

Hier bitte nur kontrollierter Kontrollverlust - Was die Deutschen beim Dirty Talk mögen, ist eine Frage der Sicherheit

Wir leben in verunsichernden Zeiten. Das zeigt sich nicht nur durch einen Blick auf die Weltnachrichten, sondern auch auf die Kurznachrichten. Und zwar die von der riskanteren Sorte. Eine Studie stellt heraus, die Deutschen genießen ihren Dirty Talk - mündlich wie schriftlich - lieber auf der sicheren Seite: auf Deutsch nämlich und mit Menschen, bei denen sie damit garantiert offene Türen einrennen. Aber heißt das, im Zweifel halten sich alle beim heißen Flirt zurück?

Nicht nur das Private, sondern auch das Privateste ist politisch. Oder spiegelt wenigstens wider, wie viel Nerven eine Gesellschaft angesichts ihrer politischen Lage gerade noch hat. Aktuell haben wir wohl nicht mehr genug übrig, um im privaten Rahmen eine gewisse Risikofreude an den Tag zu legen. Zumindest könnte das die Ergebnisse einer Studie über das Dirty-Talk-Verhalten der Deutschen erklären, die Babbel gemeinsam mit YouGov im Februar 2025 durchgeführt hat. Babbel ist ein Berliner Unternehmen, das sich zum Ziel gesetzt hat, den Deutschen das Erlernen von Fremdsprachen näherzubringen. 

Dirty Talk sei wie eine Fremdsprache innerhalb der Alltagssprache, erklärt Maren Pauli, Head of B2B Didactics bei Babbel, in einem Interview über die Ergebnisse Studie. Man bewege sich außerhalb der Komfortzone, wenn es darum ginge “ganz bewusst freizügige, provokante, vielleicht auch vulgäre oder sexuell explizite Sprache zu verwenden. Und zwar mit dem Ziel, die Intimität oder die Erotik zwischen Partnern zu steigern”, so Pauli über die Definition von Dirty Talk in besagter Umfrage.

Da es Babbel um das anwendungsbezogene Sprachenlernen ginge, scheue man sich also nicht, auch die Anwendungsbereiche näher unter die Lupe zu nehmen, über die öffentlich oft geschwiegen wird, obwohl sie Teil unseres Alltags seien. Und zum Flirt-Alltag der Deutschen scheint Dirty Talk tatsächlich zu gehören. Wenngleich die Ergebnisse der Umfrage nahelegen, dass die Lust auf explizite Kommunikation stark mit dem Alter und Beziehungsstatus der Befragten zusammenhängt. Und - etwas weniger stark - mit dem Geschlecht.

Während 42% der über 2000 Befragten angeben, dass Dirty Talk zu ihrem kommunikativen Repertoire gehöre, ist der Anteil der Männer, die finden, dass explizit ausgesprochene Fantasien ihr Gegenüber attraktiver macht, mit 30% deutlich höher als der der Frauen (18%). Frauen scheinen aber nicht nur weniger darauf zu hoffen, dass ihr*e Flirtpartner*in mit schlüpfrigen Bettgeflüster um die Ecke kommt, sondern auch, dass sie selbst dazu nicht den ersten Schritt machen müssen: ein Großteil (40%) der befragten Anwenderinnen berichtet davon, dass es sie Überwindung kostet, mit dem Dirty Talk zu beginnen.

Die Angst vor Zurückweisung, wenn man sich flirttechnisch mal aus dem Fenster lehnt, kennen alle Geschlechter. Den Kampf gegen die Scham, die vom alten Rollenbild der sexuell passiven Frau ausgelöst wird, kennt vor allem der weibliche Teil der Bevölkerung. Ungeklärt bleibt nur die Frage, ob sie sich immer noch schämen oder schon wieder, Dank neu erstarkendem Konservativismus.

Dass es aktuell in der Anbahnung von Intimitäten wieder zurückhaltender zugeht, scheint durch die mit sinkendem Alter der Befragten ansteigende Hemmschwelle gegenüber Dirty Talk zu bestätigen. Trotz Lust äußern fast die Hälfte der jungen Studienteilnehmenden (18- bis 24-Jährige) ihre Scheu, beim heißen Flirt den Anfang zu machen. Und das, obwohl ihr Dirty Talk sich mit höherer Wahrscheinlichkeit als bei den Älteren in Form von Sexting realisiert. Also geschützt durch die räumliche Distanz zwischen den Bildschirmen der Beteiligten.

Denn Dirty Talk sei - trotz der Betonung auf “Talk” - mitnichten ein rein mündliches Phänomen, berichtet Pauli. Tatsächlich könne das häufige Vorkommen in Textnachrichten wahrscheinlich dadurch erklärt werden, dass Dirty Talk beliebter wird, je jünger die Befragten sind. Allerdings könnte unter den Jungen auch der Anteil der Singles, die aktiv nach Flirts und Dates suchen, höher sein. Und da laut Studie Dirty Talk bei Befragten in monogamen Langzeitbeziehungen deutlich seltener Anwendung findet (46%) als beim Dating (78%), spricht die anteilig große Ungebundenheit jüngerer Menschen auch für mehr Gelegenheiten zum anregenden Austausch über Sex und Vorlieben. Und ein modernes Kennenlernen zwischen Singles findet häufig ebenfalls auf Apps und an Bildschirmen statt. Eigentlich eine Umgebung, in der es leichter fallen sollte, sich mal mit einer sexuellen Fantasie um die Ecke zu trauen.

Und wenn man sich schon traut, dann am liebsten auf Deutsch, stellt die Babbel-Untersuchung heraus. Auch wenn die Befragten durchaus den romantischen Klischees entsprechend Französisch und Italienisch als besonders attraktive Sprachen bewerten, wird Deutsch als Sprache für erregenden Austausch bevorzugt. Expertin Maren Pauli vermutet dahinter den Wunsch nach Sicherheit und Angemessenheit im Ausdruck in der eigenen Muttersprache. Offenbar will niemand das doppelte Risiko eingehen, sich nicht nur wegen des sexuellen Vorstoßes, sondern auch wegen der möglicherweise fehlerhaften Fremdsprachenkenntnisse zu blamieren. Dass Deutsch nicht zwingend die (einzige) Muttersprache von Befragten in Deutschland sein muss, sondern einfach die Sprache ist, mit der man sich am wahrscheinlichsten mit anderen Menschen in diesem Land verständigen kann, ließ die Studie allerdings außer Acht.

Sich sexy ausdrücken zu können ist wahrscheinlich für gelungenen Dirty Talk genauso wichtig, wie einander zu verstehen. Zu Kommunikationsschwierigkeiten kommt es trotzdem: Ungefähr jede siebte befragte Frau gab an, durch den Dirty Talk ihres Gegenübers schon einmal herabgewürdigt worden zu sein, was von männlichen Befragten nur halb so oft berichtet wurde. Dass ein gutes Fünftel der Frauen sich durch die mitgeteilten Fantasien in eine traditionell-devote Rolle zurückgedrängt fühlte und ein Viertel von ihnen schon einmal durch unangekündigte verbale sexuelle Avancen “überrumpelt” wurde, zeugt von mangelnder Rücksichtnahme beim erhitzten Zusammentreffen der Geschlechter.

Expertin Pauli ruft zu Langsamkeit und Umsicht im Vorgehen auf: “Es geht darum, sprachlich ein bisschen Sensibilität zu zeigen [...] und das gilt in jedem Bereich: eine Ablehnung oder negative Reaktion nicht persönlich zu nehmen.”

Deutlich wird also, wer sprachlich die Sau rauslassen will, muss das mit einer gewissen Rücksicht tun und Sicherheit vermitteln. Sonst ziehen sich die deutschen Dirty Talker von ihm oder ihr zurück. Der heiße Flirt - beim Date wie auch im gemeinsamen Schlafzimmer - soll ja wahrscheinlich für die meisten eine Ablenkung von Konflikten um uns herum bieten, anstatt zu einem weiteren zu werden. Auch wenn das auf Kosten der Abenteuerlichkeit geht. 

Empfehlung

Passend zur Frage, welche Herausforderungen Flirt, Dirty Talk und andere hoch emotionale Gespräche für uns bereit halten, heute ein Buch-Tipp zum Thema Scham:

Übrigens sind Matthias und ich uns bei der LitPop in Leipzig quasi hinter der Bühne begegnet und haben beschlossen: zusammen, was zusammen gehört! Und damit meinten wir unsere Bücher 😉

Berliners, stay tuned für eine gemeinsame Lesung & Gespräch mit Matthias und mir diesen Herbst!

Kontakt

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Danke für’s Lesen und liebe Grüße von

Cleo

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Topic Cleographie

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