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Gemeinsam im Fluss

Wie Labans Ausdrucksqualitäten (Efforts) Musik, Emotion und Bewegung im Chor verbinden

In vielen Chören, die neben dem Singen auch tanzen, wird oft von einer Herausforderung berichtet: Musik, Bewegung und Emotionen werden als getrennte "Spuren" wahrgenommen. Das Singen folgt der Melodie, der Text erzählt die Geschichte – und parallel dazu laufen Bewegungen ab, die häufig mechanisch wirken. Alles zusammenzuführen, erscheint oft schwierig und wird nicht selten als Überforderung empfunden. Doch genau hier können die Ausdrucksqualitäten nach Rudolf von Laban helfen.

Labans Prinzipien bieten eine Brücke zwischen Musik, Bewegung und Emotion: Alle drei folgen denselben Dynamiken. Über die Ausdrucksqualitäten wachsen Musik, Bewegung und Emotion zusammen, folgen denselben Regeln und bereichern sich gegenseitig. Das Ergebnis: Das Singen wird körperlicher, das Tanzen musikalischer, und beides wird emotionaler.

Eine kurze Erklärung der Laban-Efforts

Die Ausdrucksqualitäten oder Efforts nach Rudolf von Laban beschreiben die charakteristische Dynamik von Bewegungen. Sie basieren auf grundlegenden körperlichen und emotionalen Ausdrucksformen. Hier sind die acht Efforts mit deutscher Übersetzung, Grundideen und passenden Emotionen:

  • Flick (Schnippen, Zucken): Schnell, leicht, impulsiv und flüchtig.

    • Emotion: Aufgeregtheit, Leichtigkeit, Verspieltheit.

    • Beispiel: Ein plötzlicher Moment der Freude oder Überraschung.

  • Dab (Tupfen, Antippen): Direkt, präzise und kontrolliert.

    • Emotion: Vorsicht, Präzision, Neugier.

    • Beispiel: Die vorsichtige Neugierde, wenn man etwas Unbekanntes entdeckt.

  • Slash (Schleudern, Reißen): Groß, chaotisch, kraftvoll und unkontrolliert.

    • Emotion: Wut, Verzweiflung, Rebellion.

    • Beispiel: Ein Ausbruch von Frustration oder das Durchbrechen von Grenzen.

  • Punch (Stoßen, Schlagen): Kraftvoll, direkt und entschlossen.

    • Emotion: Entschlossenheit, Kampfgeist, Stärke.

    • Beispiel: Der kraftvolle Ausdruck von „Jetzt reicht's!“ oder der Wille, etwas zu erreichen.

  • Press (Drücken): Langsam, intensiv, stabil und kontrolliert.

    • Emotion: Anstrengung, Beharrlichkeit, Tiefe.

    • Beispiel: Die tiefe Konzentration oder das Bemühen, eine schwierige Aufgabe zu lösen.

  • Wring (Auswringen): Langsam, verdreht und intensiv.

    • Emotion: Schmerz, Verzweiflung, Konflikt.

    • Beispiel: Ein inneres Ringen mit schwierigen Gefühlen oder Entscheidungen.

  • Glide (Gleiten): Weich, fließend und direkt.

    • Emotion: Zufriedenheit, Eleganz, Ruhe.

    • Beispiel: Ein Moment des Friedens, wenn alles im Einklang ist.

  • Float (Schweben, Treiben): Leicht, schwebend, träumerisch und mühelos.

    • Emotion: Träumerei, Leichtigkeit, Gelassenheit.

    • Beispiel: Das Gefühl von Freiheit und Loslassen.

Die Efforts können in zwei grobe Gruppen eingeteilt werden:

  • Pointiert (präzises/energetisch): Flick, Punch, Dab, Slash.

  • Fließend (weich/kontinuierlich): Glide, Float, Press, Wring.

Jeder Effort steht für eine spezifische Energie, die in Bewegung, Musik und Ausdruck spürbar wird. Häufig dominiert in einem Lied ein Bewegungsmuster, das den Charakter der Musik unterstützt. Es gibt jedoch auch Gestaltungsmöglichkeiten, die Efforts pro Phrase, Strophe, Refrain oder Takt variieren und kombinieren. Diese Flexibilität ermöglicht es, dynamische und ausdrucksstarke Interpretationen zu entwickeln.

Das Problem: Getrennte „Spuren“ von Musik, Bewegung und Emotion

Singen und Tanzen gleichzeitig – das klingt erst einmal nach einer Selbstverständlichkeit. Doch viele Chormitglieder erleben die Kombination als schwierig. Das Singen verlangt Konzentration auf Melodie, Rhythmus und Text. Bewegung hingegen wird oft als zusätzliche Aufgabe empfunden, die losgelöst von der Musik abzulaufen scheint. Emotionen wiederum bleiben oft auf der Strecke, weil sie nicht organisch eingebunden sind. Diese Trennung kann zu:

  • mechanischen Bewegungen führen, die keinen Bezug zur Musik haben,

  • einem kopflastigen Singen, das wenig körperlichen Ausdruck hat, und

  • einem Gefühl von Überforderung, das den Spaß an der Performance schmälern kann.

Die Folge: Musik, Bewegung und Emotion wirken wie getrennte Ebenen, die nicht wirklich zusammenfinden.

Labans Gestaltungsqualitäten als verbindendes Element

Mit Laban entwickeln wir eine Sprache, die alle Ebenen umfasst: Musik, Ausdruck, Sprache und Bewegung. Dadurch verschmelzen diese Ebenen organisch miteinander. In der praktischen Umsetzung im Chor-Alltag geht es jedoch nicht darum, komplette Songs auf diese Weise durchzuchoreografieren. Der Fokus liegt vielmehr auf Aspekten, die dem Chorleitenden unstimmig erscheinen und qualitativ verbessert oder synchronisiert werden sollen.

Das können z. B. sein:

  • Einstiege in eine Phrase, die prägnanter gestaltet werden sollen,

  • Endungen, die klarer oder musikalischer klingen könnten,

  • Betonungen und dynamische Akzente, die verstärkt werden müssen,

  • Phrasen, die unorganisch oder unmusikalisch wirken und mehr Kohärenz brauchen,

  • Bewegungen einer Choreografie, die nicht zur Musik passen,

  • Emotionen, die im Klang nicht hörbar sind, oder

  • Phrasen, die mehr Körperlichkeit und Ausdruck verlangen.

Mit gezielten gestischen Grundmustern können diese Bereiche direkt und effektiv bearbeitet werden, um eine harmonische Verbindung zwischen den Ebenen zu schaffen.

Die Vorteile für den Laienchor

Labans Ansatz hilft, die Kluft zwischen Musik, Bewegung und Emotion zu überwinden, und bietet viele Vorteile:

Für das Singen:

  • Singen wird körperlicher. Die Gestaltungsqualitäten helfen, musikalische Dynamik und Phrasierung mit dem Körper zu erleben.

  • Dynamik und Ausdruck werden verstärkt, da sie nicht nur gehört, sondern auch gespürt werden.

Für das Tanzen:

  • Bewegungen werden musikalischer, da sie auf dieselben Prinzipien wie die Musik abgestimmt sind.

  • Fluss und Intensität der Bewegungen passen sich harmonisch an die Musik an.

Für die Emotionen:

  • Emotionen werden sicht- und fühlbar. Die Efforts geben ihnen eine klare Struktur und helfen, sie körperlich auszudrücken.

Für das Zusammenspiel:

  • Musik, Bewegung und Emotion wachsen zu einer Einheit zusammen und unterstützen sich gegenseitig.

  • Der Gesamtauftritt wird ausdrucksstärker und wirkt stimmiger.

Fazit und Ausblick

Labans Gestaltungsqualitäten bieten einen klaren, intuitiven Weg, um Musik, Bewegung und Emotion im Chor zu vereinen. Sie schaffen nicht nur ein besseres Verständnis für die Ebenen, sondern auch für deren Zusammenspiel. Das Ergebnis ist ein Chorerlebnis, das körperlich, musikalisch und emotional gleichermaßen bereichert.

Wer war Rudolf von Laban?

Rudolf von Laban (1879–1958) war ein ungarischer Choreograf, Tanzpädagoge und Theoretiker. Er gilt als einer der Begründer des modernen Ausdruckstanzes und entwickelte ein umfassendes System zur Analyse von Bewegung, das unter dem Begriff "Laban-Bewegungsstudien" bekannt ist. Seine Theorien finden bis heute Anwendung in Tanz, Theater und Pädagogik.Probiert es aus! Lasst euren Chor tanzen, singen und fühlen – gemeinsam im Fluss.

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