Patriarchat, Macht und Bauch: Männer und Bodypositivity

Bildnachweis: Dall-E nach einem Prompt von Christian Spließ
Es liegt einfach an der Heuchelei der Gesellschaft: Während Frauen stets unter den kritischen Augen der Öffentlichkeit sich über ihr Gewicht, ihre Zunahmen und Abnahmen rechtfertigen müssen, ist das bei Männern ein entspannteres Thema. Jedenfalls was die Berichterstattung anbelangt. Denn selten finden sich Schlagzeilen über die Zu- oder Abnahme von Prominenten. Sobald allerdings jemand wie Adele oder Whoopy zu- oder abnimmt läuft die Tratschpresse auf Hochtouren.
Auch im normalen Alltag - wobei: was ist schon normal - werden Frauen eher kritisiert, nein, moment, das stimmt nicht. Sie werden beleidigt, beschimpft und teilweise geht das tatsächlich auch in den Bereich der tätlichen Gewalt.
“Dreimal wurde ich in den vergangenen zwei Jahren beim Gassigehen mit meinem Hund von Männern verfolgt und musste nach Hause rennen.” Das erzählte Luise Demirden neulich noch der TAZ. (Opens in a new window)
Männer dagegen haben es einfacher, die Gesellschaft ist bis zu einem gewissen Grade toleranter was das betrifft. Ein paar Kilo zu viel sind nicht weiter tragisch, es ist der klassische “Bierbauch”, der Beweis dafür, dass Mann trinkfest ist. Das wiederum gehört ja zum klassischen Bild des Mannes: Wer etwas verträgt, der ist männlich. Mit dem “Dadbot” findet sich als Körperideal dann ein männlicher Körper, der nicht mehrgewichtig ist, aber auch nicht überaus trainiert oder muskulös erscheint.
Was hier aufscheint: Das Patriarchat. Wer die Macht hat, der bestimmt natürlich auch inwieweit die Regeln für einen “gesunden Körper” für ihn gelten. Für Andere sind das meistens strengere als für einen selbst. Zudem akzeptiert die Gesellschaft mehrgewichtige Männer in Führungspositionen eher als mehrgewichtige Frauen. Vielleicht erinnert man sich dunkel daran, dass Helmut Kohl zwar jedes Jahr zum Abnehmen an den Wolfgangsee reiste, dass aber ansonsten kaum über Zu- oder Abnahmen in der Presse spekuliert wurde. Das Amt des Bundeskanzlers scheint noch einen gewissen Respektbonus gehabt zu haben, der allerdings auch heute ins Schwanken gerät.
Heute schwingt beim Thema Bodypositivy und Männer noch etwas Anderes mit, was vielleicht auch dazu führt, dass Männer das Thema allenfalls mit der Kneifzange anfassen: Wer das traditionelle Sixpack in Frage stellt, wer Emotionen zeigt und wer darüber hinaus über seinen Körper reflektiert - der ist WOKE! Das ist bekanntlich schlimmer als aufgeklärt zu sein. Da ist man mitten drin im angeblichen “Kulturkampf”. Wer sich öffentlich mit Themen beschäftigt, die als “unmännlich” gelten, hat zudem schnell den Ruf des “Homos” weg. Ein richtiger Mann pflegt zwar seinen Körper, aber nach dem After-Shave ist Schluss. Primer, Foundation und Conditioner - Weibeszeug!
Männer haben es leichter, was den Bauch betrifft, keine Frage. Allerdings lastet auch auf uns ein Druck, der stellenweise dann deutlich wird, wenn es um die Fitness an sich geht, wenn es um die Fragen nach Emotionen geht und vor allem wenn es darum geht in die Gesellschaft zu passen. Bis zu einem gewissen Kilograd geht das noch. Da wird der Bierbauch lächelnd zur Kenntnis genommen, aber auch bei Männern stehen mehrgewichtige Körper in der Kritik, ja, mehrgewichtige Männer sind ein Angriff auf das traditionelle Bild des gestählten, immer topfitten, ausdauernden Mannes, der für sich alleine sorgen kann, niemals Hilfe braucht und keine Emtionen kennt. Dass hier auch natürlich noch nazistische Vorstellungen davon wie der Körper zu sein hat mitschwingen - das wird seltsamerweise nicht thematisiert. Aber das Wort “gestählt” etwa hat schon einen gewissen Kontext. (Opens in a new window)
Solange wir uns nicht bewusst machen, dass das Patriarchat eine doppelte Moral installiert hat, die Frauenkörper sofort zum Objekt der Schmach machen, während Männerkörper eine tolerierte Bandbreite genießen - solange wir uns nicht bewusst machen, wie sehr das Männerbild veraltet ist - solange wir uns bewußt machen, wo die Wurzeln für die Bodypositivity-Bewegung lagen … solange dürfen wir uns auch nicht Wundern, wenn kaum Männer das Thema auf dem Schirm haben. Denn für sie ist eine andere Welt als für die Frauen. Es betrifft uns ja auch gar nicht. - Das war Sarkasmus.