Kartelle aus Familiengerichten und Jugendämtern? Eine aktuelle Studie bestätigt, was Mütter seit Jahren berichten

Über die Studie: Macht und Kontrolle in familienrechtlichen Verfahren in Deutschland – Eine Analyse medialer Falldokumentationen. Die Studie des Hamburger Soziologen Wolfgang Hammer erschien anlässlich des Tages der Kinderrechte am 20. November und dem Tag gegen Gewalt an Frauen am 25. November 2024.
Von Tina Steiger
Seit Jahren berichten Mütter nach häuslicher Gewalt von Schikanen im deutschen Familienrechtssystem, von Maßnahmen, die den Gewaltschutz aufheben und von Beschlüssen, die Rechte von Vätern über die Schutzrechte von Müttern und Kindern stellen. Wie kann das sein?
Zum ersten Mal wurde im November innerhalb der oben genannten Studie nachgewiesen, dass viele Jugendämter und Familiengerichte eine vorurteilsgeleitete Grundannahme gegenüber Müttern aufweisen. Diese lautet, die Mütter würden die Gewalt nur erfinden, sie wollten die Kinder vom Vater fernhalten (entfremden) und wollten sich bei Gericht einen Vorteil erwirken.
Gewaltzahlen sprechen für die Aussagen der Frauen
Angesichts der Gewaltzahlen, die das Bundeskriminalamt am 25. November 2024 im Bundeslagebild zu geschlechtsspezifisch gegen Frauen gerichtete Gewalttaten vorstellte, ist eine vorurteilsgeleite Negativannahme gegenüber Aussagen von Frauen ein Schlag ins Gesicht für Betroffene. Die nachstehenden Zahlen dienen als Überblick und bilden lediglich das sogenannte Hellfeld angezeigter und juristisch erfasster Daten ab. Die Zahl der Fälle, in denen Frauen nicht anzeigen, wird jedoch mit einer Zahl angenommen, die etwa acht mal höher ist, als die nachfolgend aufgeführten. Eine Vorverurteilung als Lügnerinnen, die die Gewalt nur erfinden würden, ist damit eine ernstzunehmende Verletzung der Schutzrechte von Frauen bei Gewalt.
Gewalt in Zahlen (Hellfeld juristisch erfasster Taten):
52.330 weibliche Opfer bei Sexualstraftaten
180.715 weibliche Opfer bei Häuslicher Gewalt
938 weibliche Opfer bei Femizidversuchen, davon 360 getötete Frauen
17.193 weibliche Opfer bei Digitaler Gewalt
Insgesamt eine Zunahme von Gewalt gegen Frauen im Vergleich zum Vorjahr um 5,6 Prozent
Fast jeden Tag stirbt inzwischen eine Frau in Deutschland
Alle drei Minuten erleidet eine Frau in Deutschland Gewalt
Quelle:
https://www.bka.de/DE/AktuelleInformationen/StatistikenLagebilder/Lagebilder/StraftatengegenFrauen/StraftatengegenFrauen_node.html (Opens in a new window)Ignorieren Gerichte und Jugendämter diese Gewalt oder negieren sie, verletzt das den grundgesetzlich garantierten Gleichheitsgrundsatz und nimmt Betroffenen die Chance auf ein faires Verfahren.
Die neue Studie von Dr. Wolfgang Hammer mit dem Titel „Macht und Kontrolle in familienrechtlichen Verfahren. Eine Analyse medialer Falldokumentationen“ bildet die Auswertung von 154 familienrechtlichen Fällen ab die lokale, regionale und bundesweite Medien unabhängig voneinander recherchiert haben. Darunter zu finden sind 49 Investigativrecherchen. Die Analyse basiert auf 269 Quellen.
Unzureichender Schutz infolge familiengerichtlicher Verfahren – in 12 Prozent der Fälle führten sie zum Tod der Mütter und Kinder
Die recherchierten Fälle inkludieren zudem 19 Tötungsfälle von Müttern und Kindern, die im Zusammenhang mit Sorge- und Umgangsrechtsverfahren stehen. Diese Fälle machen in dieser Recherche einen Anteil von 12 Prozent aus. Das spiegelt wider, wie oft im Fall von Femiziden die Rede davon ist, dass die Mutter bereits bei Polizei, Jugendamt und Gericht Schutz ersucht hat, eine Umgangsregelung zugunsten des Vaters dem jedoch entgegenstand. Die Frauen und auch Kinder starben, weil ihr Schutzgesuch nicht ernst genug genommen wurde und infolgedessen abgelehnt wurde. Der institutionell begleitete Zugriff der Täter kostet Leben.
Die Studie benennt die Probleme in Familiengerichtsverfahren
Beispiel “Hochstrittigkeit.
In einer Mehrheit der untersuchten Fälle ist von Hochstrittigkeit der Eltern die Rede. Der Konflikt wird auf Elternebene verortet und die Annahme lautet, beide Eltern hätten einen Anteil am “Streit”. Belege der Mutter über vorliegende Gewalt werden in der Regel nicht berücksichtigt und einer Amtsermittlungspflicht nicht nachgekommen. Sie solle “die Vergangenheit ruhen lassen”. Liegt Gewalt durch den Partner vor, handelt es sich um ein Täter-Opfer-Verhältnis. Die Gewalttaten stellen keinen Streit auf Beziehungsebene dar, sondern Straftaten. Diese werden von einer Person zum Erhalt von Macht und Kontrolle verübt. Die Mutter als “am Streit beteiligt” einzuordnen, spricht ihr Schutzrechte ab und gefährdet Mutter und Kinder im Verfahren. Dr. Hammer und sein Team schreiben dazu in der oben genannten Studie:
Die Bezeichnung „Sorgerechtsstreitigkeiten“ oder „Hochstrittigkeit“ im Familienrecht führt zu einer unwillkürlichen Symmetrisierung – beide Elternteile hätten gleichermaßen ihren Anteil an der Situation. Es ist daher geboten, diese Bezeichnungen aufzulösen, da ein Ergebnis dieser Symmetrisierung die Verschleierung bzw. Verharmlosung möglicher Motivationen eines Täters sein kann. Die Kategorisierung als „Sorgerechtsstreitigkeit“ oder als „Elternkonflikt“ und die damit erfolgende Symmetrisierung (Schuld tragen beide Eltern, „er sagt, sie sagt") können eine Hebelwirkung für die Macht und Kontrollbedürfnisse des Vaters zu Lasten der Kinder bilden. Die Symmetrisierung ist ein künstliches Konstrukt, das substantiierte Sachverhalte regelrecht „vernebeln“ kann und der gesetzlich verankerten Pflicht zur gründlichen Sachaufklärung von Amts wegen widerspricht.
Beispiel “Umgangsermöglichung für Täter”.
Wolfgang Hammer schreibt in seiner Studie von einer “Doktrin der Vorannahme der Förderlichkeit des Umgangs unter allen Umständen”. Familiengerichte, Jugendämter, Verfahrensbeiständ:innen, Umgangspfleger:innen und andere Verfahrensbeteiligte gehen von einer zwingenden Förderlichkeit des Umgangs des Kindes mit dem Kindsvater aus. Das führt soweit, dass auch in Fällen von nachgewiesener Gewalt am Kind und Verurteilungen des Vaters deswegen, Kinder weiterhin Umgang zum Vater haben sollen. Selbst in Fällen von Femiziden, also der Tötung der Mutter, wird ein Umgang der Kinder mit dem Vater im und nach dem Gefängnis unterstützt.
Wer die Begründung dazu verstehen möchte, der muss tiefer in das Rechteverständnis “am Kind” und den den sogenannten Kindeswohlbegriff eintauchen, als wir es in diesem Beitrag tun. Kurz gefasst liegt ein Grund in der Annahme, eine Familie solle auch nach einer Trennung “untrennbar miteinander verbunden sein”. Was nichts anderes bedeutet, als das es einer Mutter erschwert werden soll, sich zu trennen und den Kontakt zum Vater auch für die Kinder abzubrechen. Dahinter liegen neben einer überholten Annahme der kindlichen Entwicklung und der veralteten Annahme einer unbedingten Förderlichkeit eines männlichen Vorbilds Strukturen von Machterhalt für die Rolle des Mannes und Vaters in der Familie und demzufolge ein patriarchales Wertewertständnis der Gesellschaft. Diese Annahme weiterhin auch auf Gewalttäter anzuwenden und ihnen das Recht zu gewähren, ihre Kinder um jeden Preis und ungeachtet von Vorgeschichte und Schutzrechten von Mutter und Kindern zu sehen, ist ein Relikt misogyner Behandlung von Frauen vor deutschen Gerichten, ähnlich wie Paragraph 218 oder bis 1997 die Nicht-Strafbarkeit von Vergewaltigung in der Ehe.
Beispiel “Parental-Alienation/PAS-Vorannahme”.
Wolfgang Hammer und sein Team setzen sich in der vorliegenden Studie eingehend mit der sogenannten PAS-Vorannahme auseinander. Diese geht davon aus, die Mutter wolle als Hauptbezugsperson des Kindes einen Kontakt oder eine Ausweitung des Umgangs zum Vater grundsätzlich und aus persönlichen Gründen heraus verhindern. Die Studie zeigt, dass diese Annahme über Mütter einen zentralen Stellenwert bei Jugendämtern und in familienrechtlichen Verfahren haben kann.
In der Untersuchung heißt es dazu: “Diese simple Behauptung garantiert Mitgefühl und Empörung. Sie wird von Väterrechtlern über Medienkampagnen verbreitet und in politischen Kontexten genutzt. Die Berichterstattungen decken auf, dass diese Behauptung, die auf dem „Parental Alienation Syndrom“ (PAS/Eltern-Kind-Entfremdung) beruht, zu einer Annahme geworden ist, die einer Vorverurteilung der Mutter bei Jugendämtern und in Familiengerichten gleichkommen kann. Die „PAS-Vorannahme“ kann demgemäß handlungsleitend in Jugendämtern und familienrechtlichen Verfahren sein. Argumentiert wird dabei wahlweise etwa mit der „Entfremdung des Kindes vom Vater“, einer „Bindungsintoleranz“ der Mutter, einer „symbiotischen Mutter-Kind-Beziehung“ oder einer „psychischen Störung“ der Mutter. Das Ergebnis ist das gleiche: Die Mutter ist ein Störfaktor in der Beziehung des Kindes zum Vater. Die Berichterstattung zeigt auf, dass jeder Verfahrensschritt der Bestätigung der PAS-Vorannahme dienen kann – zu Lasten der Sachaufklärung in familienrechtlichen Fällen. Selbst gegenteilige Evidenzen können diese Vorannahme nicht widerlegen. Sie setzt einen Automatismus in Gang, der Kinder und Mütter gefährdet. Die Folgen für die Kinder sind Leben in Zwangswechselmodellen, Inobhutnahmen, häufig unter Anwendung von staatlicher Gewalt, Heimunterbringungen und Umplatzierungen zum Vater, Zwangsumgänge und in möglichen Fallgeschehen Tötungen.”
Insgesamt spricht die Studie von Absprachen, vorgefertigten Mustern und Strukturen, die die Sicherheit von Frauen und Kindern gefährden. Dabei zeigen die untersuchten Fälle, dass eine Kindeswohlgefährdung durch die Mutter in keinem der untersuchten Fälle vorlag und stattdessen konsequent ein konstruierter Vorwurf ist, der eingesetzt wird, um das Kind von der Mutter weg dem Vater (Täter) zuzuführen.
“In keinem der in der Medienberichterstattung dokumentierten Fälle gab es eine Kindeswohlgefährdung durch die Mutter. Kindeswohlgefährdungen wurden anhand von Gutachten „kreiert“ und mit den Begriffen der PAS-Vorannahme begründet. In 147 der 154 analysierten Fällen werden „Bindungsintoleranz“, „Entfremdung“, „Eltern-Kind-Symbiose“ oder behauptete (widerlegte) „psychische Störungen der Mutter“ vom Familiengericht zur Begründung von Inobhutnahmen, Heimunterbringungen, Umplatzierungen und Zwangswechselmodellen und Umgängen der Kinder unter Zwang herangezogen.”
Schlechte Fachkräfte und geschlossene Strukuren als Ursache des Problems
Zusammenfassend stellt Wolfgang Hammer in seinen Untersuchungen einen Zusammenhang zwischen der unzureichenden Ausbildung von Fachkräften und der Gefährdung von Müttern und ihren Kindern in familiengerichtlichen Verfahren her. Mangelnde Eignung, magelnde Ausbildung, unzureichende Qualifizierung und nicht vorhandene Kontrolle seien die Hauptprobleme. Im Detail sei fehlendes Wissen über die Grundkenntniss der Psychologie, Entwicklungspsychologie oder die Bindungstheorie ein Problem. Auch fehle es an Wissen über den Kinderschutz, Macht- und Kontrollverhalten von Tätern und an Wissen über die Istanbul-Konvention in ihrem ganzen Umfang.
Ein großes Problem stelle zudem die teilweise Unterminierung von Aus- und Weiterbildungen durch die PAS-Annahme und von Väterrechtsverbänden dar. Diese unterhalten zum Teil bis heute anerkannte Ausbildungsstellen für Verfahrensbeteiligte im familienrechtlichen Kontext. Eine PAS-Annahme erklärte das Bundesverfassungsgericht im November 2023 für unzulässig und unwissenschaftlich. Dennoch werden die Inhalte nach wie vor gelehrt, wohingegegen die verpflichtenden Schutzanordnungen der Istanbul-Konvention zum Teil in den Ausbildungen keinerlei Anwendung finden.
Personal- und Fachkräftemangel verschärften das Problem in den Fachstellen zusätzlich. Eine große Hürde sieht die Studie zudem in Black Boxen. Gemeint sind damit “unantastbare” geschlossene Systeme aus Jugendamt und Familiengericht. In der Studie werden diese Machtgefüge, gegen die in der Regel kein Einwirken möglich ist, in vielen Fällen als “Kartelle” bezeichnet. Hinzu komme eine mangelnde Datenlage, fehlende Rechtstatsachenforschung, weitere begünstigende Faktoren für Kartellbildung und eine fehlende Analyse und Aufarbeitung.
Den Mitarbeiter:innen bescheinigt die Studie in vielen Fällen mangelndes Mitgefühl, eine ungenügende persönliche Eignung und ein mangelndes Unrechtsbewusstsein. Auch falle es den Beteiligten schwer, Machtsymmetrien zu erkennen und mit ihnen umzugehen. Überlastung, Zeitdefizite und institutionelle Zwänge tragen zum Problem bei.
Zwei weitere Faltoren für fehlenden Schutz: Geldquellen im System und ein falsches Zeitgeist-Verständnis für engagierte Väter
Wer tiefer in die die Fallanalysen der Studie eintauchen will, sollte das unbedingt tun, da sich nicht alle Erkenntnisse aus den untersuchten Verfahren abbilden lassen. Zwei Faktoren sollten abschließend dennoch nicht unerwähnt bleiben, die maßgeblich zum Erhalt der zuvor genannten Probleme und zum Erhalt eines nicht schützenden Systems “Familienrecht” beitragen.
Zum einen ist das die Tatsache, dass im System Familienrecht viel Geld steckt. In keinem Rechtszweig in Deutschland sind Gutachten und Sachverständige so häufig eingesetzt, wie in familiengerichtlichen Verfahren, insbesondere nach Häuslicher Gewalt. Was wie Schutz aussehen soll, bringt jedes Jahr für alle Involvierten hohe Summen ein. Die Gutachten belaufen sich in der Regel auf zwischen 15.000 und 20.000 Euro pro Fall und werden von den Eltern getragen. Die Honorare für Verfahrensbeistandschaften sind zudem ein Standard, der die Verfahrenskosten in die Höhe treibt.
Ein zweiter Faktor, der die Verurteilung von Frauen und eine damit verbundene Misogynie im familiengerichtlichen Kontext erhält, ist die Tatsache, dass ein Involviertsein eines Vaters dem Zeitgeist entspricht. Dieser Punkt führt dazu, dass Väter vielfach auf Unterstützung für ihr kontrollierendes Verhalten treffen. Man wolle Väter sehen, die sich einbringen und die im Leben ihrer Kinder stattfinden möchten. Wenn dann Mütter genau das zu verhindern versuchen und hierzu Gewalt benennen, wird ihnen häufig nicht geglaubt und stattdessen der Vater unetrstützt. Es kommt zu einer gefährlichen Täter-Opfer-Umkehr zulasten von gewaltbetroffenen Frauen und mitbetroffenen Kindern in den Verfahren.
Hier geht’s zur Studie als PDF
Macht und Kontrolle in familienrechtlichen Verfahren in Deutschland – Eine Analyse medialer Falldokumentationen. Die Studie des Hamburger Soziologen Wolfgang Hammer