Gewaltschutz – Die Bereitschaft Frauen zu glauben

Von Tina Steiger
Wer Gewaltschutz umsetzen will, muss Frauen glauben. So einfach ist das.
Die Realität sieht anders aus, regelmäßig werden die Aussagen von Frauen bei Trennungen infrage gestellt. Fünf Vorurteile, die wiederlegt sind.
Ich kenne reihenweise Fachkräfte, die sich jetzt winden. Weil es ja auch Täterinnen gäbe. Und so einen Fall habe man vor Jahren auch mal gehabt. Und es gibt ja bitteschön auch misshandelte Männer. Und überhaupt lügen Frauen sehr oft, weil sie die Kinder für sich alleine haben wollen, viel Geld wollen und dem Ex eins auswischen wollen. Stimmt? Stimmt nicht!
Zeit, mit fünf hartnäckigen Narrativen aufzuräumen, die Frauen und Kinder in Deutschland um ihren Schutz und ihre Versorgung bringen.
1. Vorurteil: So viele Männer werden auch Opfer
Tatsächlich weist die Gewaltstatistik des Bundeskriminalamts 2023 unter den insgesamt 167.865 Menschen, die Opfer von Partnerschaftsgewalt wurden, auch männliche Opfer aus. Doch in knapp vier von fünf Fällen ist nach polizeilicher Kriminalstatistik eine Frau betroffen. Das Statista Research Department/statista.com veröffentlichte dazu: “Im Jahr 2023 wurden in Deutschland rund 34.900 männliche Opfer von Partnerschaftsgewalt polizeilich erfasst. Damit stieg die Zahl der betroffenen Männer um circa 10,9 Prozent gegenüber dem Vorjahr und auf einen Höchststand. Als Partnerschaften definiert die Quelle Ehen, eingetragene Lebenspartnerschaften, nichteheliche Lebensgemeinschaften und ehemalige Partnerschaften. Was hier zwischen den Zeilen steht, meint, dass die Opfer mehrheitlich Gewalt durch andere Männer in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften erfahren haben. Hinzu kommen Fälle in denen männliche Gewalttäter strategische Gegenanzeigen stellen, um ihrem Opfer zuvorzukommen oder eine Patt-Situation herzustellen, wie Opferanwält:innen berichten. Es bleibt ein Prozentsatz von unter 10 Prozent Männer, die Gewalt durch ihre (Ex-)Partnerin zur Anzeige bringen.
2. Vorurteil: Das kann ja nicht stimmen.
Wenn es so schlimm wäre, wäre sie doch längst gegangen.
Ein Credo in meinen Beratungen und Kursen ist es, sich die Abhängigkeitsverhältnisse anzuschauen. Sie sagt, sie habe Gewalt erlebt und konnte nicht gehen. Er sagt, er ist es, der Gewalt durch sie erlebt hat.
Ihre Situation: schwanger, Baby oder Kleinkind zuhause, kein eigenes Einkommen, kein volles Gehalt, geringfügige Beschäftigung oder eine Teilzeitstelle und die volle Verantwortung für zu betreuende Kinder nach Schule und Kindergarten. Sie springt, wenn das Kind vormittags abgeholt werden muss. Sie nimmt frei, wenn das Kind krank ist. Seine Situation: Vollzeitstelle, volles Gehalt, Betreuung der Kinder gemeinsam nach Feierabend.
Die Frage lautet: Wer kann gehen? Wir sprechen über 14.000 fehlende Frauenhausplätze und einen Rechtsanspruch darauf ab 2032. Wir sprechen über weitere fehlende Frauenhausplätze für 36.000 Kinder und oft Altergrenzen für männliche Teenager bei der Aufnahme in eine Schutzunterkunft. Hinzu kommen Selbstzahleranteile für Frauen und eine gewöhnliche Aufenthaltsdauer von höchstens 12 Wochen in einer Schutzunterkunft. Anschlusswohnraum ist für die meisten Frauen in Gewaltsituationen mit Kind nicht alleine finanzierbar und oft auch nicht anmietbar. (Ohne Mann kein Mietvertrag.) Darüber hinaus zwingen Jugendämter und Gerichte zu Umgangskontakten mit dem Täter. Viele von Gewalt betroffene Frauen gehen nach einem Frauenhausaufenthalt irgendwann zum Täter zurück. Weil sie wirtschaftlich keine andere Wahl haben.
Wer die Abhängigkeiten in den Beziehungen in den Blick nimmt, erkennt schnell, wer eine gemeinsame Wohnung bei Bedrohung hätte verlassen können und wer nicht. Täter machen sich genau diesen Umstand der finanziellen und räumlichen Abhängigkeit der Frauen oft zunutze. Die Frauen wissen, dass sie die Kinder bei einer Flucht ins Frauenhaus aus Schule und Kita nehmen müssten, oft droht auch ein Umzug in ein anderes Bundesland, den Gerichte dann nicht selten als “unnötig” und schädigend für die Beziehung zum Vater werten.
Frauen gehen nicht “einfach”, weil sie es nicht können. Angeblich gewaltbetroffene Männer könnten die Situation dagegen meist (zeitweise) verlassen, jedoch sind sie es in der Regel, die Auszug und räumliche Trennung verweigern.
3. Vorurteil: Frauen erfinden Gewaltvorfälle und sexualisierte Gewalt
Im November 2023 wurde erstmals ein eigenes Lagebild nur zur geschlechtsspezifischen Gewalt gegen Frauen und Mädchen vorgestellt. Warum? Weil die Zahlen seit Jahren durch die Decke gehen. Weibliche Opfer häuslicher Gewalt: 180.715, ein Plus von 5,6 Prozent gegenüber 2022. Tötungsversuche mit weiblichen Opfern: 938 Frauen, 360 davon vollendete Femizide. 52.330 weibliche Opfer sexualisierter Gewalt, ein Plus von 6,2 Prozent. Digitale Gewalt: 17.193 betroffene Frauen, eine Zunahme von 25 Prozent gegenüber dem Vorjahr. (Bundeskriminalamt) Die Zahlen bilden das Hellfeld erfasster, angezeigter Straftaten ab. Das Dunkelfeld nicht erfasster ist Schätzungen zufolge achtmal so groß.
Männer sind Frauen gegenüber gewalttätig, täglich werden Frauen Opfer von Gewalt. Das eigene Zuhause ist dabei für Frauen der gefährlichste Ort, der eigene (Ex-)Partner in der Mehrheit der Fälle der Täter. Wer sagt, Frauen würden Taten erfinden, will diese Zahlen aus internalisierter Misogynie ignorieren. Das gilt für Frauen und Männer.
In diesem Zusammenhang spannend sind auch Studien, die sich mit der Frage beschäftigt haben, wie oft wer in solchen Fällen vor Gericht lügt. Eine kanadische Studie betrachtete die Anschuldigungen von sexualisierter Gewalt nach Trennungen unter Eltern. Sie ergab: 1,3 Prozent der Frauen lügen in Sorgerechtsverfahren vor Gericht hinsichtlich der Vorwürfe. Bei Männern waren es 21 Prozent. (Vgl. Bala, Nicholas, Schumann)
4. Vorurteil: Frauen geht es nur ums Geld
Narrative von geldgierigen Frauen, die Männer nach Scheidungen verarmt zurücklassen, halten sich hartnäckig. Genau das Gegenteil beweisen die Zahlen des Deutschen Jugendinstituts (DJI) . Selbst solvente Väter zahlen häufig gar keinen Unterhalt – und der Staat belangt sie nicht dafür. Rund 50 Prozent der Väter zahlen keinen Unterhalt für ihre Kinder, 25 Prozent zahlen zu wenig Unterhalt und nur 25 Prozent zahlen soviel, wie sie laut Einkommen und Düsseldorfer Tabelle zahlen müssten. Erklärt ein Vater den Mangelfall, dann fallen Ehegattenunterhalt und Trennungsunterhalt für die Mutter ersatzlos weg. Beim Kindesunterhalt dagegen springt der Staat ein und zahlt auf Steuerkosten, was Väter verweigern. 2,5 Milliarden Euro – so hoch war die Summe 2022. Eingetrieben wird das Geld bei den säumigen Vätern in der Regel nicht. Den fehlenden Zahlungswillen finanzierte die Allgemeinheit 2022 mit knapp zwei Milliarden Euro.
Für Mütter, die dann vom Staat einen Unterhaltsvorschuss, also eine Ersatz-Zahlung, für ihre Kinder erhalten, wird von dieser Summe das volle Kindergeld abgezogen. Sich an einer Trennung bereichern, sieht anders aus.
5. Vorurteil: Frauen profitieren davon, wenn sie Männer “loswerden”
Alleinerziehende sind mit 42 Prozent die Gruppe, die in Deutschland am häufigsten von Armut betroffen ist, in vielen Fällen trotz Arbeit, das ermittelte u.a der Paritätische Armustbericht 2024. Geringer oder kein Kindesunterhalt, fehlender Betreuungsunterhalt, Kindergeldanrechnung auf den Unterhalt vom Staat, Teilzeitarbeit oder völlige Erwerbslosigkeit durch fehlende Kinderbetreuung – die Gründe sind vielfältig. Das merken die Frauen beim Wohnen, Essen, in der Freizeit, bei fehlenden Reisen und dann, wenn ihre Kinder Wünsche haben oder Sportarten ausüben wollen, für die das Familienbudget nicht ausreicht. Hinzu kommt oft eine Posttraumatische Belastungsstörung und andere gesundheitliche Folgen in Fällen von Gewalt durch den Ex-Partner. Diese Folgen ergeben sich auch für mitbetroffene Kinder und werden von der Mutter aufgefangen.
Der 10. Familienbericht des Bundesfamilienministeriums aus dem Januar 2025 bescheinigt Alleinerziehenden zudem die höchste Belastung, wenn es um Dauerstress, fehlende Kinderbetreuung und daraus resultierende, eingeschränkte Berufstätigkeit, hohe psychische und körperliche Belastungen sowie finanzielle Unsicherheiten und Existenzangst geht. Als wäre das nicht genug, fühlen sich viele Alleinerziehende gesellschaftlich und von Behörden als Eltern zweiter Klasse stigmatisert und erleben eine vorurteilsgeleitete Bewertung ihrer Lebenssituation.
Fazit: Männer lügen häufiger und Frauen haben keinen Vorteil
Trennen sich Frauen (=fliehen Frauen bei Gewalt) und bringen Vorwurfe von Gewalt und Missbrauch ein, dann wird Ihnen in der Regel nicht geglaubt und sie erhalten keinen umfassenden Schutz. Sie lügen sehr selten zu den Anschuldigen, die Männer gelten trotz hoher Gewaltzahlen dennoch als glaubwürdiger. Frauen verarmen häufig nach Trennungen und leiden alleinerziehend unter Dauerbelastung, Krankheit und Stigmatisierung. Männer zahlen sehr oft keinen Kindesunterhalt und werden dafür nicht belangt. Sie sehen ihre Kinder meist auch bei dokumentierter Gewalt an Mutter und Kindern weiterhin folgenlos und haben bei Trennungen wenig bis keine finanziellen Einbußen. Ihre berufliche Situation wird mehrheitlich nicht beeinträchtigt.
Nachlesen
Zehnter Familienbericht. Unterstützung allein- und getrennterziehender Eltern und ihrer Kinder — Bestandsaufnahme und Handlungsempfehlungen (www.bmfsj.de)
Bundeslagebilder - Geschlechtsspezifisch gegen Frauen gerichtete Straftaten 2023 (www.bundeskriminalamt.de (Opens in a new window))
Bala, Nicholas und John Schumann (2000), “Allegations of Sexual Abuse When Parents Have Separated”; Canadian Family Law Quarterly