Herkunft, Politik - das, worüber ich nie öffentlich sprechen wollte, aber glaube, in diesen Zeiten sprechen zu müssen
Irgendwann als Teenie sagte ich an, ich würde nicht länger die jüdische Herkunft meiner Familie verheimlichen. "Das sagt doch nichts über uns aus!"
Die Reaktion war: "Bist du denn verrückt? Du bringst uns alle in Gefahr! Man weiß doch nicht, welche Zeiten noch kommen!"
Ich hatte nie vor, es an die große Glocke zu hängen, wollte es aber auch nicht länger lügen und mich als "Russlanddeutsche" ausgeben, wenn man mich fragte, wie wir nach Deutschland gekommen sind. Wer mich deshalb ausschließen wollte, gehörte nicht in mein Leben. Punkt.
Etwas Unrecht hatte ich dennoch. Diese Wurzeln sagen sehr wohl etwas über uns aus, denn die #Angst (Opens in a new window) vor Entdeckung der Herkunft sitzt sehr tief, die Angst, dass das, was man ist und nicht ändern kann, zur #Ausgrenzung (Opens in a new window), Verfolgung und Ermordung führt - denn genau das ist passiert. Es ist eine Angst mit paranoiden Zügen und mit dieser Familienängstlichkeit aufzuwachen, mit dem Gefühl, man müsse immer auf das Schlimmste gefasst sein; dass Freunde, die "es" erfahren, plötzlich zu Feinden werden können, prägt.
Es wirkt bis in meine Generation.
Ich dachte auch, das interessiere die Menschen hier nicht. Das stimmte ebenfalls nicht. Zu antislawistischen Klischees gesellten sich antisemitische, aber so konnte ich mein Umfeld effektiv aussortieren.
Und ja, man weiß nicht, welche Zeiten noch kommen, aber Corona sowie der #Krieg (Opens in a new window) haben gezeigt: Alle können zum Feindbild werden. AsiatInnen, die an Corona beschuldigt wurden, RussInnen, zu denen vor nicht mal zwei Wochen alle "von da" in einen Topf geworfen wurden - und das zeigt mir, dass niemand sicher davor ist - dass gestern noch nette KollegInnen plötzlich jeden fragen könnten: "Schämst du dich denn nicht, [...] zu sein?"
Natürlich stecken dahinter Schutzmechanismen und der Wunsch nach "moralischer Überlegenheit" und ich würde so gerne sagen: Jemand, der halbwegs klar denken kann, kann es sich doch nicht so leicht machen! Aber doch - wir sind Zeugen davon.
Und dennoch haben wir alle einen freien Willen, sind mit einem Verstand ausgestattet, den wir wider #Bequemlichkeit (Opens in a new window) aktivieren können. Das nicht zu tun, ist eine Entscheidung, für die viele Menschen einen hohen Preis zahl(t)en (werden).