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"Meine Kinder benehmen sich im Restaurant daneben - was kann ich tun?"

Kassandra* schreibt mir: "Wir waren im Urlaub im Restaurant Essen und meine Kinder sind die ganze Zeit aufgedreht herum gerannt. Ein älterer Mann hat sich sogar beschwert. Ich habe Angst, dass meine Erziehung doch irgendwie falsch ist. Strengere Eltern in unserem Bekanntenkreis haben weniger anstrengende Kinder."

Hier auf Steady beantworte ich einige eurer Fragen mit meinem Hintergrund eines Studiums der Neurowissenschaften und kognitiven Psychologie, einer Ausbildung zur Trageberaterin und Babykursleiterin, meinem gesammelten Wissen aus etwa 250 Büchern zum Thema Erziehung und meinen Erfahrungen, die ich in den letzten sieben Jahren als Mutter gesammelt habe. Ich bin keine Psychologin und kein Coach. Wenn euch eine Situation so sehr belastet, dass sie eure Gedanken den ganzen Tag über beeinflusst, möchte ich euch bitten, euch professionelle Hilfe zu suchen. Ich kann euch die innere Arbeit mit eurem Päckchen an Erfahrungen, Verletzungen und Traumata nicht abnehmen. Was ich aber versuchen kann, ist euch ein paar Gedanken und Impulse mitzugeben, die euch vielleicht helfen können, eure eigene Lösung zu finden. Und wenn ihr euch mit dem, was ich schreibe, überhaupt nicht identifizieren können solltet, dann ist auch das ein wichtiges Zeichen. Ich bin keine „Expertin“ und habe die Weisheit nicht mit Löffeln gefressen. Was ich anbieten kann, ist eine (hoffentlich) empathische Antwort aus wissenschaftlichem und persönlichem Hintergrund.

Wer mir auch schreiben möchte, wendet sich bitte an anna.brachetti@posteo.de. Ich bearbeite dienstags und donnerstags eure Briefe. Schreibt bitte auch dazu, ob ich eure Nachricht und meine Antwort darauf anonymisiert (*Namen werden verändert) veröffentlichen kann.

Vielen Dank für das Vertrauen!

(Bild: Anne Richard)

Liebe Anna,

wir waren gerade eine Woche auf Urlaub am Meer und es war eine Katastrophe. Es war so anstrengend mit unseren beiden Kinder (2,5 & 5,5), dass ich wirklich Zweifel habe, ob mein Erziehungsstil der richtige ist. Ich versuche von Anfang an bedürfnisorientiert zu erziehen, gehe auf die Kinder ein und lasse ihnen viel Freiraum. Aber vor allem wenn wir dann z.B. abends essen gegangen sind, ist es jedes Mal ausgeartet. Sie bleiben keine 10 min sitzen, waren laut, haben Blödsinn gemacht und einfach gar nicht auf uns gehört. Es hat sich sogar ein älterer Herr über die Kinder beschwert und gemeint wir sollten mit ihnen das Lokal verlassen. Ich bin in Tränen ausgebrochen, weil es mir natürlich klar war, dass sie andere stören, aber ich habe es einfach nicht in den Griff gekriegt, weil sie so aufgeregt und überdreht waren. Der Kleine ist auch trotzig und beginnt sofort laut zu schreien, wenn es nicht nach seinem Kopf geht. 


Ich hab in solchen Situationen so oft Zweifel, ob ich zu „lieb“ oder „milde“ zu den Kindern bin und sie mir deshalb auf der Nase herumtanzen. Und dass ich ihnen nichts gutes tue und mehr Grenzen setzen sollte. Die Stimmen sind ja sehr laut, dass die Kinder von heute „verzogen“ sind und ich fühle mich zwar in meinem Stil wohl, aber ich habe dann schon immer wieder Zweifel, wie unsere Kinder als Erwachsene werden und ob die „anderen“ wohl recht haben. In meinem Bekanntenkreis ist es offensichtlich,  dass die strengeren Eltern unter ihnen die unkomplizierteren Kinder haben. Ich würde gern auf mein Gefühl hören, aber habe Angst für die Zukunft etwas falsch zu machen...

Kennst du diese Zweifel?

Liebe Grüße,

Kassandra*

Hallo Kassandra*,

Ich kenne die Zweifel durchaus. Allerdings finde ich auch ehrlich gesagt, dass so ein Restaurant nach einem aufregenden Urlaubstag für so kleine Kinder kein „artgerechter“ Ort für Kinder ist, zumindest wenn man dort ruhig sitzen muss (was in vielen Ländern ja gar nicht üblich ist).

Bei uns ist dieses übertriebene Herumgeturne oft ein Zeichen dafür, dass die Kinder Aufmerksamkeit brauchen (nicht „nur“ wollen!). Ich habe so ein kleines Buch mit Basteleien fürs Restaurant, wir haben manchmal Bücher mit. Ich liebe für solche Situationen auch diese Bastelsets mit kleinen Stickern zum Aufkleben und ganz ehrlich, wir haben den Kindern auch schon (leise) die Maus App angemacht oder so was. Je nach eigenem Erschöpfungsgrad.

Ich glaube, man geht sehr schnell „aus der Beziehung“, wenn man das Gefühl hat, dass das Umfeld irgendwas erwartet. Man redet vielleicht betont laut „Ich habe doch schon mal gesagt, du sollst dich nicht auf den Stuhl stellen!“, obwohl man eigentlich weiß, wie sinnlos das ist (zum einen die „nicht“-Aussage, zum anderen die schlichte Forderung, wenn das Kind Bewegungsdrang (oder Bindungshunger) hat. Kennst du das? Dass du eigentlich nur noch am Meckern bist und die Kinder gar nicht mehr richtig siehst, weil du dich so auf das Umfeld fokussierst? Versuch, wieder in Beziehung zu gehen. Sag so was wie „Sag mal, hast du heute eigentlich schon genug gekuschelt?“, versuch einen Scherz zu machen, ein Spiel, die Situation irgendwie wieder aufzulockern. Und dann zaubere am besten irgendwas hervor (evtl aus den Vorschlägen vorher).

Wir haben auch ganz oft einfach abwechselnd gegessen. Wir haben darum gebeten, dass sein Essen erst etwas später kommen sollte (ich esse eh schneller als mein Mann und bin auch früher hungrig), während ich gegessen habe, hat er sich dann mit den Kindern beschäftigt, und dann kam sein Essen und ich habe die Kinder „übernommen“ (bin auch manchmal einfach schon mal raus gegangen). Die Kinder, zumindest unsere, sind ja meist super schnell fertig mit dem Essen.

Ich glaube, Nicola Schmidt hat auch mal erzählt, dass sie „Ausgehen“ mit den Kindern geübt hat. Aber dazu sind deine eigentlich noch ein bisschen zu jung. Dann haben sie zu Hause den Tisch richtig schön gedeckt und sämtliche Tischmanieren geübt und sich wie König:innen angesprochen. Das könnte lustig sein.

Es stimmt übrigens tatsächlich, dass strengere Eltern Kinder haben, die sich besser benehmen. Es ist halt nur die Frage, wie es denen dabei geht. Meist „benehmen“ sie sich aus Angst vor einer Strafe. Und später als Erwachsene müssen sie das dann alles aufarbeiten.. Ja, ich hätte auch gern Kinder, die bei einem einstündigen Restaurantbesuch einfach mal dasitzen und malen (machen sie tatsächlich aber auch manchmal - manchmal aber auch nicht). Aber vor allem hätte ich gern Kinder, die sich nicht von ihrer Kindheit erholen müssen.

Allerdings glaube ich schon, dass bedürfnisorientierte Eltern manchmal dazu neigen, sich tatsächlich nicht so ganz trauen, ihre Grenzen klar zu kommunizieren. Geh also ruhig einmal in dich und frag dich, ob du das Gefühl hast, das zu tun. Eine Führung zu sein, Halt zu geben. Und dann atme, wenn die Kinder sich „daneben benehmen“ einmal durch. Komm raus aus dem Meckermodus, der ja ohnehin nichts bringt. Bring Ablenkung mit, lies dir ein paar ruhige Spielideen durch. Geh in Beziehung (und fordere das auch von der Person, die mit dir kommt, ich gehe mal davon aus, dass du meist eher nicht allein im Restaurant gesessen hast?). Ich bin mir ziemlich sicher, dass die Kinder dann ruhiger sein werden. Und sich irgendwann in solchen Situationen auch selbst beschäftigen können. Sie sind wirklich noch sehr, sehr klein! Die meisten Eltern gehen in dem Alter (also gerade so um 2 herum ist es echt schwierig!) mit ihren Kindern einfach überhaupt nicht Essen. Ich finde es aber legitim, das trotzdem zu wollen - nur müssen wir uns glaube ich von dem Gedanken verabschieden, dass das dann genauso entspannt ist wie ohne Kinder ;). Deine Kinder sind völlig normal! Das ist einfach kein kindgerechter Ort. Und der ältere Herr durfte wahrscheinlich selbst nie laut spielen, wenn Erwachsene da waren :(. Ich bin absolut pro Rücksichtnahme, aber Kinder müssen auch stattfinden dürfen. Stell dir mal vor, er hätte sich mit einem Augenzwinkern zu ihnen gebeugt und gefragt „Na, war heute ein richtig aufregender Tag? Wart ihr im Meer?“. Hättest du dich dann auch gefragt, ob du „zu lieb“ mit den Kindern bist?

Kinder spüren, wenn wir uns unter Druck setzen lassen. Vor allem in sozialen Situationen. Versuch, diesen Druck rauszunehmen. Und zur Not, wenn es wirklich mal gar nicht geht, lasst euch das Essen einpacken und esst auf einer Bank im Park oder auf dem Spielplatz. Da können die Kinder rennen, wie sie wollen.

Also kurz noch mal: einen Schritt voraus sein und abschätzen, wie die Laune grad ist. Dementsprechend vorsorgen. Irgendwie abwechseln mit der Verantwortung. Nicht erwarten, dass es so ist wie ohne Kinder. Und zur Not Ortswechsel.

Ich hoffe, die Einschätzung hilft dir ein bisschen,

Liebe Grüße,

Anna

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