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(Verspäteter) Newsletter Februar

Über Konsistenz und Perfektionismus

Meine liebe Community,

eins meiner Ziele dieses Jahr war mehr Konsistenz. Während ich schon länger weiß, dass ich mir sehr gern selbst unendlich große Ziele setze und dann von mir enttäuscht bin, dass ich es einfach nicht durchziehe, hat sich mein Mindset jetzt ziemlich geändert.

Bild: Sarah Czaplinski

Ich meditiere seit Unizeiten. Das ist jetzt 10 Jahre her. Angefangen habe ich, weil ich meine Thesis geschrieben habe, eine Metaanalyse über rTMS bei Depressionen. Für die Thesis musste ich hunderte Studien durchwühlen, auswählen, lesen und die Ergebnisse herausfiltern, um sie dann statistisch zu analysieren. Das ist eine unglaublich undankbare, müßige Arbeit, die ich ziemlich anstrengend fand. Stundenlang saß ich in der Bibliothek und kämpfte mich durch die Studien. Meine Motivation war groß (ich wollte fokussiert arbeiten, um meine Tochter so früh wie möglich aus der Kita abzuholen), aber es war trotzdem sehr, sehr anstrengend. Ich habe zu der Zeit viele Produktivitätsblogs gelesen und bin schließlich auf Zen Habits gestoßen und dadurch auf Meditation.

Seitdem habe ich unzählige Male wieder neu angefangen zu meditieren und mir jedes Mal vorgenommen, dass ich es dieses Mal durchziehe. Ohne Unterbrechung. Für immer. Weil ich gemerkt habe, wie gut es mir tat. Und unzählige Male war ich so enttäuscht von mir, weil ich es einfach nicht durchgezogen habe.

Dabei stimmt das gar nicht. Ich habe unregelmäßig meditiert, ja. Aber ich habe immer wieder dazu zurück gefunden. Und darum geht es letztendlich. “Etwas durchzuziehen” muss nicht bedeuten, dass man es wirklich absolut jeden Tag, jede Woche, jeden Monat, jedes Jahr macht. Sondern dass man es anfängt und wenn es wieder untergeht, man es aber brauchen kann, dann fängt man wieder an. Lustigerweise hat mir Meditation dabei geholfen, genau das anzuerkennen. Diesen Perfektionismus abzulegen.

Genauso war es mit Sport, mit dem Tagebuch-Schreiben, der Tageslichtlampe, Spaziergängen, Sprachen lernen - mit all den guten Angewohnheiten, die ich mir über die Jahre angeeignet habe und immer mal wieder eine Weile lang sehr konsequent durchgezogen habe und dann doch wieder nicht. Statt jedes Mal auf mich selbst wütend zu sein, lächele ich jetzt innerlich. Sehe meine Begeisterungsfähigkeit, sehe mein Engagement dafür, an mir zu arbeiten, gute Angewohnheiten aufrecht zu erhalten und mich um mich selbst zu kümmern.

Während ich mich selbst dafür verurteilt habe, gute Angewohnheiten nicht konsequent durchzuziehen, habe ich meiner schlechten Angewohnheit in die Hände gespielt: Meinem Perfektionismus. Und während das früher eine der “Schwächen” war, die man bei Bewerbungsgesprächen angeben sollte, damit die Firma einen toll fand, sehe ich Perfektionismus mittlerweile vor allem wirklich als schlechte Angewohnheit.

An Perfektionismus arbeitet man, indem man Dinge unperfekt macht und merkt, dass es okay ist. Dass die Welt nicht untergeht. Dass man einfach immer wieder neu anfangen kann. Dass etwas nicht nur “zählt”, wenn man es sofort und dann für immer macht, sondern dass jeder Schritt zählt. Dass wir nicht in allem gut sein müssen. Und dass es eigentlich nicht um die Sache selbst geht, sondern um uns. Unsere mentale und physische Gesundheit. Sich selbst dafür fertig zu machen, dass man das Meditieren nicht konsistent oder “gut” genug macht, ist schädlicher, als mal drei Tage nicht zu meditieren. Oder drei Wochen.

Und seit ich das endlich für mich annehmen kann, habe ich es auf einmal geschafft, wirklich in kleinen Schritten zu arbeiten. Weil konsistent zu sein ja nämlich durchaus viel Positives hat. Wenn wir uns selbst ein Versprechen geben und das einhalten, wirkt sich das auf unser Selbstbewusstsein aus. Ich meditiere jetzt wieder konsistent seit 90 Tagen. Das ist der längste “Streak”, den ich laut der Statistik meiner App (Calm) je hatte. Ich habe drei unterschiedliche Versionen meiner Morgenroutine, die ich je nach Zeit und Müdigkeit durchziehe, und wenn ich es morgens nicht schaffe zu meditieren, dann ist nicht mehr der ganze Tag gelaufen. Dann mache ich es einfach irgendwann später. Nicht aus Pflichtbewusstsein, sondern weil sich mein Kopf so sehr nach dieser kleinen Auszeit sehnt. Weil ich spüre, wie ruhig mich Meditation macht. Weil ich mir selbst nicht versprochen habe, ab jetzt für alle Ewigkeit jeden Tag zu meditieren, sondern weil ich mir versprochen habe, auf mich zu achten. Immer mal wieder in mich hinein zu horchen und zu schauen, was ich gerade brauche. Und sehr oft ist die Antwort Meditation.

Bild: Chiara Doveri

Das muss bei euch nicht genauso sein, aber ich bin ziemlich sicher, dass wir alle gute Angewohnheiten haben, die wir eigentlich gern häufiger machen würden. Und ich glaube auch, dass sehr viele diese “Alles oder nichts”-Einstellung haben. Dabei zählt wirklich jeder Schritt. Jeder Besenstrich. Jeder Atemzug. Jede gestrickte Reihe, jedes gestemmte Gewicht, jeder noch so kurze Spaziergang, jedes Telefonat mit der guten Freundin, jedes Wort, jeder positive Gedanke über uns selbst. Auf Dauer verändert uns das. Wortwörtlich in meinem Beispiel, weil Meditation tatsächlich das Gehirn verändern kann.

Ein kleiner Exkurs in die Neurowissenschaften: Meditation fördert die Neuroplastizität, also die Fähigkeit des Gehirns, sich aufgrund von Erfahrungen und Umweltfaktoren neu zu organisieren. Regelmäßige Meditation kann die graue Substanz im Gehirn erhöhen, die mit Lernen, Gedächtnis, Emotionsregulation und Selbstbewusstsein in Verbindung stehen. Außerdem kann Meditation den präfrontalen Kortex stärken, den Teil des Gehirns, der für Entscheidungsfindung, Problemlösung und emotionaler Regulation zuständig ist. Meditation verbessert die Aktivität des präfrontalen Kortex und die kognitive Kontrolle.

Letztendlich verändert aber alles was wir tun unser Gehirn. Jedes Mal schaffen wir neue Verbindungen. Je häufiger wir etwas wiederholen, desto dicker wird die Myelinschicht einer Verbindung von Nervenzellen. Das ist quasi eine Isolation; je dicker diese Schicht ist, desto besser wird das elektrische Signal weitergeleitet. “Neurons that fire together, wire together”, sagt man in den Neurowissenschaften, also Neurone, die zusammen feuern, verbinden sich. Wir schaffen quasi einen bestimmten Trampelpfad im Gehirn und je mehr Wiederholungen es gibt, desto besser kommen wir durch das Gestrüpp und desto gefestigter wird der Weg. Jetzt können wir aber nicht nur durch bestimmte Aktivitäten Wege festigen, sondern auch durch Gedanken. Je häufiger wir denken “Ach, ich weiß ja, wie gut mir das tut - deswegen fange ich es jetzt wieder an”, desto leichter kommen wir in das Growth (Wachstums-) Mindset. Wiederholt positiv über sich selbst zu denken, statt sich immer wieder in Selbstkritik zu verfangen, verändert unser Gehirn und damit unsere Einstellung zu uns selbst und unser Selbstbewusstsein und Bewusstsein für Selbstwirksamkeit.

Also wenn es etwas gibt, dass du mal wieder machen könntest: Fang es einfach mal wieder an. Ein paar Minuten reichen. Gamification von Apps (wie z.B. ein Streak-Zähler) kann durchaus unterstützen, wenn wir uns damit nicht unter Druck setzen lassen.

Mit diesem Gedanken beende ich den Newsletter für heute, vielen Dank fürs Lesen. Wenn euch meine Worte ein bisschen geholfen haben, lasst mir gern eine Reaktion oder einen Kommentar da.

Wir lesen uns bald wieder!

Eure Anna

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