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Der vergessene Held - muss Julian Assange doch in US-Haft?

Kein Musterbeispiel liberaler Demokratie - die unterschiedliche Bewertung westlicher und russischer Investigativ-Journalisten in Deutschland 

In den zahlreichen Nachrichten über den Angriffskrieg Wladimir Putins gegen die Ukraine ist eine Nachricht fast zur Randnotiz verkommen, die eigentlich gerade jetzt in der Auseinandersetzung zwischen der Idee einer freiheitlichen, liberalen Demokratie und dem Konzept einer nationalistischen, autoritären Diktatur höchste Aufmerksamket verdiente: Der "Supreme Court", der Oberste Gerichtshof Großbritanniens,  hat am 14.03.2022 gegen Julian Assanges Berufungsantrag entschieden mit der Begründung, der Antrag des Wikileaks-Gründers werfe "keine strittigen Rechtsfragen" auf (“as the application didn’t raise an arguable point of law”, Zitat "The Guardian (Opens in a new window)").  Dem Australier drohen somit im Falle der Auslieferung in die USA bis zu 175 Jahre Haft.

Wohlgemerkt - wir reden hier nicht von 15 Jahren Haft in Putins eigenem Gefängnisstaat Russland für Journalist*innen, die es wagen, einen Krieg als das zu bezeichen, was er ist - als "Krieg" und nicht als Sondereinsatz. Wir reden hier auch nicht über die Forderung nach weiteren 13 jahren Haft für Alexej Nawalny aufgrund von konstruierten Straftatbeständen vor der russischen Willkürjustiz. 

https://www.tagesschau.de/ausland/asien/nawalny-anklage-105.html (Opens in a new window)

Auch das ist Russland: Eine mutige Journalistin, Marina Owsjannikowa, hielt ein Schild im Staatssender "Pervij Kanal" ("Channel One Russia") hoch mit der Aufschrift "Stoppt den Krieg. Glaubt der Propaganda nicht".  Bisher wurde sie "nur" zu einer Geldstrafe von 30.000 Rubel oder ungerechnet etwa 256 € verurteilt, aber dabei könnte es nicht bleiben, zumal Frau Owsjannikowa mutig erklärte, das Urteil nicht anerkennen zu wollen, und Russlands biegsame, willfährige Justiz jederzeit nach der Regie des Kremls neue, konstruierte Beschuldigungen in drakonische Strafen umzusetzen weiß.

https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/kriegsgegnerin-unterbricht-nachrichten-in-russlands-staats-tv,T05a7Kj (Opens in a new window)

Im Umgang mit kritischen, investigativen Journalisten, die sich - sagen wir es aus Sicht der Regierenden - zu "Landesverrat" und "Dolchstoß" gegen die eigenen Truppen versteigen, könnte sich der Unterschied zwischen westlichen Werten und chauvinistischen Staatsmachtphantasien, zwischen demokratischer Offenheit und nationalistischer Großmachtssucht besonders deutlich sichtbar herauskristallieren.

Und was macht die britische Justiz? Sie verwehrt Julian Assange die Berufung. Die westlichen Regierungen nehmen keine Notiz - Assanges Heimatland Australien schweigt, die wertebasierte Außenpolitik Annalena Baerbocks findet hier keinen Anlass zum Handeln (wollen wir zu ihren Gunsten unterstellen, dass stillschweigend hinter den Kulissen doch Gespräche mit den Amerikanern und Briten stattfinden, so unwahrscheinlich diese Hoffnung auch ist).

Für die Nawalnys, Oswsjannikowas und Assanges dieser Welt kämpfen relativ einsam in Deutschland Organisationen wie die Gewerkschaft ver.di, die Journalistenverbände dju in ver.di und DJV, amnesty international, RSF Reporter ohne Grenzen, Die Linke oder die Piratenpartei.

https://www.reporter-ohne-grenzen.de/pressemitteilungen/meldung/innenministerin-muss-assanges-auslieferung-stoppen (Opens in a new window)

"RSF Reporter ohne Grenzen" fordert die britische Innenministerin Priti Patel auf, das Auslieferungsverfahren zu stoppen. Die vermutliche letzte Chance, die Julian Assange bleibt, um nicht in einem amerikanischen Gefängnis zu verrotten, auch wenn die Zeitung "The Independent" noch einen Gang vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) für möglich hält (The Independent (Opens in a new window)).

Zwar haben die Vereinigten Staaten versichert, "dass Julian Assange nicht in einem Hochsicherheitsgefängnis untergebracht oder besonderen Haftbedingungen (Special Administrative Measures, SAMs) unterworfen werden würde. Zu solchen Maßnahmen gehört auch die verlängerte Einzelhaft, die nach dem Völkerrecht als Folter oder andere Misshandlung gelten kann. Außerdem versicherten sie, dass er angemessen medizinisch versorgt werden würde. Doch die Versicherungen enthalten einen Vorbehalt: Sollte Julian Assange in Zukunft irgendetwas tun, das doch erfordern würde, ihn den SAMs zu unterwerfen oder in ein Hochsicherheitsgefängnis zu verlegen, behielten sich die USA das Recht vor, dies auch zu tun" (Zitat "amnesty international).

Ob Assange eine menschenwürdige Gefängnisstrafe in den USA erwartet oder nicht doch auch Isolationshaft droht, bleibt aufgrund der wachsweichen Zusicherung der Amerikaner weiterhin ungewiss.

https://www.amnesty.de/informieren/aktuell/grossbritannien-julian-assange-berufung-gegen-auslieferung-abgelehnt (Opens in a new window)

Sicherlich werden die Befürworter der Auslieferung und Bestrafung Assanges argumentieren, er habe mit seinen Wikileaks-Enthüllungen nicht nur miltärische Geheimnisse verraten, sondern auch das Leben amerikanischer Soldat*innen gefährdet, während die russischen Journalist*innen gegen einen unrechtmäßigen Krieg öffentlich auftreten. Ob das, was die von Wikileaks veröffentlichten "Collateral Murder"-Videos 2007 aufdecken, mit dem Völkerrecht vereinbar ist, darf allerdings bezweifelt werden.

Es ist höchste Zeit, dass die westlichen Demokratien zeigen, was sie von autokratischen Regimes wie dem Russland Putins unterscheidet.

Am Beispiel der Behandlung von Assange und Nawalny könnte dies treffend und anschaulich unter Beweis gestellt werden.

https://www.youtube.com/watch?v=HfvFpT-iypw (Opens in a new window)

Topic Politik

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