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Zickige Mädchen, hysterische Frauen

Warum wir Wut als Emotion ernst nehmen sollten

Seitdem ich mich erinnern kann, werde ich als emotional beschrieben. Als kleines Mädchen war ich bei Familienfeiern „die Empfindliche“, weil ich schnell mal weinte. In der Schulzeit war ich oft „die Aggressive“, weil ich mit Klassenkollegen diskutierte, oft zu politischen Themen, die mir am Herzen lagen. Als Jugendliche war ich „die Dramatische“, ich weiß um ehrlich zu sein nicht wirklich warum, außer dass ich meine Hände viel beim Sprechen bewege, was gerne auf meine „südländische“ Herkunft geschoben wurde.

Langsam lernte ich, ja nicht zu viel zu sein. Mich immer angemessen zu verhalten, nicht zu laut zu lachen oder zu sprechen, immer vorsichtig zu sein. Wenn ich mich mit Menschen zu Themen unterhalte, die mir am Herzen liegen, achte ich auf meinen Tonfall und meine Wortwahl. Ich weiß, ich werde eher ernst genommen, wenn ich sachlich und neutral klinge. Sachlich, also mit ruhiger Stimme und großen Fremdwörtern. Neutral, also Hauptsache es gibt keine emotionale Verbindung zu dem Gesagten. Der Inhalt, also meine Gedanken, Ideen und Meinungen, ist letztendlich nicht so wichtig, solange ich mich ruhig und bedacht gebe.

Emotional werde ich genannt, wenn ich schnell weine oder laut lache. Eine Emotion, die selten mit Emotionalität in Verbindung gesetzt wird, ist Wut. Wütend, das sind in der Regel männliche Personen. Mädchen sollten eher nicht wütend sein, dass macht sie unsympathisch und zickig. Wütende Frauen werden auch selten als wütend bezeichnet. Meist sind sie hysterisch oder reagieren übertrieben. Diese Klischees sind nichts Neues, aber sie sind leider auch noch nicht überwunden. In meinem Alltag als junge Frau werde ich oft konfrontiert mit den gleichen Stereotypen, die mich an das empfindliche Mädchen erinnern, das ich mal war und an die hysterische Frau, die ich nie sein wollte.

Wütende Frauen werden schnell als kompliziert abgestempelt, und kompliziert ist das Letzte, was eine Frau sein sollte. Junge, heterosexuelle Männer schreiben in ihre Dating-App-Profile, sie suchen eine „unkomplizierte“ Partnerin. Eine unkomplizierte, lockere Frau. Eben eine, die anders ist als „die Meisten“. Ich swipe links, ich weiß, ich wäre für sie „zu viel“. Männer erzählen mir von ihren Exfreundinnen, die anscheinend verrückt waren. Ich frage mich, wie so viele Straight-Männer eine verrückte Exfreundin haben konnten. Die provisorische Statistik in meinem Kopf geht nicht auf, ich kenne kaum verrückte Frauen.

Aber ich spüre, wie sich langsam etwas verändert, bei vielen Frauen und ihrer Beziehung zur Wut. Der Begriff „Female Rage“, häuft sich hauptsächlich in US-amerikanischen Medien. „Female Rage“ beschrieb zunächst die Darstellung von weiblichen Charakteren in Film und Fernsehen, deren Wut sexualisiert wurde. Mittlerweile beschreiben Frauen und Mädchen beispielsweise in TikTok-Videos ihre Wut selbst. Sie sind wütend, weil sie sexuelle Belästigung erleben mussten, weil sie in ihrem Job nicht ernst genommen werden, weil sie die gesamte Care-Arbeit im Haushalt erledigen müssen. Women of Colour sind wütend, weil sie in vielen Lebensbereichen Diskriminierung erfahren, weil ihnen nicht mal beim Arzt zugehört wird. Kurz gesagt, weibliche Personen möchten ihre Wut auslassen und die richtet sich meist an patriarchale Strukturen und Erlebnisse.

Prinzipiell ist Wut eine Emotion wie jede andere. Kleine Jungs, die beim Zocken aggressiv werden und Löcher in Tische und Wände schlagen, sind emotional. Erwachsene Männer, die in der Arbeit schreien und brüllen, sind emotional. Und Frauen, die ja per se als das emotionale Geschlecht betitelt werden, sind vielleicht mittlerweile einfach wütend. Der Ausdruck dieser Wut gibt mir Hoffnung: Sie ist der erste Schritt beim Versuch zu verstehen, was uns frustriert und was wir verändern wollen. Zuallererst ist Wut nur eine Emotion, aber Emotionen waren schon oft der Katalysator für gesellschaftlichen Wandel und Umschwung.

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