Über Kinder in der Pandemie
Nun sitzen wir also wieder im Lockdown. Im Lockdown, der sich für meine Kinder irgendwie nicht wie ein Lockdown anfühlt, denn die Schulen und Kindergärten sind weiterhin geöffnet. Distance Learning gibt es nicht, Medien titeln groß, es gäbe Lernpakete für die Schüler*innen, die zuhause bleiben, das Bildungsministerium sieht das anders, die Realität an den Schulen heißt: „Wir machen nichts zusätzlich.“, was bedeutet, dass es de facto keine Lernpakete gibt, weil der Unterricht laut Stundenplan stattfindet. Und auch, wenn ich mir Lernpakete wünschen würde, weil ich mein Kind gerne zuhause lassen würde, verstehe ich die Lehrerseite gut – Lernpakete und normaler Unterricht bedeuten doppelte Arbeit, doppelte Belastung – von letzterer haben wir nach gut 1,5 Jahren Pandemie alle genug.
Meine Kinder sind belastet, eines mehr als die anderen beiden. Eines meiner Kinder ist gefühlsstark (Nora Imlau hat übrigens ein sehr wertvolles Buch über gefühlsstarke Kinder geschrieben). Das wirkt sich manchmal sehr stark, dann wieder so gut wie gar nicht auf unseren Alltag aus.
Dieses eine Kind tut sich mit Veränderungen schwer, bekommt enorm viel vom Weltgeschehen mit, spricht aber nicht darüber, sondern reagiert fast nur auf all die Nachrichten. Es reagiert in Form von Wutanfällen, die scheinbar aus dem Nichts kommen, Trauer, Aggression, Verzweiflung – verbunden mit vielen, vielen Tränen. Mein Kind reagiert aber auch körperlich, indem es sehr bestimmte Kriterien für Kleidung hat und von einer Sekunde auf die andere gewissen Kleidungsstücke nicht mehr am Körper erträgt. Wir kennen diese Reaktion seit einigen Jahren, sind daran verzweifelt, weil wir sie uns nicht erklären konnten und sie damals einige Monate ein riesiges Problem darstellte. Bis wir das richtig einschätzen konnten, vergingen ein paar Wochen – bis das Kind verzweifelt weinend am Boden lag, sich anziehen wollte, aber einfach kein Kleidungsstück fand, das in seiner Wahrnehmung in Ordnung war. Das Kind war völlig fertig, wir Eltern verzweifelt – aber ab diesem Zeitpunkt verstanden wir besser, worum es ging und konnten unser Kind in seiner Verzweiflung festhalten, stützen und das Problem als solches einfach annehmen.
Der Sommer zog ins Land und mit ihm löste sich das Kleidungsproblem fast in Luft auf. So ging es dann zwei Jahre gut – und dann kam Corona. Von einem Tag auf den anderen wurde aus „Ich ziehe alles an“ ein „Ich kann nichts mehr anziehen.“
Ab da war dann klar, dass mein Kind auf Stress eben in dieser Art und Weise reagiert. Diesmal konnten wir viel gelassener und von Anfang an verständnisvoll reagieren. Mit Ende der Lockdowns und dem Beginn der gewohnten Routinen wurde auch die Kleidungssituation wieder entspannter.
Und nun stehen wir hier, seit heute gibt es erneut einen Lockdown – und passend dazu spitzte sich das Kleidungsproblem wieder zu.
Wir haben das im Griff, wir kennen die passenden Bewältigungsstrategien und vor allem hat unser Kind wahnsinnig viel gelernt, ist gereift und weiß sich selbst bereits wunderbar zu helfen.
Die Situation meines Kindes zeigt jedoch sehr drastisch, welche Auswirkungen die Pandemie auf unsere Kinder haben kann.
Ich kenne kein Kind, das nicht belastet ist. Manche mehr, andere weniger. Was ganz deutlich zu sehen ist: auch die Kinder, die wirklich beste Bedingungen im familiären Umfeld haben, die dauerhaft Zugang zur Natur und stabile Bezugspersonen haben, die rein von den Grundvoraussetzungen her denkbar wenig in ihren Routinen verändern müssen, sind belastet.
All die Anspannung um unsere Kinder herum, die Unsicherheiten, die Spaltung, die Anfeindungen, letztlich auch die Erkrankungen und Todesfälle – all dieses Gefühlschaos saugen sie auf wie Schwämme, ohne, dass wir etwas dagegen unternehmen können. Kinder sind von Natur aus empfänglich für emotionale Schwingungen in ihrem Umfeld, sind aber oft noch nicht in der Lage, damit umzugehen. Sie merken sofort, wenn sich jemand verstellt, wenn jemand so tut, als wäre alles in Ordnung, obwohl er im Chaos versinkt.
Im Moment haben sie, je nach Medienkonsum in ihrer Umgebung, zwei Quellen, um negative Schwingungen zu empfangen. Einerseits die der Erwachsenen in ihrer Umgebung, andererseits aber auch die Nachrichten in Radio, Fernsehen und Zeitung, die sie, ob bewusst oder unbewusst, einfach mitbekommen.
Kein Wunder also, dass auch unsere Kinder auf all diese Emotionen rund um sie herum reagieren.
Was können wir als Eltern nun aber machen, um unseren Kindern die Unsicherheiten zu nehmen, die Macht der negativen Gefühle zu brechen und sie bestmöglich durch diese sehr speziellen Zeiten zu begleiten?
Ich kann nicht für alle Familien sprechen – jede Familie hat andere Konstellationen, andere Krisenbewältigungsstrategien, andere Voraussetzungen. Wenn ihr wissen möchtet, was für uns funktioniert, uns gut tut, dann folgt nun ein kleiner Einblick in das, was uns hilft:
Miteinander sprechen: Kinder bekommen viel mit. Lieber als Halbwissen aus Medien, von anderen Kindern und aufgeschnappte Wortfetzen ist mir, dass meine Kinder auch unschöne Wahrheiten von mir erfahren. Als der Anschlag in Wien 2020 geschah, waren wir die halbe Nacht wach, am nächsten Tag unausgeschlafen, geschockt, traurig, wütend. Dementsprechend war auch das Nervenkostüm bei uns Erwachsenen sehr dünn. Das habe ich meinen Kindern erklärt – und im Anschluss auch, was da in der vorangegangen Nacht passiert ist. Sachlich, ruhig, nicht zu detailliert. Aber dass ein Mensch aus Hass andere Menschen getötet hat, haben sie gehört und verstanden. Fragen wurden gestellt, beantwortet, es wurde noch gekuschelt und über Dankbarkeit und Liebe gesprochen. Klingt super harmonisch, oder? Tja...weniger harmonisch war dann, dass mein Kind natürlich brühwarm am Schulweg anderen Kindern davon berichtet hat, deren Eltern weniger offen über solche Nachrichten sprechen...(war aber dann auch in Ordnung).So halten wir es auch mit Informationen zu Covid19 – wir erklären, diskutieren, besprechen und fragen die Kinder nach ihrer Meinung. Sie werden Ernst genommen mit ihren Sorgen und Problemen und spüren das auch – das hilft unseren Kindern sehr.
Körperkontakt: Wir haben Glück, alle drei Kinder kuscheln gerne. Gerade in schwierigen Zeiten merken wir, wie gut uns allen der Körperkontakt tut. Besonders frühmorgens (ihr wisst vielleicht schon aus meinem Artikel „Über den Schlaf“, dass meine Kinder leider sehr früh aufstehen) genießen wir es besonders, den Tag kuschelnd auf dem Sofa zu beginnen.
Natur: Wir sind, Krise oder nicht, eigentlich jeden Tag im Freien. Wir haben Glück, leben quasi im Wald und die Kinder haben ein wild- abenteuerliches Paradies in unserem Garten, sodass die zwei Älteren völlig selbstständig zwischen Drinnen und Draußen wechseln können und in ihren zahlreichen Verstecken Pläne schmieden, Abenteuer erleben und die ein oder andere Expedition starten.
Wenig feste Regeln: Für uns lebt es sich mit wenigen Regeln besser. Wir sehen alles ein bisschen gelassener, wirklich wenige Dinge sind bei uns absolut verboten (das involviert z.B. Dinge, die einfach potenziell lebensgefährlich sind). Die meisten ihrer kreativen Pläne dürfen die Kinder relativ zeitnah umsetzen, was dazu führt, dass sie ganz oft kommen, und fragen, wenn es um eine eventuell ziemlich chaotische Idee geht – weil sie wissen, dass ich mich um eine gute Lösung für alle bemühen werde. Wenn sie zum Beispiel Wasserspiele machen wollen, dann breiten sie mittlerweile selbstständig Handtücher aus und stellen ihre Wasserschüsseln darauf, um nicht das komplette Badezimmer zu überfluten. Wenn es um Ideen geht, die die Ordnung im Haus (hahahaha, als wäre die vorhanden!) gefährden, dann versuchen wir, sie auf einen Raum zu begrenzen, nach draußen zu verlagern oder (z.B. Fingerfarben) alles unmittelbar Gefährdete abzudecken, bevor das große Chaos beginnt.Das bedeutet, die Kinder können ihren Interessen und Ideen nachgehen, ich sorge aber dafür, dass ich dabei gelassen zusehen und das Chaos geschehen lassen kann.
Unsere Strategien sind kein Allheilmittel, kein Masterplan und keine Anleitung, um die Pandemie unbeschadet zu überstehen. Vielleicht findet ihr aber die ein oder andere Anregung, die euch an diesem einen Tag, an dem alles zu viel ist, ein kleines bisschen helfen könnte.
Ich wünsche euch eine entspannte Lockdown- Zeit.